spielfilm

15. Januar 2015

Der Klavierstimmer Filmhinweis für Wien: Il generale Della Rovere (1959) von Roberto Rossellini

Von Bert Rebhandl

© Moris Ergas

 

Als Rossellini 1959 in ziemlicher Eile Il generale Della Rovere drehte, wollte er sich in einem kommerziellen Kino wieder etablieren, für das er eigentlich nichts mehr übrig hatte. Er wurde auch tatsächlich rechtzeitig fertig, um an den Filmfestspielen von Venedig teilnehmen zu können, wo er den Goldenen Löwen gewann. Es war das Jahr, in dem in Cannes Les 400 coups und Hiroshima mon Amour die Nouvelle Vague etabliert hatten. Rossellini schloss hingegen noch einmal an den Neorealismus an, die Bezüge zu Rom, offene Stadt sind deutlich.

In Wien läuft Il generale Della Rovere im Rahmen einer Werkschau zu Vittorio De Sica, der hier eine seiner großen Schauspielrollen hat, wenn nicht die wichtigste überhaupt. Die Spannung des Films hat mit dieser doppelten Zweideutigkeit zu tun: dass nie richtig klar wird, was für ein Mensch dieser Hochstapler Bardone eigentlich ist, der sich anfangs in Genua als Colonello Grimaldi ausgibt, und der später als vorgeblicher General Della Rovere in ein Gefängnis gebracht wird, in das auch der Führer des Widerstands gegen die deutschen Besatzer kommt. Er muss identifiziert werden, und dazu soll das Rollenspiel mit dem in Wahrheit schon erschossenen Della Rovere (Codename: der Klavierstimmer) dienen.

Die ganze erste Hälfte des Films hindurch scheint klar, was für einer dieser Grimaldi ist: ein schäbiger Typ, dessen Wirkung auf die Frauen nachzulassen beginnt, jedenfalls kann er seiner Geliebten keinen weiteren Schmuck entlocken, den er verpfänden könnte, um Schulden zu begleichen, die er bei einem deutschen Offizier hat. Sie gibt ihm stattdessen eine falschen orientalischen Saphir, den er dann überall loszukriegen versucht. Als er einmal in die Wohnung kommt, findet er auf dem Tisch ein Paket vor, das er öffnet, nur um enttäuscht den Inhalt hervorzuholen: Schon wieder Salami! Die Hartwurst ist die letzte Währung, die Italiener gegenüber den Deutschen für ihre politischen Gefangenen aufbieten können. Grimaldi ist einer der Mittelsmänner, er trägt Geld und Güter hin und her, dazwischen verspielt er das Meiste, dann muss er erst recht improvisieren.

Rossellini, der auf Grundlage einer Erzählung von Indro Montanelli und eines Drehbuchs von Sergio Amidei arbeitete, lässt offen, wie dieser Mann aus Neapel nach Genua kam. Das schlechte Licht, in dem er von Beginn an steht (er bezichtigt sich auch selber), ist in gewisser Weise trügerisch, oder jedenfalls ist gar nicht so klar, wie es sich mehr oder weniger von selber verstehen würde, dass Grimaldi in eigenem Interesse verängstigte und besorgte Angehörige übervorteilt und sich dabei mit den Deutschen eine gute Zeit macht. Die Uneindeutigkeit dieser Figur, die sich vielleicht einfach in ihren Transaktionen rettungslos verstrickt hat, ist faszinierend, und sie wird noch interessanter dadurch, wie De Sica das spielt, ein stattlicher, älterer Herr, der aber durch und durch verstört wirkt («Che faccio?!»), und zugleich eher leutselig als opportunistisch. Eine dieser letztlich arglosen Figuren, die Rossellini so liebte.

Dem steht eine nicht minder eigentümliche deutsche Figur gegenüber, der Obersturmbannführer Müller (Hannes Messemer), der auffällig sympathisch wirkt, in einem Krieg, der als «necessario perché giusto» zu akzeptieren ist (die Untertitel der Criterion-DVD haben da einen markanten Fehler, weil sie die Reihenfolge umdrehen, was den Sinn vollkommen entstellt). Von der ersten Begegnung zwischen Grimaldi und Müller an ist da etwas, was die Notwendigkeiten des Krieges transzendiert, ohne dass diesen zu entkommen ist.

Il generale Della Rovere war eine Studioproduktion, allerdings eine bescheidene. Viele Szenen aus der Zeit der Bombardements sind mit Rückprojektion gedreht, insgesamt hat der Film eine Anmutung von Low Budget, sodass er eigentlich der Mythologie des Neorealismus durchaus entspricht, wenngleich er das Kriterium des «on location» nicht erfüllt. Während Rom, offene Stadt die Befreiung erzählerisch fast noch mitvollzog, geht es hier schon um Vergangenheitsbewältigung: der heroische Widerstand war von der Kollaboration nicht so klar zu unterscheiden, wie es die offizielle Geschichtsschreibung gern gehabt hätte (mit «abiezione e eroismo» benannte Alberto Moravia in seiner Kritik für den Espresso die beiden Pole). Die zwiespältige Figur des General Della Rovere, zu dem Bardone/Grimaldi schließlich tatsächlich wird, öffnet den Raum für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die für Rossellini auch eine mit seinem eigenen Schlüsselwerk war, dem er hier ein weiteres hinzufügte.

Il generale Della Rovere, 15. und 28. Januar jeweils 20.15h im Rahmen der Retrospektive zu Vittorio De Sica im Österreichischen Filmmuseum Wien