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Episode GSI – Spezialeinheit Göteburg, Staffel 2, Episode 6: «Unter Beschuss»

Von Tom Holert

© ZDF

 

Aus Gewohnheit, aus Bequemlichkeit, aus Erschöpfung ist der Sonntagabend, auch und vielleicht gerade für einen, dessen postfordistische Existenz den Wochentakt im Grunde aufgehoben haben sollte, ein rituell vereinnahmter Termin. Um die fünfzigmal im Jahr muss ich mir eingestehen, dass das «Wochenende» lebensrhythmisch wirksam geblieben ist.

Zu den zeremoniellen Handlungen am Sonntagabend zählt dabei das Fernsehen. Fast notgedrungen, aber auch mit einer immer wieder zu durchleidenden Konstante: Tatort. Obwohl mich Kriminalfilme, Fernsehkrimis zumal, eigentlich prinzipiell langweilen, gucke ich das Zeug, aus Mangel an Alternativen oder doch eher, weil der Griff zur DVD am Ende der Woche einfach zu viel Entscheidungskraft verlangt.

Wenn der Tatort-Abspann läuft, stelle ich mich bereits auf das Folgeprogramm ein. Es beginnt um 22 Uhr. Nach der viertelstündigen Lücke, in der man sich in den Dritten Programmen durch Zusammenfassungen der Bundesliga-Sonntagsspiele zappen kann, beginnt im Zweiten Deutschen Fernsehen die rund neunzigminütige Folge einer «erstklassigen, prämierten und vielbeachteten europäischen Krimireihe» (ZDF). Als Herkunftsregionen dieser vermeintlichen Spitzenerzeugnisse kommen offenbar nur Großbritannien (Inspector Barnaby, George Gently, Luther, Sherlock, Inspector Lynley usw.) und Skandinavien (Der Adler: Die Spur des Verbrechens, Protectors – auf Leben und Tod, Wallander, Kommissarin Lund usw.) in Frage. Was die ZDF-Einkäufer letztlich antreibt, bleibt besonders bei den britischen Serien schleierhaft. Die skandinavischen Produkte, gern mit deutscher Finanzierung und bisweilen deutschen Schauspielern wie Marianne Sägebrecht oder Hanns Zischler (in dem vom ZDF koproduzierten Kommissar Beck) hergestellt, versorgen offenbar Phantasien über das angespannte Leben im kalten und lichtarmen Norden, die seit Jahren ungetrübte Popularität garantieren.

Gelegentlich wird im Medienfeuilleton die Frage aufgeworfen, wie es zu der exorbitanten Häufung von Gewaltverbrechen, organisierter Kriminalität und Ritualmorden in dem vergleichsweise dünn besiedelten Skandinavien kommt. Irgendeine einleuchtende kultursoziologische Begründung sollte es für diese im Verhältnis zur Einwohnerzahl außergewöhnliche Menge an «Schwedenkrimis» ja geben. Zumeist begnügt man sich mit müden Hinweisen auf die seltsame Liebe der Deutschen zu diesem Format.

Meine letzte Schwedenreihe war die zweite Staffel von GSI – Spezialeinheit Göteborg. Ich habe fast alle sechs Folgen gesehen, nicht unwesentlich animiert durch meine Lebenspartnerin, ohne die ich ohnehin viel weniger von der Welt des Fernsehkrimis mitbekäme. Die Serie handelt von der Bekämpfung des organisierten Verbrechens, das gern ethnisch markiert ist (pakistanische, albanische, somalische Migranten bilden Gangs usw.). Die im schwedischen Original titelgebende Figur dieser Truppe ist Johan Falk (Jakob Eklund), ein charismabefreiter Mittvierziger mit einem Lächeln aus Zement. Das Schillerndste an Falk heißt Frank Wagner (Joel Kinnamann, vgl. The Killing) und ist ein von ihm betreuter, gutaussehender Informant. Der V-Mann stammt aus einer Polizeifamilie und hat sich im Gangstermilieu schnell eine Führungsposition erarbeitet. Die Beziehung zwischen Falk und Wagner ist so intim, wie es die Beziehung unter Abhängigen nur sein kann.

