routine pleasures

Fernsehen

Von Christiane Rösinger

Schien das Fernsehen in letzter Zeit fast aus der Mode gekommen zu sein, kann jetzt bereits eine Renaissance beobachtet werden. Man sieht wieder fern und redet darüber! Neulich jedoch wurde mein doch von Grund auf affirmatives Verhältnis zum Fernsehen auf eine Bewährungsprobe gestellt. Bei einem geselligen Beisammensein wurde eine geschlagene Stunde lang über Germany’s Next Top Model gesprochen, und das, obwohl sich alle darüber einig waren, dass man gegenüber Heidi Klum – der disziplinierten Beauty-Arbeiterin und «Werbe-Ikone», die neben dieser beruflichen Doppelbelastung auch noch in vorbildlicher Weise ihre Patchwork-Familie managt – eigentlich fortwährend aggressive Anwandlungen hat. Man war sich sogar dessen bewusst, dass man das Imperium Klum stützt und aufwertet, wenn man auch nur über die Castingshow spricht! Aber die Sendung macht halt irgendwie süchtig. Das böse Wort vom Unterschichtfernsehen gilt hier nicht, denn die erwähnten Topmodel-Abhängigen arbeiten in Grafik- und Buchhandelskollektiven, schreiben Gerichtsreportagen oder eine Doktorarbeit über Pasolini. Trotzdem kennen sie die Vor- und Nachnamen sämtlicher Lisas und Gina-Maries aus allen vier Staffeln. «Was bringt uns so weit?», wurde selbstkritisch gerätselt. Die Erfahrung der weiblichen Sozialisierung, der gesellschaftliche Druck, sich seit Teenie-Tagen mit anderen Vertreterinnen des eigenen Geschlechts vergleichen zu müssen?

Eine gewisse Larissa aus Österreich wurde allgemein favorisiert, sie sei weniger tussig und angepasst als die anderen Models. Da sie als Gewinnerin von Österreichs Nächstes Topmodel die Teilnahme an Heidi Klums Wettbewerb gewonnen hatte, konnte sie mehr Laufstegerfahrung als die deutschen «Mädchen» vorweisen und wurde deshalb arg gemobbt. Aber warum gewinnt die Siegerin der österreichischen Ausgabe des internationalen TV-Formats gerade einmal die Teilnahme am deutschen Contest? Das ist doch eine erniedrigende Situation für die 16jährige und für das ganze Land! So wird sich das schwierige deutsch-österreichische (deutsch-ösi’sche) Verhältnis niemals bessern!

Um jetzt gleich noch mit einem Vorurteil aufzuräumen: Auch junge Männer schauen sich die Sendung regelmäßig an! In der Berliner Magnet-Bar, sonst ein Treffpunkt fußballinteressierter Mitte-Poser aus dem Umfeld der 11 Freunde, wird jeden Donnerstag auf Großbildleinwand Top-Model geschaut. Ein weiteres Indiz dafür, dass das kollektive Fernsehen wieder da ist und immer mehr in Mode kommt. Schon seit ein, zwei Jahren trifft man sich in vielen Städten Deutschlands sonntags in Cafés und Musikclubs, um gemeinschaftlich Tatort, notfalls auch Polizeiruf zu sehen. Und wie für fast alles andere, kann auch hier die Wirtschafts- und Finanzkrise als Erklärungsmuster herhalten: In schwierigen Zeiten sehnt sich der Mensch wohl nach Ritualen und nach den archaischen Fernsehzeiten der 50er und 60er zurück, als man sich noch gemeinschaftlich vor der «Flimmerkiste» einfand und so den Gemeinsinn stärkte, den die Konkurrenzwirtschaft schon auszuhöhlen begann, die heute in den Casting-Shows gefeiert wird.