spielfilm

11. August 2013

A Century of Birthing Ein Film von Lav Diaz im Zeughauskino

Von Bert Rebhandl

© Lav Diaz

 

Lav Diaz ist bekannt für seine vielstündigen Arbeiten, die wir eigentlich seit seinem epochalen Evolution of a Filipino Family verfolgen. In A Century of Birthing, den ich 2011 in Toronto gesehen habe, lässt er nun zum ersten Mal deutlicher erkennen, unter welch krisenhaften Umständen dieses Werk entsteht. Hier geht es um das Filmemachen selbst, und um einen Künstler namens Direk Homer, der sehr deutlich als Alter ego von Lav Diaz fungiert. Er steht unter dem Druck, für ein Festival einen Film abzuschließen, mit dem er nicht zu Ende kommen will. «Ich bin kein Deadline-Filmemacher», erklärt er einem Programmmacher, der ihn telefonisch erreicht. Zugleich hat dieser Film, an dem Homer arbeitet, aber schon begonnen, mit Szenen einer Taufe in einer freien christlichen Kommune im Süden der Philippinen. Eine junge Frau wird ins Wasser getaucht, sie ist eine der Jungfrauen, die sich und ihren Leib dem Herrn weihen, auf dass sich durch dieses Opfer das Geschick der Welt zum Besseren (oder zum besseren Ende) wende.

In einer lückenhaften Szenenfolge werden wir einer dieser Frauen durch die folgenden sechs Stunden immer wieder begegnen, sie wird einen Intellektuellen treffen, sie wird eine Vergewaltigung erleiden, sie wird verrückt werden und in mehrfacher Hinsicht ihre Identität verlieren – als «crazy woman» wird sie geradezu durch die Zeiten geschleudert und steht an einer Stelle wie ein Mahnmal im Wind und warnt: «Die Japaner kommen.» Dieses Trauma der Besatzung, das nicht ihr persönliches, sondern ein nationales ist, verweist auf einen der Arbeitstitel des Films, den Direk Homer dreht: «Corporal Histories» würde also von den Formen handeln, in denen Geschichte sich verleiblicht, sich in körperliche Erfahrungen und Zustände einschreibt. Prostitution ist dabei die alternative Schlüsselerfahrung zur ekstatischen Jungfräulichkeit.

Eine Frau, die sich prostituiert, in einem «ultimativen Immersionsprojekt», gab es schon in Melancholia. Hier aber fällt die Jungfrau einfach aus der Welt, sie streunt durch die Provinz und nimmt von niemand mehr Notiz. Die ganze Zeit lässt Lav Diaz dabei im Unklaren, wie sich der Filmemacher Homer und die «crazy woman» zueinander verhalten? Ist sie einfach sein Geschöpf, gehört sie in den Film-im-Film, den wir gelegentlich auf seinem Computer sehen, wo das unvollendete Werk geschnitten wird, so, wie wir uns auch vorstellen müssen, dass A Century of Birthing entstand? Oder gehört sie doch einem eigenen fiktionalen Universum an, das Lav Diaz mit dem von Direk Homer eng und parallel führt?

In Toronto wurden die sechs Stunden von Siglo ng pagluluwal (so der Tagalog-Originaltitel) in einem Stück gezeigt, ohne Pause. Und nur so, erwies sich, wird man diesem Versuch über die Entstehung nationaler Epik unter nachepischen Bedingungen wirklich gerecht. Jede auch nur kurze Pause hätte die höchst fragile Spannung zerrissen, mit der hier Erzählstränge manchmal nur noch lose aneinander hängen, nur um am Ende auf eine grandiose Weise doch noch zusammengeführt zu werden. In seiner fragmentarischen und doch aufs Ganze gehenden Gestalt gibt A Century of Birthing eine Antwort auf die Frage, was das Kino im Zeitalter der Maus, des Cursors, der Immaterialität immer noch sein kann – eine «Verkörperung» von Geschichte, die bei Lav Diaz einem ganzen Medium die Richtung weist.

Siglo ng Pagluluwal (A Century of Birthing, Philippinen 2011, Regie: Lav Diaz) heute, Sonntag 11. August 2013, um 16.00 im Zeughauskino Berlin im Rahmen der Reihe Kinematographie heute: Philippinen