gespräch/video

10. April 2011

Twin Brother – Jean-Pierre Gorin im Gespräch

Von Michael Baute und Simon Rothöhler

Das filmische Werk des 1943 in Paris geborenen Jean-Pierre Gorin beginnt mit einer inzwischen legendären Begegnung. Unter dem Namen «Dziga Vertov Group» kollaborierte er Ende der 60er Jahre bis 1975 mit Jean-Luc Godard, der 1967 für seinen Film La chinoise in linksmilitanten Kreisen recherchierte und dabei auf Gorin traf. Über das Produkt dieser ersten Gespräche (ein Mao-Morgengymnastik-Milieufilm, aus dem im Lauf der Jahrzehnte eine famose Zeitkapsel werden sollte) war Gorin alles andere als glücklich. Dennoch kam es zu einer Reihe von Filmen, in denen sich Godard & Gorin die Autorschaft de facto teilten: Lotte in Italia (1969), Vladimir et Rosa (1971), Tout va bien (1972), Letter to Jane (1972) und Ici et ailleurs (1975).

Im Anschluss an diese letzte gemeinsame Arbeit folgte Gorin einer Einladung des amerikanischen Kritikers und Malers Manny Farber an die University of California nach San Diego. Dort arbeitet und unterrichtet er bis heute. Gorins filmisches Werk geht in den USA in gewisser Weise nochmal von vorne los, mit drei in relativ großen zeitlichen Abständen gedrehten Essayfilmen. In der dabei entstandenen «California Trilogy» geht es um die vermeintliche Privatsprache der Zwillinge Gracie und Ginny Kennedy  (Poto and Cabengo, 1979), Modelleisenbahnenthusiasten, die sich auf dem Del Mar Fairground treffen, montiert mit Farber-Bildern (Routine Pleasures, 1986) und um eine Samoa-Gang in Long Beach (My Crasy Life, 1992).

Gorin übersetzte sein offenes Verständnis des Essay-Formats 2007 auch in eine eine Retrospektive für die Viennale: «Der Weg der Termiten. Beispiele eines Essayistischen Kinos 1909-2004», die mit Griffith’ A Corner in Wheat beginnt und mit Godards Moments choisis des Histoire(s) du cinéma endet (der großartige und nicht nur wegen Gorins Begeisterung für The Wire unbedingt sehenswerte My Crasy Life war damals nicht Teil der Retrospektive, Criterion arbeite schon seit Ewigkeiten an einer DVD-Publikation der Trilogie). Nach einem Film über Peter Sellars Salzburger Inszenierung von Messiaens Saint Francois d'Assise (Letter to Peter, 1992) hat sich Gorin neben zahlreichen Lehr- und Vortragsverpflichtungen zuletzt auch als Produzent betätigt: M/F remix (Jy-Ah Min, 2010), eine Relektüre von Godards Masculin, féminin   Simon Rothöhler

Jean-Pierre Gorin on The Legacy of the Dziga Vertov Group
Jean-Pierre Gorin on His California Trilogy, the Two Tribes of Cinema and Philip K. Dick
Jean-Pierre Gorin on Jean-Luc Godard and the Beauty of First Films
Jean-Pierre Gorin on The Essay Film and His New Role as a Producer
Jean-Pierre Gorin on The Wire and the Migration of Craft