spielfilm

3. Juni 2009

Shalom, Tsahal Life According to Agfa (1992) von Assi Dayan ist nicht nur einer der erfolgreichsten israelischen Arthausfilme, sondern die immer noch gültige Allegorie der Nöte der Linken zwischen politischen Friedenshoffnungen und individueller Freizügigkeit

Von Bert Rebhandl

Life According to Agfa

© Yoram Kislev

 

Das Barbie in Tel Aviv ist eine Bar, in der ganz Israel sich nachts zum Trinken trifft. Während der Pianist und Sänger Czerniak ein Lied auf den arabischen Koch singt («Hey, Samir, habt ihr endlich euer Land?»), grölen Soldaten in einer Ecke ihre kämpferischen Hymnen. Sie wurden von Dahlia, der Besitzerin des Barbie, mit einem bezeichnenden kollektiven Titel begrüßt: «Shalom, Tsahal.» Die Armee tritt immer geschlossen auf, aus ihren Reihen schert keiner aus. Assi Dayan erzählte 1992 in Life According to Agfa von einer Nacht im Barbie, einer Nacht in Schwarzweiß, einer Nacht «ein Jahr in der Zukunft». Der melancholische Tonfall der Geschichte verweist auf eine Gesellschaft, die sich ihre Zukunft gerade verbaut, die zielsicher auf eine Katastrophe zusteuert.

Die Nacht im Barbie gibt noch einmal Gelegenheit, die vielen Schicksale anzureißen, die ein Staat wie Israel hervorbringt: Ricky (Rivka), die aus einem Kibbuz geflohen ist und Mann und Sohn verlassen hat, weil es ihr dort zu eng war; der Drogenpolizist Benny, der wahllos und lieblos mit Frauen schläft; der alternde Eli, der Krebs hat und seine Krankheit vor seiner Familie und vor seiner Geliebten Dahlia verheimlicht; die kokainsüchtige Kellnerin Daniele, die ein Visum für die USA hat und sich gar nicht so sicher ist, ob es dort besser sein wird; Samir, der verletzt zur Arbeit kommt («ein paar Steine, eine kleine Demonstration»), der Soldat Nimrod, der im Krankenhaus liegt und den seine Kameraden zu einer Nacht ins Barbie schleppen. Der enge Raum der Bar ermöglicht Assi Dayan, die Heterogenität der israelischen Gesellschaft markant zu verdichten. Jede moralische Handlung ist latent politisch, jede private Geschichte ragt mit irgendeinem Ende ins Nationale.

Die Fotografien, auf die der Filmtitel anspielt, werden von der Kellnerin Lee während der Nacht gemacht und am frühen Morgen, da ist das Barbie immer noch geöffnet, sofort entwickelt und zum Trocknen aufgehängt. Sie erweisen sich, ganz im Sinne klassischer Fototheorien, als Zeugnisse, die den Tod überwinden: Was vom Barbie bleibt, ist ein schnoddriger Satz von Dahlia («we are an Intifada, that makes fun of everything»), und diese Bilder von Menschen, die zufällig oder regelmäßig an diesem Ort verkehrt haben, einem Ort in einem Land, das kein Gefühl von Dauer entwickeln kann, weil alles unter dem Vorbehalt steht, dass die politische Ordnung für das Territorium und die Bevölkerungsgruppen, die es hier miteinander zu tun haben, nicht gefunden werden kann.