gespräch/webmagazin

17. Februar 2017

«Den eigenen Abgrund konsumieren» Gespräch mit Josef Hader über seinen Film Wilde Maus

Von Ekkehard Knörer

cargo: Ich sag einfach mal die Wahrheit: Ich fand den Film nicht sehr gut…

Hader: ...ja

Ich war enttäuscht…

...ja

Und zwar darum: Ich habe einige Interviews mit Ihnen gelesen, in denen Sie von "Tragikomödie" sprechen. Und ich verstehe das Anliegen, dass man keine der beiden Seiten, das Tragische oder das Komische, wirklich überwiegen lässt. Mein Gefühl ist aber, dass es sich der Film dann doch immer wieder zu leicht macht, nämlich da, wo es wirklich existienziell bitter wird, wo, nur ein Beispiel, der von Ihnen gespielte Protagonist Georg Endl auf der Couch sitzt und weint, nachdem ihn seine Frau der Wohnung verweist - da muss dann gleich zur komödiantischen Unterbrechung die Putzfrau reinkommen. Das ist eine Form von Erleichterung oder Erlösung, die ich zu schnell und zu einfach und zu billig finde.

Ich kann sofort verstehen, wenn Sie sagen, dass Sie den Film zu wenig entschieden finden. An dieser Situation kann ich es allerdings nicht so festmachen. Es gibt viele, die meinen, es sei doch klar, dass der nur so tut, als würde er weinen in dem Moment.

Das wäre dann die zynische Lesart dieser Szene. Aber tut er dann am Ende auch nur so, als würde er sich umbringen?

(langes Nachdenken) Also ob er sich selber nur ein großes Theater vorspielt? Und ob er nicht nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen will, wo er sich selber zuschaut dabei? Und ob er den Ausgang vielleicht noch nicht genau kennt, aber sich aus einer Mischung von Trotz und Angst dann möglichst weit hineintreibt: Das kann durchaus sein. Wie weit er sich jetzt selber umbringen will - nun, da sind wir wieder bei dem Punkt, dass Sie die Entschiedenheit so lieben und ich die Unentschiedenheit. Die Entschiedenheit, die Sie von mir fordern, das akzeptiere ich sofort, aber die Unentschiedenheit der Figuren: Das ist Teil des Plans.

Unentschiedenheit wäre nicht das Wort. Ich habe nichts gegen Ambivalenz, nichts gegen Auf-der-Kippe-Lassen. Ich finde es dann aber doch immer zu eindeutig, oder vielleicht genauer: Ich finde dass der Film immer von einer Eindeutigkeit zur anderen..

...zur anderen springt… Ja, ein wenig bin ich natürlich auch vor dem Problem gestanden, dass die Mittel, die mir zur Verfügung stehen als Regisseur im Grund die eines Anfängers sind und dass ich, wenn Sie so wollen, mit großer Hingabe etwas gebastelt hab, das dem entspricht, wie ich es jetzt kann in meinem ersten Film. Es ist andererseits auch eine Frage der Sichtweise, des Geschmacks, wie extrem man die Parameter gerne haben möchte.

Ich finde, man muss diese Geschichte sehr ernst und geradezu persönlich nehmen, denn es geht um die existenzielle Krise eines Menschen.

Ja.

Ich finde aber, dass der Film die existenziellen Aspekte nicht erfasst. Das hat gar nichts damit zu tun, dass man nicht die komischen Momente an einer solchen tiefen Krisensituation zeigen kann; aber der Film lässt sich, da sind wir wieder am selben Punkt, letztlich nicht auf das Existenzielle der Situation ein. Ein bisschen vielleicht auch, weil Sie zeigen wollen, dass Sie einen Film machen können. Es gäbe ja eventuell auch eine ganz andere Freiheit als die dieses Könnens, eine Freiheit, die sagt: Ich weiß nicht, wie's geht, aber ich mache jetzt einfach mal ganz radikal, was mir richtig scheint. Das kann paradoxerweise auch bedeuten, dass man etwas probiert, von dem man nicht weiß, ob es nicht ganz falsch ist.

