spielfilm

3. Oktober 2011

Sommerhaus Olivier Assayas im Arsenal

Von Bert Rebhandl

Ein Haus mit Atelier und Garten in bester Lage, nicht allzu weit von Paris entfernt, in einem grünen Tal mit Bahnanschluss. Vor dreißig Jahren hat hier der Maler Paul Berthier gearbeitet, nun sind hier nur noch Hélène, die seinen Nachlass verwaltet, und Éloise, die Haushälterin. Ab und zu kommen die Kinder von Hélène vorbei, und deren Kinder, die zu Beginn von L'heure d été (2008) von Olivier Assayas bei einer Schnitzeljagd zu sehen sind – am Ende wird das älteste Mädchen schon einen Freund haben, und mit ihm durch die Wiesen streifen.

In einer Reihe von Szenen wird hier verhandelt, was in einer Familiengeschichte von früher bleiben kann – zwei Bilder von Corot, die im 19. Jahrhundert dem Vorgänger der jetzigen Besitzer des Hauses vom Maler selbst geschenkt wurden, bedeuten den Jugendlichen nicht viel – sie zu gehören zu «un autre epoque», einer anderen Zeit.

Zwei Brüder und eine Schwestern bilden die mittlere Generation, die Assayas ins Zentrum stellt: Frédéric, der Wirtschaftsprofessor; Jérémie, der Wirtschaftstreibende, der in China von der Globalisierung profitiert; Adrienne, die Designerin, die in New York lebt, und in der das Kunstmoment weiterlebt, von dem das Anwesen geprägt ist, das eine Sammlung von wertvollen Stücken enthält, Vasen und Möbelstücke, Skizzenbücher und Schmuck, und eine (zerbrochene) Fliese von Degas.

Wie kann man das alles zusammenhalten, wenn Hélène nicht mehr da ist? Man kann nicht. Assayas erzählt von der Abwicklung eines Erbes, und damit auch vom Ende einer «Epoche», in der die Kunst noch zum Leben gehörte, und von der gegenwärtigen Epoche, in der Frédéric und seine Frau ins Museum gehen müssen, um ihre Lieblingsstücke von früher noch einmal zu sehen. Dabei ist die Zeit der Kunst durchaus ambivalent besetzt, denn Hélène hat ihr Leben mehr oder weniger dem großen Subjekt Paul Berthier geopfert, sie hat ihre Kinder aber mit ihren Ehemann bekommen, Monsieur Marly, Vertreter für Radiatoren.

Von ihm, dem wie der Maler auch zu Beginn schon Abwesenden, stammen die Figuren ab, von denen Assayas erzählt – in einer diskreten Abspielung auf die «Erbsünde» in The Magnificent Ambersons: gewöhnlich zu sein. Das Haus ist die Verbindung zu einer Vergangenheit, die nicht gehalten (und schon gar nicht «erworben») werden kann, um sie zu besitzen. Man kann nur sich noch kurz ein wenig darüber erstaunen, dass man beim Essen im Garten noch genau so beisammen sitzt wie schon damals, als der Maler noch Hof hielt, wovon heute eine Fotografie in einem Katalog kündet.

 

Mit L'heute d'été hat Assayas eine Brücke zwischen seinem Kostümfilm Les destinées sentimentales und seinem Jugendfilm L'eau froide gebaut, mit vielen Beziehungen auch zu seinem Schlüsselwerk Fin aout, début septembre (1998)

Alle zu sehen in der vollständigen Retrospektive Olivier Assayas im Arsenal, 1. bis 31. Oktober

L'heure d'été am 3. 10., 20 Uhr, und 7. 10., 19.30 Uhr. Olivier Assayas wird am 3. und 4. Oktober persönlich bei den Vorführungen im Arsenal anwesend sein