filmwissenschaft

Kofferkino Zur Geschichte kinematografischer Portabilität

Von Haidee Wasson

 

Wann wuchs der Filmleinwand ein Handgriff? 1939 kündigte die Victor Animatograph Company einen neuen 16 mm-Projektor an, den «Victor 40», auch bekannt unter dem Namen «Add-a-Unit». Die von 1939 bis 1947 im Verkauf befindliche Maschine unterstützte ein entschieden multimediales Baukastenprinzip. Der Add-a-Unit konnte mit verschiedenen Linsen, einem Plattenspieler, Radio, Mikrofon, einer Lautsprecheranlage, diversen Boxen, sowie mit Tonbandgerät und Verstärker erworben werden. Er lud seine Nutzer dazu ein, eigene Soundtracks zu produzieren, erlaubte ihnen, die Lautstärke selbst zu regulieren, das Bild größer oder kleiner zu machen. Der Projektor ließ sich mit unterschiedlichen Laufgeschwindigkeiten betreiben und konnte auch arretiert werden, um einen einzelnen Frame zu projizieren. Der Nutzer übte ein gewisses Maß an Kontrolle über Schlüsselvektoren des Kinos wie Bildgröße, Laufgeschwindigkeit, Lautstärke und Belichtung aus. Obwohl er ein ordentlicher Projektor war, wurde der Add-a-Unit als etwas Unvollständiges wahrgenommen: Er wurde verkauft, um mit anderen Medien verschaltet zu werden. Besonders wichtig für seine Komplettierung war dabei eine portable Leinwand, die als notwendige Bühne für jede Vorführung aufgehängt werden musste. Kofferartige Kisten gehörten zu dieser Zeit integral zum Design portabler Projektoren und Leinwände; strapazierfähige Handgriffe ermöglichten einen mühelosen Transport.

Vergleichbar mit dem Moment, als Uhren an einem Armband befestigt werden konnten und Kassettenspieler sich mit Gurten überall hin tragen ließen, markiert der Kofferhandgriff für Projektoren und Leinwände einen Technologiewechsel, der in diesem Fall auch eine Zurückweisung des professionellen Kinosaalbetriebs enthält und stattdessen auf die Belastbarkeit des menschlichen Körpers setzt. Wie viele andere portable Projektoren dieser Zeit war auch der Add-a- Unit so gestaltet, dass er von einer Einzelperson transportiert werden konnte. Auf Fingerfreundlichkeit hin passgenau entworfene Knöpfe und Schalter luden zu spielerischer Manipulation ein und ermöglichten die Kontrolle von Bild- wie Tonausgabe. Der Apparat erlaubte es somit jeder beliebigen Person, ein Filmvorführer zu werden; entstanden war ein Mensch-Maschine-Hybrid, der sich elektro-mechanisch und audiovisuell artikulieren konnte.

Die gegenwärtige Bandbreite an leichtgewichtigen Kamera-Gadgets, blitzschnellen Distributionsmethoden und hosentaschengroßen Displays wird häufig auf eine Weise diskutiert, als ob der filmische Apparat vor der Durchsetzung von Video und den nachfolgenden Digitaltechnologien eine völlig stabile, kohärente und weitgehend unmodifizierte Technologie aus dem 19. Jahrhundert gewesen sei. Die faktische Komplexität der sogenannte «Stummfilmära» – die Hybridität der filmischen (Präsentations-)Form, die vielschichtigen Konstellationen von Raum, Industrie und Zuschauerschaft – ist durch die jüngeren Forschungen zum Frühen Kino mittlerweile zwar genauso etabliert wie die Einsicht in die Intermedialität des Übergangs zum Synchrontonkino.1 Gleichwohl persistiert immer noch das übergeordnete Narrativ eines dominanten kinematografischen Ideals: der große dunkle Raum, Zelluloid, Projektor, Leinwand – mithin, der Kinotheatersaal.

Die Geschichte der portablen Projektoren (und der dazugehörigen Leinwände) erzählt hingegen von einer kinematografischen Apparatur, die von jener gänzlich verschieden ist, die wir uns zu erforschen und zu theoretisieren angewöhnt haben. Komplexer stellt sich dabei zum einen die Stabilitätsannahme dar. Zum anderen eröffnen sich Einblicke in eine ganze Reihe von Designs, Funktionalitäten und Praktiken, die lange nur als ein Zweig des kinematografischen Familienstammbaums perspektiviert wurden. In unserer heutigen Medienlandschaft, die durchzogen ist von Mobilitätsrhetoriken, klingt der Rückgriff auf das Konzept «Portabilität» nicht nur vertraut, sondern fast schon wieder altmodisch. Allgemein gesagt bezeichnet der Begriff die Qualität eines Objekts, das bewegt werden kann – und er hat eine durchaus komplizierte Genealogie. Im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde er auf riesige und dauerhafte Bezugsgrößen angewandt wie Gebäude (man denke an die Mailorder Homes), aber auch auf immaterielle und flüchtige wie Musik. Im Kontext des Kinos verweist der Begriff «Portabilität» dabei nicht zuletzt auf eine spezifische Form von Bewegung.