Wagner aber will aussteigen, er hat Freundin, Kind und das Geld, in Südfrankreich ein Bistro zu eröffnen. Natürlich ist das nicht so einfach. Falk ist auf die Dienste seines Edel-Snitch angewiesen. Ohne ein Leck an der Spitze der Pyramide der Kriminellen macht die Polizeiarbeit noch mehr Mühe als sonst. Aber irgendwie schafft es Wagner zu Beginn der Staffel, sich unaufgedeckt aus Schweden zu entfernen. In den letzten beiden Folgen jedoch, vor allem in der finalen Episode «Unter Beschuss», muss er erkennen, dass seine Doppelidentität gewissen interessierten Kreisen nicht verborgen geblieben ist. Ehemalige KGB-Kräfte, die – ohne jede eigene Identität, die sie nach dem Fall des Sowjetreichs noch rechtzeitig aus den Datenbanken löschen konnten – aus Estland nach Schweden gekommen sind, um bei den dortigen Drogen- und Menschenhandelsgeschäften mitzumischen, haben sich über einen korrupten Anwalt Zugang zu den Geheimakten der GSI verschafft. Wagner wird zur Jagd freigegeben, die Gangkollegen setzen ein Kopfgeld auf den Spitzel aus. In dieser Konstellation klären sich die Fronten zunehmend. Im Wissen um die NSU-Morde und die Vertuschungsaffären des deutschen Verfassungsschutzes befremdet beim Betrachten der Sendung im ZDF, wie sauber hier die Welt aufgeteilt wird in solche, die das System der V-Personen gegen äußere wie innere Widerstände verteidigen, weil es angeblich der Aufklärung und Verhinderung von kriminellen Handlungen dient, und solche, die mit der Methode Infiltration so ihre Probleme haben, weil es ihr gewinnorientiertes Treiben stört.

Der Polizeiapparat erscheint als für unbefugte Außenstehende einsehbar, zudem verbürokratisiert und von politischem Karrieredenken des Führungspersonals bestimmt, weshalb es offenbar nur zu begrüßen ist, dass sich die Elitetruppe um Falk über Regeln und Gesetze hinwegsetzt, um ihre Leute, also die Informanten, vor der Illoyalität in den Führungsetagen ebenso zu schützen wie vor den auf Vergeltung drängenden harten Jungs aus dem OK-Milieu. Nachdem vor allem die mit neuester Abhörtechnologie und beeindruckendem Waffenarsenal ausgerüsteten russischen Powergangster, die dem V-Mann besonders effizient nachstellen, als skrupellose Todesschwadron ohne jeden Rest an Humanität eingeführt worden sind, erscheint es geradezu nachvollziehbar, dass die am Ende der Staffel vollends im rechtsfreien Raum operierenden GSI-Ermittler beim Showdown wie ein entfesseltes Exekutionskommando agieren. Doch die von Polizisten verübte, zudem rassistisch angehauchte Selbstjustiz wird in der Serie nicht etwa als problematisch, sondern durchaus mit Verständnis behandelt. Das bezeugt unter anderem das Interview mit einem – vermeintlich authentischen – V-Mann, wohl das Vorbild der Frank-Wagner-Figur, das dem Nachspann der Episode unterlegt wurde. Da ist viel von einer bedauernswerten Existenz nach erfolgter Enttarnung die Rede. Indirekt kann man hier auch ein Plädoyer für eine zunehmende Deregulierung der kriminalistischen Methoden heraushören. Wir resümieren: V-Personen sind rechtschaffene Opfer der Verhältnisse, und die für sie zuständigen polizeilichen Verbindungsleute sollten bei Bedarf über die Stränge schlagen dürfen. Wir resümieren des weiteren: Dies ist eine öffentlich-rechtliche Widerwärtigkeit. Wie schön, dass heute die zweite Staffel von Treme im Briefkasten lag.

GSI – Spezialeinheit Göteborg: «Unter Beschuss», ZDF, 19. Oktober 2012