spielfilm

11. Februar 2009

Mondo Fome Ein Film, der die Berlinale für einen Moment zum Stillstand bringt: Garapa von José Padilha

Von Bert Rebhandl

Wie verhalte ich mich zu Bildern, in denen ein kleines Kind zu sehen ist, das auf allen Vieren nackt über einen steinernen Boden kriecht, mühsam nasse Fetzen aus dem Weg räumt, die vielleicht auch im Urin der Geschwister getränkt sind? Zu Bildern eines kleinen Kindes, das sich an den Ekzemen kratzt, die es wegen seiner Mangelernährung an beiden Füßen hat? Zu Bildern ganzer Familien, die in der Hitze des brasilianischen Nordostens auf den Lehmböden ihrer Hütten vor sich hin dämmern, ohne Aussicht auf ein gutes Essen oder auch nur ein wenig Arbeit? Der Film Garapa von José Padilha, den ich im Cinestar 7 in einer ausverkauften Vorführung der Sektion Panorama gesehen habe, ist, was man in der Sprache der Unterhaltung einen «showstopper» nennt. Das Festival geht zwar danach gleich weiter, aber die Routinen der Rezeption sind danach doch für eine Weile außer Kraft. Natürlich habe ich auch gesehen, dass da ein Mann, der im Vorjahr den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat, nun in prononciertem Schwarzweiß seinen Beitrag zum großen brasilianischen Nationalepos in progress geliefert hat, seine dokumentarische Version des Klassikers Vidas Secas. Ich habe auch gesehen, dass er die Kamera auf die entstellten Kinder auch dann noch drauf gehalten hat, wenn diese schon zu entkräftet waren, die Fliegen von ihrem Körper zu verscheuchen. Natürlich ist mir die ganze Bandbreite des dokumentarischen Spektrums bewusst, die hier aufgerufen wird – von Frederic Wiseman bis Mondo Cane. Aber das reicht alles nicht ganz an die Erfahrung beim Sehen dieses Films heran, eine Erfahrung, die ich doch so auf einem Filmfestival schon lange nicht mehr gemacht habe. Vielleicht nicht mehr seit Ladoni von Artur Aristakisjan, einem russischen Bußpredigerfilm, der 1994 auf der Berlinale (meiner ersten) lief. Für den Hunger in der Welt (um den es José Padilha insgesamt geht) und für die Grenzen des brasilianischen Wohlfahrtsprojekts Fome Zero/Null Hunger (um die es in dem Film Garapa konkret geht, am Beispiel zweier Familien aus dem Sertao und einer aus den Slums von Fortaleza) kann ich nicht Buße tun. Dass ich aber mit einer gewissen Verstörung an eine Zeit zurückdenke, wo die Fragen, die Garapa aufwirft, noch unter das Theodizee-Problem fielen, rechne ich dem Film doch als Verdienst an.