Wie u. a. Charles Musser in seinen Forschungen zu historischen Leinwandpraktiken (und deren Wanderbewegungen) gezeigt hat, ist Portabilität eine grundlegende Eigenschaft des frühen Kinos.2 Das Verständnis änderte sich jedoch erheblich, als sich das kurzlebige technokulturelle Leinwandphänomen als «Kino» institutionell zu konsolidieren begann. Bereits 1916, knapp ein Jahr nach der Gründung der Society for Motion Picture Engineers (SMPE), im Angesicht des Siegeszugs der sich ausbreitenden Kinotheater, fingen Teile der Mitgliedschaft an, für eine gewisse Standardisierung zu lobbyieren. Zur entsprechenden Diskussion gehörten neben der Auseinandersetzung mit Gewicht, Bildqualität und -größe, die mit portablen Projektoren einhergingen, vor allem die Problematik der Entflammbarkeit. Anders formuliert: In dieser Phase der Kinogeschichte galt die Resistenz gegen das Feuerfangen als Qualitätsmerkmal von Portabilität. Die Idee einer ebenfalls portablen Projektionszelle – erforderlich für Vorführungen außerhalb von Kinosälen, so etwa vorgeschrieben im Stadtbezirk von New York City – ist hier ein anschauliches Beispiel.3 Als Alexander Victor die SMPE1918 anflehte, die Portabilitätsbedingungen zu regulieren, verwies er scherzhaft darauf, «dass kein Betreiber zuverlässig am Vorführort erscheinen könne, wenn er in der einen Hand einen in der Tat portablen Projektor hielte, der 25 Pfund wiegt, aber in der anderen eine feuersichere Projektionszelle zu transportieren habe, die ein Gewicht von 550 Pfund auf die Waage brächte».4 Bei der Debatte ging es also nicht nur um die Entflammbarkeitsproblematik, sondern auch um das physische wie regulatorische Gewicht, das in Kauf genommen werden musste, um die Gefahr eines Feuerausbruchs angemessen zu reduzieren. Zudem führte der Projektor im Zuge seiner Evolution stets eine Art Faustschen Pakt mit sich: Je kleiner er wurde, desto schneller lief er heiß. Die leichte Brennbarkeit eines belichteten Filmstreifens aus Silbernitrat, der in eine enge Metallbox eingebettet war, stellte sich als ernsthaftes Hindernis für die Entwicklung eines handlichen, leichtgewichtigen Projektors dar.

Die anhaltenden Bemühungen, einen nicht entflammbaren Zelluloidtypus zu entwickeln, dienten dazu, die technologische Innovationsdynamik auf portable Projektoren zu konzentrieren und einen durchrationalisierten, expansionsfähigen Markt hervorzubringen. Genau in diesem Zusammenhang führte Eastman Kodak 1923 ein 16 mm-System ein. Einerseits ging es darum, eine Komplementärtechnologie zum im professionellen Kinobereich dominanten 35 mm-Format aufzubauen; andererseits sollte eine konkurrenzfähige Marktalternative zu Pathés ebenfalls nichtentflammbaren 28mm-und 9mm-Systemen angeboten werden. Schon kurze Zeit später war 16mm neben dem 1932 eingeführten 8 mm eine der wichtigsten Schmalfilmvarianten, die sowohl nichtentflammbar als auch portabel waren (wenngleich die Hersteller noch lange nach dieser Zeit 35 mm- Projektoren hartnäckig als «portabel» vermarkten sollten).

Parallel zur Standardisierung des 16 mm-Systems hatte das Kinotheater-Ideal gewaltige Dimensionen angenommen. Nur Monate vor dem Markteintritt der Kodak-Innovation feierte Sam Rothafel ein Kinomodell der Zukunft: das gigantische, technologisch hochgerüstete «atmosphärische Theater», ein nach außen hin vollverspiegelter Lichtpalast.5 Allerdings teilte nicht jeder Rothafels Vision. Ein anschwellender Chor aus anderen Schaustellern, Ingenieuren und Technologieunternehmen (darunter auch Kodak) stellte sich dem entgegen und betonte stattdessen die Bedeutung einfach bedienbarer, hochgradig anpassungsfähiger Projektoren, die sich absetzten von der zunehmend kostspieligen und komplizierten professionellen Ausrüstung der Kinotheater. Viele vertraten hier die Ansicht, dass die alleinige Durchsetzung der High-Tech-Norm ein Hindernis für die kinematografische Entwicklung darstellen würde. Befürchtet wurde eine restriktive Entwicklung der Formensprache des Kinos, aber auch, dass der Wettbewerb mit flexibleren Medien wie Zeitung, Buch oder Phonograph blockiert würde.