Meine Überlegung war, und das ist auch eine Schnittüberlegung gewesen: Je leichter die Sache daherkommt, desto böser ist sie. Ich hätte das Material durchaus gehabt, die Szenen so quälend stehenzulassen, wie es im österreichischen Arthouse-Filme durchaus verbreitet ist. Das hätte ich tun können. Und diese Möglichkeit habe ich sehr bewusst nicht ergriffen, weil ich mir gedacht hab' - und das ist auch die Art und Weise, wie ich meine Kabarettprogramme machen -, dass die Leichtigkeit eine bösere Art ist, die Dinge darzustellen, als wenn man den Leuten die Katharsis auf dem Tablett serviert. Ich bin jemand, der grundsätzlich nicht elitär sein möchte in den Dingen, die er macht. Ich möchte das Tor möglichst weit auf machen. Ich möchte, dass der Zuschauer sich die Dinge abholen kann, wenn er will, und wenn er's nicht tut, dann nicht. Aber ich möchte ihn nicht beim Ohr nehmen und nach vorn hinbeugen und sagen: Da schau, da ist der Abgrund, da schau hinunter, da schau, schau, schau.

Das wäre für mich jetzt auch die falsche Alternative. Ich denke an eine andere Figur. Kennen Sie die Sachen des amerikanischen Stand-Up-Comedian Louis CK?

Ja.

Das ist ja nun auch nicht der österreichische Arthouse-Film. Da gibt es eine Art, mit Abgründen umzugehen, die noch einmal eine andere ist.

Da brauchen wir nicht drüber reden. Das ist ganz großartig. Da stimmen wir vollkommen überein, in dem Fall.

Aber würden Sie nicht sagen, dass Sie das eigentlich auch könnten? Also nicht Louis CK imitieren. Aber Louis CK ist sehr, sehr mutig darin, sich persönlich auch selbst immer wieder aufs Spiel zu setzen, seine Tragikomik funktioniert, weil er selbst etwas riskiert, fast kann man sagen: existentiell riskiert.

Finden Sie die früheren Filme, in denen ich nur gespielt habe, mutiger als diesen jetzt?

Die Brenner-Filme finde ich auf eine konventionellere Weise stimmiger. Das ist nicht unbedingt ein Kompliment.

Das interessiert mich, weil ich mich als jemanden empfinde, der sich auf einem Weg befindet. Ich habe in meinem Leben schon einige schlechte Kritik bekommen, die mir sehr weitergeholfen hat und mich dazu getrieben hat, wieder einen Schritt weiterzugehen. Wenn Sie sagen, mein Film hätte diese Art von Radikalität haben können, dann stimme ich Ihnen zu - er hätte sie haben können. Ich habe nicht die Mittel dazu gefunden bei meinem ersten Film. Es wird hoffentlich nicht mein letzter sein. Für die Geschichte, die ich hier erzählen wollte, kann ich mir diese Art von Radikalität für die Geschichte nicht so vorstellen, die existenzialistische Situation, die Sie einfordern, die ist in der Geschichte für mich nicht drin.

Warum nicht?

Weil das mit diesem Personal ein wenig so ist wie in Mozart-Opern, dass die Leute ihre eigenen Gefühle und ihren eigenen Abgrund gleichzeitig auch konsumieren.

Das wäre das, was Sie mit "böse" meinen? Es ginge also darum, dass die Menschen noch nicht einmal in der Lage sind, existenzielle Krisen zu erfahren?

Sie genießen sie. Und da kann man auch wieder sagen: Ich hätte das extremer darstellen müssen, dann wäre es Ihnen klar geworden. Da bin ich auch dabei.

Da ist man dann aber doch wieder bei der Selbstmordfrage. Kann das eine Inszenierung von Selbstgenuss sein?

Da bin ich überzeugt davon.

Das hieße, dass er dann doch beglückt ist, dass, bevor er ernst machen kann, Publikum auftaucht?

Nein, nein. Ich glaube, der ist nicht beglückt, dass Publikum auftaucht. Aber der hätte mal ein bisschen von dem Selbstmordcocktail geschluckt, dann wieder etwas ausgespuckt und so weiter. Aber umgebracht hätte er sich nicht. Vielleicht hätte man das zeigen müssen. Da gibt's bestimmte Punkte, und das sind vielleicht nur Kleinigkeiten, wo man noch ein bisschen hätte graben können. Da stimme ich mit Ihnen überein. Aber die Erlösung des großen Dramas wollte ich auch nicht bieten. Und darum endet das auch so, wie es endet. Wenn ich unentschiedene Leute schildere, dann ist ein unentschiedenes ein schlüssiges Ende. 

Das Gespräch führte Ekkehard Knörer