praschl

Müdigkeit

Von Peter Praschl

«Are you happy?» – «Let’s go to the drugstore»

Lange Zeit habe ich nur schwer einschlafen können. Ich lebte in einer Stadt, die bloß ein Ort war, an dem ich Geld verdiente, ich hatte keine Wohnung, bloß ein Zimmer, in das ich erst nach Mitternacht kam und das ich vor neun Uhr morgens wieder verließ, ich hatte keine Möbel, bloß eine Herdplatte und eine Matratze, auf der ich nicht einschlafen konnte, Laptop auf meiner Brust, halb betäubt vor Müdigkeit, You-Tube-Schnipsel gegen die Scham und den Überdruss, in diese Lage geraten zu sein, den Bildern hinterher, dem richtigen Leben hinterher (Träume ersetzend, an die ich mich ohnehin nie erinnern konnte, «was soll eine Psychoanalyse, wenn Sie nicht einmal träumen?»), Jean-Pierre Léaud, der eine Schallplatte auflegt und Françoise Lebrun ein Chanson vorspielt («es gibt keine Festungen mehr, aber es wird immer Lieder geben»), Guillaume des Forêts, der in einem Restaurant Isabelle Weingartens Knie streichelt («Are you happy?» – «Let’s go to the drugstore»), Isabelle Huppert, die Natalie Baye Auskunft über ihr Leben gibt («And you? Are you happy?» – «No, I have problems. But nothing really serious. Nothing you could write a novel about.»), zu müde für französisch, gerade noch wach genug für englisch, in einem zweiten Fenster den Filmen hinterher, imdb, senses of cinema etc. pp. , Schnipsel vor dem Endlicheinschlafenkönnen, schon lange nicht mehr genug Zeit für ganze Filme (ein ganzes Leben), bloß diese Ausschnitte, die irgendwelche mir ähnlichen Leute auf Youtube gestellt hatten, Nachbilder aus der Zeit, in der man noch ins Kino ging, um ganze Filme zu sehen (als man noch ein ganzes Leben hatte), immer tiefer in dieser Scham versinkend, kein ganzes Leben mehr zu haben (wie jung wir damals waren, immer im Kino sitzend, die besseren Gespräche, das bessere Leben), in dieser Scham, nur noch mit Hilfe dieses Laptops überleben zu können (Eustache, Bresson, Godard, die mir das Leben gerettet haben: Angestellten-Doping), diese seltsamen Youtube-Lebensschnipsel, die man sich mühelos zu einem richtigen Leben zusammensetzen konnte (im falschen, das man selbst führte), um am nächsten Tag wieder auflaufen zu können, To-Do-Listen abarbeitend von Montag bis Freitag (der Abendflug), um von Freitagabend bis Montagmorgen (der Rote-Augen-Flug) ein halbwegs richtiges Leben zu leben, dabei dieses Wissen (man war ja nicht blöde geworden plötzlich, immer noch nicht), dass man nur deswegen so spuren konnte, weil man sich diese Nacht-Identität zugelegt hatte (ich: der Typ, der sich nachts auf Youtube Godard, Bresson, Eustache reinzieht, um nicht durchdrehen zu müssen) und wie das alles dem Geist (Geist?) widersprach, in dem diese Schnipsel gedreht worden waren (und den sie immer noch ausstrahlten, Nacht für Nacht), (& immer noch nahm ich mir vor, irgendwann einmal wie in diesen Filmen zu leben, endlich), (das richtige Leben einfach nur eine bestimmte Art und Weise, über das falsche Leben zu sprechen) (& die Erleichterung in dieser einen Nacht, in der ich auf Youtube sah, dass Paddy McAloon immer noch «Cars and Girls» sang & dabei immer noch gut aussah, noch besser sogar als damals, nämlich mit einem Mal wie der Big Lebowski), (& dann doch eingeschlafen, endlich, während Youtube weitersendete, immer weiter) (share) (replay) (während man aufwachte und weitermachte & nichts geschehen war) (nur dieser kaum von einem selbst wahrgenommene Abstand zum falschen Leben) (als ob das jemand anderem auffiele)