spielfilm

16. Oktober 2011

In virus veritas Zu Contagion von Steven Soderbergh

Von Simon Rothöhler

© Warner Bros. Pictures

 

«Das Wort Pandemie (πανδημία) ist aus den griechischen Wörtern πᾶν (Transliteration pān) ‹alles› und δῆμος dēmos ‹Volk› abgeleitet, es bezeichnet also etwas, das ‹das ganze Volk› trifft.» (Wikipedia)

 

Szenen einer Ansteckung, die «das ganze Volk trifft», gefilmt in klinisch-registrierenden HD-Bildern (Akquise: RED Epic-X). Ein virales Netz zieht dieser visuell so desinfizierte Film in pandemischen Bewegungen über den Globus: Orte, Einwohnerzahlen, Tagesangaben blinken kurz auf, da ist Contagion schon beim nächsten Herd, bei der nächsten Übertragung. Soviel Weltinnenraum war selten, ein immunes Außen gibt es hier nicht; Virenströme, Warenströme, Kapitalströme verhalten sich schon längst nicht mehr epidemisch. Soll man Contagion als Film über globale Interdependenz in der Post-Lehman-Brothers-Welt verstehen? Ist die WHO «too big to fail»? Wer will, kann in Contagion auch die paranoid ausformulierte Phantasie eines rechten Isolationismus am Werk sehen, das Grauen vor dem (ohnehin bereits erreichten) Zustand unmöglicher Abschottung. Würden verheiratete Frauen weniger um die Welt fliegen, würden sie in Hongkong keine ungewaschenen Hände schütteln, nicht in die falsche Nussschale greifen und schon gar nicht in Chicago mit dem Ex fremdgehen, während der weniger reisefreudige Gatte (trantassig: Matt Damon) arglos den Stammsitz in Minneapolis hütet und gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Gwyneth Paltrow, die promiskuitive Killervirusbotin, bezahlt den Seitensprung jedenfalls mit einem digitalen Spaltschädel (forcierte Hirnlosigkeit). Zu diesem mindestens konservativen Hintergrundrauschen gibt es feinjustiert Elektronisches auf der eigentlichen Tonspur (Score: Cliff Martinez). Wie in Melancholia geht die Welt gut (wenngleich unwagnerianisch) eingetaktet zu Grunde – und sieht dabei recht prächtig aus. Vielleicht sind Soderbergh und Trier zwei vergleichbar konsequente Zyniker, auch im Umgang mit Stars (man denke an die entgeistert in die Golfplatzsandgrube pinkelnde Kirsten Dunst – hat ihr Trier vermutlich als künstlerischen Drahtseilakt verkauft; wie plausibel (ein Scherzkeks würde sagen: organisch) wirkt es dagegen, wenn Maya Rudolph in BRIDESMAIDS, ebenfalls im Brautkleid, eine vielbefahrene Straßenkreuzung in Anspruch nehmen muss). Wer sich die durchschnittliche Phobie leistet, in U-Bahnen ungern an die Haltestangen zu fassen, wird bei Contagion fraglos einen echten  Horrorfilm erleben. Nervöse Montage-Sequenzen und untergründig pochende Phasen postapokalyptischer Ruhe sind die Rhythmen dieser Sammlung toxischer Gesten. Gut auf Distanz halten kann man Contagion hingegen bei den albernen Aussie-Auftritten von Jude Law («print media is dying»), die arme Charge. Nicht nur bezüglich der wie Fliegen wegsterbenden Starschauspieler (Mensch Mildred! Wieder muss Winslet besonders leiden), sondern auch als Dramaturgiemodell sind die Hierarchien hier strategisch flach gehalten. Stures und-dann-und-dann, Zeit die abläuft, knapp wird, aus ist; Ausweitung der Ansteckungszone, in a nutshell.

Contagion (Steven Soderbergh) USA 2011, Kinostart am 20.10.2011