magical history tour

22. Juni 2010

1918: Ernst Lubitsch: Ich möchte kein Mann sein

Von Ekkehard Knörer

Ossi Oswalda war ein Phänomen. Sie kam aus dem Nichts (Niederschönhausen), trug einen Künstlernamen (eigentlich hieß sie Oswalda Stäglich), mit dem frau zur femme fatale eher nicht prädestiniert ist. Und sie trug diesen Künstlernamen als Rollennamen mitten ins Zentrum der deutschen Filmwelt der späten Zehner- und ganzen Zwanziger Jahre. Mit dem Tonfilm kam, wie für so viele, sehr abrupt und irreversibel das Ende. Sie starb völlig verarmt 1947, da war sie erst fünfzig. Der Ruhm und die katapultartige Bewegung von den Rändern ins Zentrum der rasch erblühenden Weimarer-Republik-Filmwelt hatten viel mit Ernst Lubitsch zu tun, dessen leichter Berührung («touch» sagt man auf Englisch) es einzig bedurfte, um den Drehkreisel Ossi Oswalda zum dem zu machen, was man heute noch Star nennt.

Das Rollenfach, in das Ossi Oswalda fand, war das der burschikosen Frauenfigur, der Frau also, die in Aussehen und Verhalten ins als männliche Vorgestellte tendiert. Exemplarisch ausgezirkelt wird der in den Weimarer Jahren dann nur noch zu variierende Genderkonstruktionsraum  exemplarisch bereits in der 1918 entstandenen Lubitsch/Oswalda-Produktion Ich möchte kein Mann sein. Im Verlauf der drei Akte macht Ossi Wandlungen durch, innere und äußere auch. Der Film nimmt dabei  in typisch ambiguitätsfreudiger Lubitsch-Manier nur sehr dünne Blätter vor den Mund, belässt im Endeffekt aber in Sachen Geschlechter- und Begehrensverwirrung den einen und anderen Stein auf dem anderen.

Die Ausgangssituation ist eine Beobachtung aus dem Fenster. Ossi, die Karten spielt. Auch raucht sie dabei. Und trinkt nicht wenig. Die Frau, die aus dem Fenster heraus Empörung zeigt, ist nicht ihre Mutter. (Sondern die Gouvernante; streng tut sie, selbst reichlich gaga ist sie.) Der Mann, den sie herbeiruft, ist nicht Ossis Vater. (Sondern ihr Onkel; der wird nicht lange gebraucht.) Dieser komischen Familie kommt, als der Onkel sich auf Seefahrt begibt, ein anderer, strengerer Mann ins Haus, ein Doktor gar. (Dr. Kersten. Später.) Die Seefahrt ist eine Gelegenheit, die sich ein Lubitsch, und wenn es die letzten Bilder vom Onkel sind, die wir sehen, niemals entgehen lässt. Kotzübel wird dem Mann auf dem Schiff, der Kamera, die ihn schaukelnd zeigt und also auch uns, denen von der Kamera hier was vorgeschaukelt wird.

Schaukeln

Ossi spielt Karten (mit Männern), sie raucht, sie trinkt, sie sitzt im Fenster und zieht, was immer sie tut, die Männer in Schwärmen an – was nicht heißen soll, dass ihr Treiben auf irgend etwas anderes zielte. Die Herren Studenten zum Beispiel bringen ihr von unten nach oben mit Stöcken eine Art Luftviolinen- und Lufttrompetenständchen und fressen ihr, à distance, aus der Hand.