spielfilm

20. Mai 2010

Der Überschätzteste Abrechnung

Von Ekkehard Knörer

Ich kenne die Hintergründe nicht, persönlicher oder anderer Art, aber Hintergründe vermutet man angesichts der Schärfe der Polemik und der gelegentlich erhaschten Einblicke ins Haifischbecken der Pariser Cinephilie schon. Emmanuel Burdeau, bis vor relativ kurzem noch Ko-Chefredakteur der Cahiers du Cinéma, der mit seinem Konzept der Modernisierung beim neuen Verleger kein Gehör fand und ebenso wie sein Erzfeind Jean-Michel Frodon abtreten musste, rechnet jetzt im Online-Magazin Mediapart mit dem Regisseur Olivier Assayas, früher auch einmal Cahiers-Autor, ab. Anlass ist der in Cannes außer der Reihe gezeigte Carlos-Film. (Der Text ist hinter einer Paywall, aber man kann sich für 15 Tage probeweise umsonst anmelden.)

Der zentrale Vorwurf darin: Assayas nehme den revolutionären Kampf nicht ernst, sondern reduziere ihn auf leere Zeichen, Musik, Rauchen, Frauen. Und das, so die Stoßrichtung ins allgemeinere, sei nur zu typisch für einen der Oberfläche verschriebenen Regisseur (das Wort Pop kommt nicht vor, aber in deutschen Kontexten müsste es an dieser Stelle eigentlich fallen).

Die Manier von Assayas ist die panoramatische Kamerafahrt, die Rekadrierung in der Bewegung (hier am liebsten auf den Aschenbecher). Der falsche Anschluss bestimmt den Rhythmus, der Jump Cut macht Tempo: Kino als reine Anspielung. Reine Idee, reines Fantasma. Schrille Gitarrenschwaden brechen hervor, ein wenig nach Zufallsprinzip, als müsste eine Art immanenter Aufregung die Aufregung der Politik zugleich vertreten und auslöschen. Dieses Kino donnert, kreischt, rollt und gewinnt nichts dabei, es gleitet über Wesen und Dinge ohne etwas anderes zurückzubehalten als ein Stil-Dekret: Seine Lust ist das Gleiten. Es funktioniert, indem es das verbirgt, was hinter der Idee der Geste liegt - und die tut immer nur so. Fragen wir also, noch einmal: Was sieht man hier? Zigaretten, Whiskey, schöne Frauen.

Das weiß man: Mit der Zeit muss der Auteur eines Kinos, das nicht(s) berührt, selbst den Status des Unberührbaren gewinnen. Einladungen zu den großen Festivals, Bewunderung aller Welt, die Kritik steht stramm und gewährt Vorzugsbehandlung. Passierschein für den Eingeweihten, den Mann des Milieus. Die Zeit ist nicht fern, da wird Olivier Assayas erkannt werden als das, was er ist: der überschätzteste französische Filmemacher der letzten zwanzig Jahre.