magical history tour

28. April 2010

1902: Spocht

Von Ekkehard Knörer

Als im Jahr 1902 der FC Bayern München und 1860 das erste Stadtduell spielten, hatten die in Liverpool angesiedelten Teams FC Everton und FC Liverpool schon große Routine in ihren sogenannten Merseyside Derbys. Der FC Liverpool, der nach einem Exodus des FC Everton aus dem Stadion an der Anfield Road entstand, war zwei Jahre zuvor erstmals Meister der Football League geworden; der FC Everton war eines der Gründungsmitglieder der Football League, die 1888 den Spielbetrieb aufnahm. 1891 gewann er dann erstmals die Meisterschaft. Das im gleich folgenden Ausschnitt gezeigte Spiel fand im Stadion Goodison Park statt, das damals wie heute 40.000 Zuschauer fasst.

Im Vergleich zu anderen frühen Filmaufnahmen vom britischen Fußball ist die Bildqualität des folgenden Ausschnitts zwar ausgesprochen schlecht, vom technischen Standpunkt ist der Film aber nicht uninteressant. So ist die Kamera hier keineswegs statisch. Sie wechselt die Standorte und sie schwenkt dem Ball und dem ballführenden Spieler hinterher. Die seit Jahrzehnten typische Establishing-Shot-Einstellung aus der erhobenen Tribünen-Position gibt es (natürlich) noch nicht, dafür ähneln die Aufnahmen, die man sieht, jenen Szenen, auf die die Regie heutzutage zu schneiden pflegt, wenn Ball und Geschehen sich der Kamera am Spielfeldrand nähern – am eindrucksvollsten bei 0.45, da wird die Kamera, denkt man, im Eifer des Gefechts beinahe umgerannt. Auch den Zwischenschnitt vom Spielfeld weg aufs Publikum findet man bereits, bei 0.58. Zugegeben unewohnt ist der Kamerstandpunkt beim Eckball, mit dem ausführenden Spieler im Rücken, dafür aber mit gutem Blick auf den Strafraum, in dem es geradezu atemberaubend gesittet zugeht. Das Spiel endete 3:1 für Everton, in der Endtabelle der Saison 1902/3 landete Liverpool aber deutlich vor dem Stadtrivalen.

Noch interessanter finde ich den Beginn des folgenden Ausschnitts aus dem Jahr 1901. Cricketspieler verlassen das Feld. (Ein Konflikt um die Wurftechnik eines Mannes namens Arthur Mold bestimmt dann den Rest des Films.) Das Großartige aber sind die Züge, die im Hintergrund durch das Bild fahren, als wäre das ganze ein Vorspiel zu Lars von Triers Europa. Einer erst, dampfend, dann ein zweiter, deutlicher langsamer, der noch eindrucksvoller zu dampfen versteht. Schwenk nach links auf Männer mit Hüten - und prompt fährt der Zurück auch in dieses Bild. Die herumstehende Kamera ist fürs Publikum sichtlich eine Attraktion: Was sie anblickt, blickt interessiert zurück, und sei es gar mit dem Fernglas.