gespräch/video

31. März 2009

ArtCinema – Apichatpong Weerasethakul im Gespräch

Von Ekkehard Knörer und Simon Rothöhler

Nach nur vier Spielfilmen gilt der in Thailand geborene und aufgewachsene Apichatpong Weerasethakul bereits heute als einer der bedeutendsten Autorenfilmer seiner Generation. Wir sprachen mit ihm über seine Herkunft und Ausbildung, den Kunstraum, Filmfestivals und die thailändische Popkultur.

Apichatpong Weerasethakul on his background and education
Apichatpong Weerasethakul on cinema vs. gallery
Apichatpong Weerasethakul on the violent history of Nabua
Apichatpong Weerasethakul on popular culture in Thailand
Apichatpong Weerasethakul on film festivals and Kick The Machine
Apichatpong Weerasethakul on The Adventure of Iron Pussy (2003)
Apichatpong Weerasethakul on his next project

Ungewöhnlich ist Apichatpong Weerasethakuls Werdegang. Nach einem Architekturstudium in Thailand ging er in die USA, um Film zu studieren. Aber nicht an eines der üblichen Film-Departments, sondern an das Arts Institute of Chicago. Seine Spielfilme reüssierten schnell in Europa: Blissfully Yours (2002) gewann in der Nebenreihe von Cannes Un certain regard, im Jahr 2004 verlieh die Jury unter Quentin Tarantino dem Nachfolger Tropical Malady den Großen Preis der Jury im Wettbewerb.

Das Kino Arsenal zeigt nun in einer großen Retrospektive, die zuvor im Österreichischen Filmmuseum gastierte (dort ist zudem ein neues Buch über Weerasethakul erschienen), auch etliche Kurzfilme und Videos, die ursprünglich für den Galerieraum produziert worden sind und nun Eingang in den des Kinos finden. Weerasethakuls neueste Arbeit, die Installation Primitive, ist derzeit im Münchner Haus der Kunst zu sehen. In das Umfeld dieses Projekts gehört auch das gut zehnminütige Video Phantoms of Nabua, das im Netz verfügbar ist (auf der Website Animate Projects). cargo-Autor Michael Sicinski hat es sich angesehen:

Phantoms of Nabua ist Bestandteil von Weerasethakuls aktuellem Primitive-Projekt, dessen erster Teil, A Letter to Uncle Boonmee, im Münchner Filmmuseum seine Premiere hatte. [Anmerkung zu den etwas komplizierten Produktionsbedingungen:: In Auftrag gegeben wurde Primitive vom Haus der Kunst (München), FACT (Liverpool), Animate Projects (London). Produziert von Illuminations Films (London) und Kick The Machine Films (Bangkok)."] Es ist im Moment noch nicht abzusehen, ob aus Primitive am Ende ein Spielfilm wird. Nimmt man Phantoms zur Grundlage, wäre es auf jeden Fall Weerasethakuls bisher abstraktester Film – und das will was heißen. Natürlich hat er neben den Spielfilmen auch Videos und Experimentalfilme gedreht, und Phantoms ist ein dunkles, dichtes, Skulptur-und-Performance-basiertes Werk, das sich sehr gut sehen lassen kann neben seinen Kurzfilm-Kunststücken wie Worldly Desires und My Mother's Garden.

Das Video beginnt mit der Einstellung eines Nachthimmels in der Abenddämmerung. Pechschwarze Baumsilhouetten, Rauschen und mitten durchs Zentrum der Bildkomposition geht ein gleißender weißer Riss aus fluoreszierendem Licht. Die gewählte Perspektive lässt das so aussehen, als schwebe eine Dan-Flavin-Skulptur auf einem Dorfplatz, der umgeben ist von einem seltsamen Dschungel, so eine Art Thai-Version von Marfa, Texas vor seiner Entdeckung.

