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Fashion Hotel Vuitton

Von Stephan Herczeg

Einer dieser Tage, die nicht richtig hell werden. Ich sitze in meinem angemieteten Pariser Appartment und gebe mich melancholischen Stimmungen hin. Auf Youtube schaue ich mir dazu unterstützend Hotel Chevalier an, den schönen Kurzfilm, den Wes Anderson auf eigene Kosten in Paris gedreht hat, um ihn ein Jahr später als Vorfilm und Prolog für Darjeeling Limited zu verwenden. Der Kurzfilm spielt in einer Luxussuite eines Pariser Hotels, in der Jason Schwartzman auf den Besuch Natalie Portmans wartet, die sich – trotz Beziehungskrise – überraschend angekündigt hat. Ein paar seiner getragenen Socken liegen auf einem großen, altmodischen Reisekoffer aus braunem Leder mit bunten Tierornamenten, der Ziffer 3 und den Initialen der Filmfigur, die Schwartzman darstellt. Dieser Koffer, aber auch das gesamte Koffer- und Reisetaschen-Set, das später in DarjeelingLimited wie Ballast aus der Vergangenheit durch ganz Indien gekarrt wird, hat Marc Jacobs in bester Vuitton-Manier extra für Andersons Film gestaltet. Die Darjeeling Limited-Serie ging trotz großer Nachfrage nie in Produktion. Die einzelnen Gepäckstücke wurden nach den Dreharbeiten versteigert. «Do you want to see my view of Paris?», sagt Schwartzman gegen Ende des Kurzfilms zu Natalie Portman. Sie gehen zusammen auf den kleinen Balkon der Suite und blicken im Halbdunkel auf prächtige Pariser Häuserfassaden, so schön eingefangen, wie dies nur amerikanischen Regisseuren gelingt.

Ein paar Stunden später verlasse ich die schäbige RER-Station, die windige Pariser Stadtplaner ungefähr unter dem Arc de Triomphe deponiert haben. Oben die prachtvollsten Boulevards, darunter heruntergekommene 70er-Jahre-Untergrund-Architektur mit ein wenig Rot, kaum Licht, unvermieteten Ladenflächen und ratternden Rolltreppen, die in die Gegenwart führen. Schnell zu McDonald’s auf den Champs-Elysées, um einfach einen unprätentiösen, stinknormalen Kaffee zu trinken, der mal zur Abwechslung keine fünf Euro kostet. In der Warteschlange vor mir steht ein sehr zierlicher und teuer gekleideter Geschäftsmann mit feinem Kamelhaar-Mantel, dunkelbraunem Anzug, etwas zu schmal geschnittenen Schuhen und einer Louis-Vuitton-Herrentasche, Modell «Porte-Documents Voyage N41124» ohne personalisierte Initialen. Er bestellt zwei Cheeseburger, setzt sich mit seinem Tablett auf einen der hohen Hocker, die sich vor den Wandtischen befinden, belässt dabei aber, aus Diebstahlparanoia, die Vuitton-Tasche auf seinem Schoß.

Dreihundert Meter von der McDonald’s-Filiale entfernt, ebenfalls in bester Champs-Elysées-Lage, befindet sich der riesige Pariser Flagship Store von Louis Vuitton. Ein sich über mehrere Etagen erstreckendes, labyrinthisch verschachteltes Luxus-Kaufhaus mit Rolltreppe und Disneyland-Charakter, durch das sich glotzende Touristen, aber auch wohlhabende Zugereiste mit Konsumabsicht schieben. Schnell wird einem klar, und auch die ethnische Durchmischung des Verkaufspersonals lässt darauf schließen: Hier wird das Geschäft nicht mit europäischen Kunden gemacht, die mit Billigtickets nach Paris reisen und Kaffee bei McDonald’s trinken, den Umsatz bringen unglamourös aussehende Menschen aus China, Russland, Kasachstan oder Saudi-Arabien, für die Shoppen keine gelegentliche Freizeitbeschäftigung ist, sondern ein Dauerzustand, bei dem Geld schon lange keine Rolle mehr spielt.

Überall Regalwände, verglaste Verkaufstische. Überall Taschen, braune Taschen, schwarze Taschen, bunte Taschen, dazwischen Riesenscreens, auf denen in regelmäßigen Abständen Vuittons Chefdesigner Marc Jacobs mit und ohne Rock, privat und auf Modeschauen auftaucht und immer lacht. Die unbezahlbare ewige gute Laune des Marc Jacobs, der in den letzten fünfzehn Jahren der Marke Vuitton zu einem geschätzten Brand Value von 25 Milliarden Dollar verholfen hat. Das ist dreimal soviel wie Ikea, doppelt soviel wie H & Mund entspricht immerhin noch zu einem Drittel dem Markenwert von Coca-Cola. Mit der Rolltreppe weiter in die oberen Stockwerke: Reisekoffer, Aktentaschen, Accessoires, Damenmode, Herrenmode, Schuhe, Tücher, Schmuck und die unvermeidliche kleine Wohlfühlbuchhandlung. Leichter Hass auf schöne Bildbände, exzellent verarbeitete Taschen und Luxus im Allgemeinen stellt sich ein. Die in den Geschäftsräumen herrschende rummelige, fast schon abgeschmackte Stimmung erstickt jede Exklusivität und macht meine Hotel Chevalier-Stimmung kaputt. Nicht so schöne Überheblichkeitsgefühle wallen in einem auf: Gibt es auf Neureichen-Niveau etwas Einfallsloseres als mit Hilfe einer von wirklich jedem wiedererkennbaren Vuitton-Tasche seinen Wohlstand plakativ nach außen hin zu demonstrieren? Altes gemütliches Hippie-Argument, auch auf Mercedes oder Rolex anwendbar. Aber es gilt, der perfiden pseudohedonistischen Einlullung der Welt entgegenzutreten.