Mit den Lichtspielhäusern als Kontrastfolie präsentierte sich der portable Projektor als alternative Do-it-yourself-Variante des Kinos. Er passte in eine Kiste, die wie ein gewöhnlicher Aktenkoffer herumgetragen und von Person zu Person weitergereicht werden konnte. Zudem wurden die portablen Projektoren durchgängig mit der Behauptung vermarktet, dass sie leicht zu bedienen seien: Sie trugen Namen wie «Envoy», «Light-Weight» oder «Escort». Ihre Eigenschaft, von einem Ort zum anderen transportiert werden zu können, wurde hinsichtlich Marketing und Design, aber auch im Hinblick auf ingenieurtechnische Diskurse stets bezogen auf die Maßstäbe des menschlichen Körpers – vor allem dessen Fähigkeit, sich zu bewegen und mit dem Gewicht von Objekten umzugehen. Der neue Projektionist war kein Experte mehr, der während der Kinovorführung unsichtbar blieb, sondern ein Laienimpresario, ein Performer des Bewegtbildes, der eine expressive Form von Kreativität (wie beim Spielen eines Musikinstruments) mit der Beherrschung einer Maschine zu verbinden wusste, deren «Content» sich auf Knopfdruck freisetzen ließ. Diese Vorstellung menschlicher Aktivität entsprach einer Ökonomie, die konstant auf der Suche nach neuen Effizienz- und Persuasionsmodellen war. Beispielsweise vermarktete Kodak in den späten 20er Jahren den «Business Kodascope», der von Handlungsreisenden eingesetzt werden sollte – der Apparat funktionierte mittels eines Rückprojektionssystems, das jeden Schreibtisch in einen Bewegtbildschauplatz verwandeln konnte.

Andere Aspekte signalisierten die Portabilität des Projektors über den Umweg der Betonung seiner Anpassungsfähigkeit. Verschiedene Linsen und Glühlampenwattstärken ermöglichten seinen Einsatz in großen wie kleinen Räumen, womit auch eine gewisse Flexibilität bezüglich des Abstandes zwischen Leinwand, Projektor und Zuschauerschaft einherging. Ein Slogan von Kodak lautete «Tailor Made Production», was die Vorstellung einer maßgefertigten Passform, einer personalisierten Kompatibilität von Gerät und individueller Interessenlage evozierte. Starke oder schwache Lichtstärken, konzipiert für unterschiedlich große Räume und Publika, ergaben ein erstaunliches Spektrum an Bildgrößen, deren Einrichtung zum Teil auf Leinwandpraktiken früherer optischer Geräte aufbaute. Die Leinwände konnten auf Tischplatten oder mit Stativen aufgestellt, an Wänden oder Decken befestigt werden. Auch dauerhafte Anbringung war möglich, inklusive Halterungen, die hinter Vorhängen oder Wandteppichen verborgen blieben. Manche Leinwände rollten sich selbstständig zusammen und konnten diskret in Abstellräumen verwahrt werden. Andere ließen sich mechanisch in Mobiliar einziehen. Variabel waren dementsprechend auch die Leinwandgrößen – ihre Diagonale reichte von 30 cm bis zu 3,6 m. Die heute noch existierende, in Chicago ansässige Da-Lite Screen Company vertrieb unter dem Titel «The Portable Screen Family» ein Set aus 15 verschiedenen Leinwandgrößen; bereits 1934 befanden sich 50 Standardgrößen im Gesamtportfolio der Firma.6 Die Leinwände wurden je nach Raumanforderung, Lichtstärke, Sitzanordnung der Zuschauer und vorhandenem Stauraum ausgewählt. Mit anderen Worten: Die Leinwandgröße hing von den anderen Variablen des Gesamtsystems ab, wurde kontext- wie raumspezifisch ausgerichtet.

