spielfilm

3. Mai 2018

Der Frühling lässt auf sich warten Filmhinweis für Berlin: En attendant les hirondelles (2017) im Arsenal

Von Bert Rebhandl

© NIKOfilm / MK2

 

«Déviation» («Umleitung»), so steht es auf dem Schild, das ein älterer Architekt in Karim Moussaouis Film En attendant les hirondelles vor sich sieht. Er kommt abends in eine Gegend, in die es ihn sonst wohl nicht so schnell verschlagen würde, hat dann auch noch eine Panne, und wird Zeuge eines Gewaltverbrechens. Ganz im Sinne des Begriffs «déviation» sind das aber nicht die Ereignisse, um die es in dem Film eigentlich geht – Moussaoui kommt es auch erzählerisch auf Umwege an, und so hängen hier drei Geschichten lose zusammen, die gemeinsame Ebene ist das heutige Algerien, das nicht zuletzt durch viele Autofahrten bis weit in die kargen, prächtigen Landschaften erfahrbar gemacht wird.

Der Architekt besucht seine frühere Frau, die in einer bildungsbürgerlich geprägten Wohnung lebt und sich Sorgen um den gemeinsamen Sohn Nacim macht. Der junge Mann will sein Medizinstudium nicht abschließen, seinen Eltern erscheint er als Vertreter einer Generation, die ihr Potential «vergeudet». Der Architekt lebt mit seiner zweiten Frau in einem großen Haus, sie will aber nach Frankreich zurück.

Der Film nimmt eine erste Abzweigung, als er sich einem jungen Mann namens Djalil zuwendet, der für den Architekten als Fahrer arbeitet, nun aber zwei junge Frauen und deren konservativen Vater zu einer Hochzeit auf dem Land bringen soll. Auch hier gibt es eine «Panne», eine Lebensmittelvergiftung, sodass Djalil mit Aicha eine Nacht in einem Hotel zubringen muss. Es soll unbedingt ein «anständiges» Hotel sein, der Anstand äußert sich in der Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis ziwschen Djalil und Aicha an der Rezeption. Sie sind nicht verwandt, waren aber einmal ein Paar. Jetzt sind sie es nicht mehr, denn Djalil war «ein erbärmlicher Kerl», so sagt er jedenfalls. Ein Band, das er Aicha einmal geschenkt hat. trägt sie aber immer noch. Bei einem Spaziergang pflückt sie zwei Granatäpfel, der Besitzer der Bäume ist darüber ungehalten, sein Sohn aber ist großzügig: «Das Feld birgt des Reisenden Brot.»

Ein weitere Autopanne führt zu Dahman, einem gutaussehenden Arzt, der kurz vor der Hochzeit steht, und mit einer Geschichte aus dem Bürgerkrieg (in den 1990er Jahren, zwischen dem Staat und den Muslimbrüdern) konfrontiert wird: es geht das Gerücht um, er wäre damals bei einer Gruppenvergewaltigung dabei gewesen. Der Junge, der danach zur Welt kam, steht in Moussaouis Film für das halb verwaiste Algerien der Gegenwart: ein Land, das über Andeutungen nicht hinauskommt, das aber auch zu Andeutungen verurteilt ist, denn freimütiges Sprechen und Tun wäre immer noch in vielen Situationen ein Skandal.

Moussaoui öffnet die Geschichte auf seine Weise, mit musikalischen Einlagen (einmal könnte man beinahe an eine Bollywood-Nummer denken), und mit einem Schluss, der symbolisch alle Menschen des Landes zu denkbaren Protagonisten werden lässt. Die Kantate BWV 82 von Bach («Ich habe genug, ich habe den Heiland») ist ein Leitmotiv, ihr Trost passt nicht zu den Sorgen der algerischen Menschen, in dieser Spannung sieht Moussaoui aber vielleicht gerade auch seinen Film.

En attendant les hirondelles (Karim Moussaoui, 2017) eröffnet heute um 20.00 Uhr im Arsenal die Reihe The Past in the Present - Neue Filme aus Algerien. Der Filmemacher wird anwesend sein und am 6.5. um 18 Uhr auch an einem Podiumsgespräch teilnehmen.