hollywood 5/10

15. Juli 2022

5 x Hugo Haas

Von Ekkehard Knörer

The Girl on the Bridge (Hugo Haas)

© 20th Century Fox

 

Bílá nemoc (Tschechoslowakei 1938)

Ein Film der zwei Genres. Warnung vor dem Faschismus zum einen, der Herrscher eines mitteleuropäischen Lands treibt sein Volk, seine Armee gegen den kleineren Nachbaren, der aus seiner Sicht die Vernichtung verdient. (Es kommt zum Krieg, aber dann nicht, wie gedacht: Das kleine Land wehrt sich, der Krieg ist keineswegs nach wenigen Tagen vorüber.) Anderes Genre: Eine neue Krankheit bricht aus, eine Art Lepra, sie wird zur Pandemie, die nur die Älteren trifft, die weiße Krankheit, sie macht einzelne Stellen des Körpers zu fühllosem Marmor, diese weiten sich aus, bis der Betroffene stirbt. Sie heißt, ihrer Herkunft aus China wegen, auch Morbus Tscheng. Beides kommt im Film (nach einem Theaterstück von Karel Čapek) nun zusammen, auf den ersten Blick kontingent, auf den zweiten Blick wird es über die Hauptfigur, einen Arzt namens Galen (Hugo Haas) ineinander verschränkt. Es ist einzig die Logik dieser Verschränkung, die dabei regiert - nach Plausibiltäten, psychologischer und anderer Art, fragt man besser nicht. Es geht um Galen, der eine Heilung für Morbus Tscheng findet, aber die Spritze nur an die Armen verabreicht und den Herrscher zu erpressen versucht: Er muss den Frieden erklären, sonst behält er das Geheimnis für sich. Viel Hin und Her, viel Statik, sehr schätzt Haas (und wird auch in den USA weiter schätzen) Überblendungsmontagen. Prägnant eine Montage, die den Herrscher und Galen nebeneinander in drei Teile zerlegt: Von den Beinen des einen zu denen des andern. Dann das Mittelstück, Abzeichen hier, reine Weste da. Und die Köpfe. Mörderisch schreien draußen die Massen, aufgehetzt und kriegslüstern. Gegen alle Wahrscheinlichkeit gelangt der Herrscher durch tödliche Krankheit zur Einsicht. Man kann es nicht, und will es doch glauben. Ein verzweifelter Film. (67cp)

 

The Girl on the Bridge (1951)

Das Mädchen auf der Brücke ist eine Frau, Clara, Beverly Michaels, Mutter eines Babys, von dessen Vater, einem Gangster, verlassen. So steht sie nun da, auf der Brücke, alleine, verzweifelt, darunter der Fluss, in den sie vielleicht springen will. Am Fuß der Brücke ist der Laden von David, Hugo Haas, Juwelier, Uhrmacher, ein nicht mehr junger Mann,, der Clara auf seinem abendlichen Spaziergang begegnet. Auch er ist allein, hat Frau und Kind in der Schoah verloren, er spricht sie an mit lauterer Absicht. Sie weist ihn ab und steht am nächsten Tag in seinem Geschäft. Sie bekommt ein Jobangebot in der Ferne, da nimmt er sie auf, als Haushälterin, und auch Judy, das Kind. Gerüchte kommen auf, sie sei seine Geliebte, da bietet er ihr die Ehe als sichere Form und verspricht: ohne Sex. Bald darauf ist sie schwanger. Zwei prekär geheilte Leben, in die das Unheil hereinbricht. Ein Gangster-Kollege des biologischen Vaters erpresst David, der weiß sich nicht anders zu wehren und schlägt ihn tot. Nun ist ein Riss im Leben, der lässt sich nicht heilen, obwohl es zunächst zum Schlimmsten nicht kommt. Wem die Welt einmal zerbrochen ist, der versucht sie um jeden Preis zusammenzuhalten, sagt David sinngemäß, sagt Hugo Haas, der Bruder und Vater in der Schoah verlor. Als survivor’s guilt wurde das von Miles Hain plausibel gedeutet. Haas fasst das wieder in sehr klare, einfache Bilder, brutal und auch einfach ist das Ticken der Uhren, das sich immer wieder drohend, bedrückend intensiviert. Unendlich traurige Geschichte eines Lebens, das zerfallen ist und sich für den Moment wieder einrenkt. Gegen das Noir-Klischee ist es nicht die Frau, die das Unglück katalysiert. Das Böse kehrt wieder, von außen, es insistiert. (82cp)

 

Strange Fascination (1952)