Aber wie bedeutsam war der portable Projektor, bzw. jene provisorische kinematografische Konstellation, die er konstiuierte? Kommt dem Apparat der Status eines Paradigmas zu? Zeigte er ein ganz anderes Kinomodell an? Oder handelte es sich lediglich um die so merkwürdige wie minoritäre Manifestation einer technologischen Konfiguration, die sich erst durch die spezifische Fluidität der Digitalisierung wirklich formieren sollte? Fragen wie diese können nicht notwendigerweise durch Zahlen beantwortet werden – hier sind dennoch einige, die aufschlussreich sind: Wir wissen, dass die Zahl der Kinos in den USA während der 20er Jahren allmählich anstieg, während der 30er Jahre abfiel, dann 1945 einen absoluten Höhepunkt verzeichnete, um schließlich in den folgenden zwanzig Jahren steil (um über 50 Prozent) abzustürzen: von 19 096 Kinosälen im Jahr 1945 bis zu 9 150 im Jahr 1963. Aus diesen Zahlen wurde meist geschlossen, dass ab Mitte des Jahrhunderts ein Kinosterben einsetzte und der Siegeszug des Fernsehens begann. Die Bedeutung des Fernsehens muss aber nicht bestritten werden, um gleichwohl zur Kenntnis zu nehmen, dass auch ein anderer Anstieg zu verzeichnen war: jener des anderen, des portablen Kinos. Die Verkaufszahlen von portablen Schmalfilmsystemen verdreifachten sich nämlich in den 50er Jahren.7 Im Jahr 1959 waren nach Schätzung der SMPE4 195 000 portable Projektoren in Benutzung. Das bedeutet, dass ein Projektor auf 42 US-Einwohner kam. Zur gleichen Zeit existierten 11 335 Kinotheater, was einer Gleichung von 15 627 Einwohner pro Kino entspricht. Grob gerechnet übertrafen die portablen Projektoren die Kinos demzufolge um den Faktor 370.

Natürlich können diese rohen Zahlen verschiedene bedeutsame Aspekte nicht abbilden – etwa die Sitzkapazitäten oder die Häufigkeit der Nutzung. Dennoch stellt die historische Existenz dieser portablen Systeme nicht nur eine produktive Herausforderung für all jene dar, die das Kino der Vergangenheit erforschen, sondern auch für jene, die nach seiner Zukunft fragen. Die portablen Systeme verweisen einerseits auf eine offensichtliche Kontinuität: auf eine Brücke zwischen den philosophischen Spielzeugen der Präkinematografie (Thaumatrop, Stereoskop, Zoetrop) und jenen Geräten, die wir dem «späten» Kino, der Postkinematografie zuordnen (Tablets, Laptops, Smartphones). Andererseits deuten sie auch auf ein Moment der Diskontinuität hin – in Bezug auf dominante, bruchlose Narrative der Filmgeschichtsschreibung. Der Blick auf portable Projektoren und Leinwände bietet die Möglichkeiten, bestimmte medienwissenschaftliche Diskurse neu zu justieren: über Konsum, Unterhaltungselektronik und technisches Spielzeug; über die immer schon komplexe multimediale Anatomie des Kinos, die Variabilität seines Bildes (Größe, Helligkeit, Schärfe, Geschwindigkeit) und die Bedeutung von «Expanded Cinema»; über die Art und Weise, wie kinematografische Praktiken alltägliche und institutionalisierte Räume transformiert haben und nicht zuletzt auch Diskurse, in denen verhandelt wird, inwiefern filmische Apparate mit wechselnden Ideen von Öffentlichkeit und Privatheit in Verbindung stehen.

Übersetzung: rot

 

1 Zum Frühen Kino siehe Rick Altman, Silent Film Sound, New York: Columbia University Press 2004, zum Übergangsprozess Donald Crafton, The Talkies: American Cinema’s Transition to Sound, 1926–1931, New York: Scribner 1997. Einen Widerspruch zum allgemeinen Konsens einer unterstellten Kohärenz des kinematografischen Apparatus formuliert Charles Acland, «Curtains, Carts and the Mobile Screen», in: Screen, 50/no. 1 (Spring 2009), S. 148–166.

2 Charles Musser, The Emergence of Cinema: The American Screen to 1907, New York: Scribner 1990.

3 Vgl. Regulations for Construction and Use of Portable Motion Picture Booths, New York: Bureau of Fire Prevention, 1915.

4 Vgl. Victor F. Alexander, «The Portable Projector: Its Present Status and Needs», in: Transactions of the Society of Motion Picture Engineers, 6 (April 1918), S. 29–32.

5 S. L. Rothafel, «The Motion Picture Theatre of the Future and the Equipment Probably Required,» in: Transactions of the Society of Motion Picture Engineers 14 (May 1922), S. 100–103.

6 Vgl. Da-Lite Screen Company advertisement, Educational Screen (April 1934), S. 89.

7 Alle Zahlen stammen vom US Department of Commerce, nachgedruckt in: The Wolfman Photographic Industry in the United States, June 1960.