Schnell bewegt sich Phantoms vom streng Skulpturalen in Richtung Video-Installation. Wir erkennen, dass Weerasethakul eine Doppelprojektion filmt; eine behelfsmäßig aufgebaute Leinwand in einiger Entfernung zeigt das, was wir kurz davor gesehen haben, jetzt in sogar noch größerer Finsternis. In der zweiten Einstellung sehen wir ein winziges, beinahe briefmarkenkleines projiziertes Bild der vorangehenden Einstellung, das in der linken unteren Ecke eines Bilds flackert - darum herum die Bäume und der Wind. Der nächste Trick: Joe reinszeniert Walter de Marias Lightning Field im kleineren Maßstab, indem er fast durchweg kerzengerade elektrische Lichtblitze (ich bin nicht sicher, ob es wirkliche Blitze sind oder generatorerzeugte Stromschläge) auf den Dorfplatz jagt und damit umstehende Gestalten, Gebäude und Bäume in unregelmäßige Lichtbäder taucht. In der Ferne sehen wir etwas, das wie ein Kirchturm aussieht und es wird deutlich, dass diese shock-and-awe-Skulpturen formal ununterscheidbar sind von den Leuchtbildern, die Bombeneinschläge in der Nacht erzeugen.

Wenn dann Menschen als Schattenfiguren aufzutreten beginnen, wird der Blitzschlag-Teil der Vorführung wiederholt, diesmal als Projektion in einiger Entfernung. Jetzt ist Weerasethakuls Grundgedanke klar. Jedes einzelne der Lichtphänomene, insbesondere jene, die Erleuchtung und Zerstörung als ununterscheidbar vorführen, wird wiederholt: einmal als direktes Bild, dann als doppelt distanziertes Bild. Es ist nicht ganz einfach, dabei nicht an Baudrillards oder Virilios Thesen zur televisionären Kriegsführung zu denken. In deren Zentrum steht jene die kognitive Dissonanz, die daher rührt, dass Horror und Erhabenheit des Krieges dabei klein und kontrollierbar scheinen. Aber die Kräfte, die Weerasethakul sich hier nutzbar macht, sind so elementar (in der Tat "primitiv"), dass Metaphern ihren laserscharfen Materialismus nur entschärfen können.

Dieses Problem, und das Phantoms of Nabua-Video insgesamt, erreicht seinen Umschlagpunkt gleich nach der Zwei-Minuten-Marke, wenn drei Lichtquellen gleichzeitig in einer Einstellung zusammentreffen, in einer von links nach rechts absteigenden Diagonale. Oben links: ein fluoreszierendes Doppelkreuz. Im Zentrum: die Videoprojektion der Blitz-Entladungen. Und dann bricht aus der rechten unteren Ecke das banale / mystische Fetisch-Objekt ins Bild, das den Rest des Films dominieren wird.

Zunächst nicht sichtbare Spieler kicken einen flammenden Fußball auf das Spielfeld. Während sie ihn dann vor- und zurückdribbeln, und während sie selbst zu wachsen und zu schrumpfen beginnen, scheinen diese Spieler mannigfache Eigenschaften anzunehmen. Vor allem sind sie Performance-Künstler, die mit der Video-Leinwand interagieren. Sie sind aber auch die Hüter der Flamme, die ihre Kraft dareinsetzen, sie vor der alles-verschlingenden Dunkelheit zu bewahren. Sie sind zugleich, das wird durch die freiere, beweglichere Kameraarbeit deutlich, Spieler in einer Partie, ganz normale Menschen, die sich einer alltäglichen Vergnügung hingeben, die, als mit sich selbst sehr vertraute Charaktere, die Idee von Kunst als Gemeinschaft verkörpern, ein Zugehörigkeitsgefühl, Spieler, die wissen, dass jede ihrer Bewegungen stimmt. Natürlich ist ein solches Bild bei Weerasethakul niemals rein und unproblematisch affirmativ. Wenn ein Spieler den Ball perfekt trifft und der Ball dann in die Luft steigt, fliegt er mit einem unheimlichen Whoosh durch den Nachthimmel und sieht aus und klingt wie gedämpftes Artilleriefeuer. In prekären Zeiten, in denen die eingeübten männerbündischen Gesten gleich mühelos im Sport wie in der Gewalt zum Einsatz kommen können, kann man sich auch zu wohl in seiner Haut fühlen.

(Übersetzung: Ekkehard Knörer)