Pavel Haas war Komponist und ist unter Kenner*innen bis heute anerkannt als vielleicht bester Janáček-Schüler. Für einen der Filme, die sein Bruder Hugo in der Tschechoslowakei drehte, hat er die Filmmusik komponiert. Hugo Haas gelang die Flucht in die USA, Pavel nicht. Er kam nach Theresienstadt, schrieb auch dort weiter Musik, in der furchtbaren Scharade des Theresienstadt ist er zu sehen, wurde darauf, wie auch Kurt Gerron, der Regisseur, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. In Strange Fascination ist kurz, wie schon in The Girl on the Bridge kurz ein Foto mit schwarzer Binde zu sehen, es zeigt, denke ich, Pavel Haas. Hugo Haas spielt in Strange Fascination einen Pianisten, Vorname Paul (Nachname Marvan), der aus der Tschechoslowakei in die USA kommt, der Holocaust ist durch eine andere Motivation überdeckt: Eine reiche Frau (Mona Barrie) aus New York verliebt sich in den Pianisten, als Künstler, als Mann, und finanziert ihm die ersten Monate im anderen Land. Nun fährt, brutal, der Noir-Plot dazwischen. Begegnung mit einer Blondine, erstmals: Cleo Moore, die sich vom Künstler Geld, Ruhm, ein schönes Leben verspricht, mehr Trug und Selbstbetrug als trügerische Verführung; eine Täuschung jedoch, der Paul Marvan nur zu gerne verfällt. Er verschleudert sein Geld, Künstlerpech kommt dazu, die Gönnerin wendet sich ab: Es geht Richtung Abgrund. Das ist, vielleicht: am eigenen Nicht-Reüssieren gespiegelte Pavel-Haas-Fortlebensfantasie? Das steht nicht so sehr quer survivors’-guilt-These, eher ist es eine sehr verschobene, schräge Art, sie als Genre-Plot auszuagieren. (73cp)

 

Bait (1954)

Der Schnee, da, wo er liegt, und da, wo er treibt, täuscht mit einfachen Mitteln. Einer, Ray (John Agar), kommt an, wird in die Berge verführt von Marko (Hugo Haas), einem undurchsichtigen Mann. Lockruf des Goldes, eine schlichte Hütte, eine Mine: Salz, Gold, Gier. Alles zum Noir verkomplizierend: Peggy, die blonde Frau (Cleo Moore), die Marko als Köder zwischen sich und den anderen zieht, schiebt, stellt, legt, also als bloßes Objekt. Sie widersetzt sich gegen diese Passivierung, indem sie allem, das sie zu Ray zieht und treibt, widersteht, der Verführungskraft der selbst gedrehten Zigaretten zum Trotz. Seinen Suspense bezieht Bait aus dem magnetisch (mit suspendiertem Sex) aufgeladenen Raum zwischen Händen und Körpern und Mündern, deren Zueinanderfinden mit dem Tod enden müsste. Die eigentlich abstruse Logik wird schlicht und einfach gesetzt, es ist gerade die Selbstverständlichkeit, die bezwingt. (78cp)

 

Paradise Alley (1962)

Hugo Haas’ letzter Film, wie meist mit sehr wenig Geld auf eigene Faust produziert. Anders als zuvor kann er keine Abnehmer finden, Paradise Alley, 1958 gedreht, liegt mehrere Jahre, bekommt erst 1962 einen kleinen Start. Der Film ist ein Märchen, was er auch selbst annonciert. Wie das alles überhaupt eine ständige Reflexion ist, auf Hollywood, auf Hugo Haas, auf das Kino und auf sich selbst. Im Vorspann, dem ein von von Carol Morris über die Mauer gesungenes Lied vorausgeht, taucht Haas unter den Darsteller*innen zunächst gar nicht auf, eine Art deus absconditus als Protagonist - am Ende steht kleingedruckt unter Written, produced and directed by Hugo Haas (der Name als Schreibschrift-Signatur) nur der Zusatz noch «Who also appears as Mr. Agnus». Das agnus dei liegt nahe, wird auch, natürlich, im Film selbst so nahegelegt. Haas ist das Lamm Gottes, der Erlöser als Ex-Regisseur, dem sich beim ersten Blick aus dem Fenster die Szenerie als Romeo-und-Julia-Variation darstellt. Einst war er, erfahren wir später, in Europa ein Star, Von Stollberg (Stollberg wie Sternberg oder auch Stroheim, Hauptsache Von), nun in heruntergekommener Gegend in LA gestrandet, nach Stationen des Abstiegs, Aufenthalt in der Psychiatrie. Der Zufall führt ihn mit einem früheren Kameramann von D.W. Griffith zusammen, gemeinsam hecken sie einen Plan aus zur Befriedung des im ständigen Zank befindlichen Wohnblocks: Sie drehen einen Film, nur zum Schein, die Kamera bleibt dabei leer. Haas versammelt im Cast neben Miss Ohio und Miss Universe 1956 Carol Morris unter anderem den einstigen Stummfilmstar Corinne Griffith (ihre erste Rolle seit fast dreißig Jahren, und auch ihre letzte) und Margaret Hamilton, berühmt als Wicked Witch of the West (ihr Mann löst ein Kreuzworträtsel und sucht ein Wort für Frau mit ch am Ende, es ist, wink wink, nicht witch, sondern wench). Es wird, beim falschen Dreh, sehr viel gelacht. Müde Scherze wirken durch Gutartigkeit munter und wirken der Nostalgie wirksam entgegen, was bleibt, ist, mit dem Märchenton untermischt, ein melancholischer Zug. Alte, etwas durchgesessene Liebe kontrapunktisch zur Rome-und-Julia-love-story des jungen Paars. Die Polizei wird eingebunden ins Community-Building durch die Fiktion von Fiktion; der Versuch des Verrats transsubstantiiert sich in ein finales Hollywood-Meta-Wunder. Im wirklichen Leben blieb das Happy End für Haas leider aus, immerhin widersetzt sich das Werk in seinem obstinaten Self-Made-Auteurismus der Endgültigkeit des Vergessens. (75cp)

 

Paradise Alley (Hugo Haas)

© Hugo Haas Productions