hollywood 5/10

10. Juli 2022

10 x Andre de Toth (+1)

Von Ekkehard Knörer

De Toth Dark Waters

Dark Waters (André de Toth)

© Films Around World (DVD)

 

De Toth on de Toth: Putting the Drama in Front of the Camera (1996)

Es ist eine sehr eigenwillige Persönlichkeit, die hier spricht; wirklich spricht, denn es ist ein Interviewband, in der Andre de Toth allerdings seltener den Gesprächspartner Anthony Slide adressiert als einen fiktiven Herr Future Director. Also grundpädagogische Haltung, aber de Toth ist ein störrischer, von seinen Überzeugungen sehr überzeugter, ausweichender Pädagoge. Einer, der weiß, was er will; einer, der glaubt, dass man als Regisseur das auch wissen muss. Im Kern Realist, stets auf der Suche nach Neuem. Seine ganze Verachtung gilt Hitchcock, Hitchcock als Marke, als Gott, der irgendwann selbst an sich glaubt, Albert (sic) Hitchcock, dem Formalisten. Für Formalismus hat de Toth so wenig übrig wie für jede Form von Soufflé. (Seine Filme sind, würde ich sagen, dicht, fest, hart, Arbeit.) Er verehrt Michael Curtiz, Cukor zur Hälfte (Menschenkenner mit Desinteresse am technischen Handwerk), er verehrt Scorsese und, interessant, Tavernier. Er hat jede Location seiner Filme gescoutet, sich bei jeder Wahl der Darsteller*innen etwas gedacht, an allen Büchern geschrieben, die Kameramänner geachtet, war keinem Studio verhaftet (des Streits mit Columbia um einen mündlichen Kontrakt ungeachtet), er hat sich durchgesetzt, wo er überzeugt war, er hat zugehört, wem er traute. Das Buch ist ein Durchgang durchs Werk, die fünf ungarischen Filme des Jahrs 1939, die Nähe zu Alexander Korda (die Haltung: sehr ambivalent), Toth filmt den Einmarsch Deutschlands in Polen, erster belangloser Hollywood-Film (aber de Toth gibt immer sein Bestes, das ist sein Ethos, er hält nichts für wirklich gelungen, kokett ist das nicht), es geht um einen beinahe tödlichen Flug mit dem Piloten Dick Powell, es gibt Gleichnisse, Hinweise auf seine Skulpturen (eine in den vatikanischen Museen), Anekdoten, Kurz-Charakteristiken von Produzenten, Darstellerinnen, nur Andeutungen des Privaten (aber dafür gibt es ja die autobiografischen Fragments, zwei Jahre früher erschienen), genau rückt er auch hier nicht damit heraus, was er ein Jahr lang beim Dreh von Lawrence of Arabia tat. Der, der hier aus seinem Leben als Regisseur (und allerlei mehr) knorrig und ohne Koketterien berichtet und ganz sicher tausend Dinge ungesagt lässt, dieser Endre Antal Mihály Tóth war quite a character, Herr Future Director. (70cp)

 

Két lány az utcán (1939)

Geschichte zweier Frauen, die aus demselben Dorf stammen, aber aus sehr verschiedenen Klassen. Die eine, Gyöngyi, aus guter Gesellschaft, betrogen, schwanger, sie kommt nach Budapest und verliert das Kind. Sie spielt Geige in einem kleinen Caféhaus-Orchester, das nur aus Frauen besteht. Das wird in raschen, stummfilmnahen Montagen erzählt, bis zum Rad der Bahn, das sich dreht. Die andere, Vica, ist arm, sie kommt in die Stadt und verdient wenig Geld auf dem Bau. Von Männern begrapscht und bedrängt, der Architekt, der von hohen Häusern erzählt, versucht sie zu vergewaltigen, sie entkommt mit knapper Not. Und so begegnet, im Regen, die eine der andern. Sie leben in einer Pension nur für Frauen, fast nur für Frauen, denn Onkel Pilz, der Streichholzverkäufer, lebt auch da und passt auf sie auf. Sie kommen - durch das Wunder der guten Herkunft - an Geld, leisten sich eine Wohnung: Im Treppenhaus mit Schachbrettboden jedoch wartet der Beinahe-Vergewaltiger-Architekt. Sie sehen einander nun mit anderen Augen, Gyöngyi geht, vergeblich, per Golf-Spiel dazwischen, Vica, und der Film mit ihr, verzeiht, liebt, vergisst die Tat und überführt die Konstellation, einen Selbstmordversuch später, in ein Oben und Unten und mit dem Blick von unten auf das Paar in Eheglück. Alle Ambivalenz scheint gelöscht. (64cp) 

 

None Shall Escape (1944)

Der Film ist 1943 gedreht. Er malt sich aus: einen internationalen Kriegsverbrecherprozess, der über von Nazis begangene «crimes against humanity» verhandelt. Drei hohe Richter, die Jury ist ebenfalls männlich, aber divers, noch um das eine African-American-Mitglied hatte de Toth zu kämpfen. In Flashbacks wird von einem Mann namens Wilhelm Grimm (Alexander Knox) erzählt. Er war Lehrer im Städtchen Lidzbark, zum Schrecken seiner Verlobten Marja (Marsha Hunt) kehrt er aus dem Ersten Weltkrieg in einen Deutschnationalen verwandelt zurück. Er vergewaltigt ein Mädchen und kommt ohne Strafe davon. Sie geht in den Fluss. Man sieht in Rückblenden: seinen Aufstieg in der Partei; wie er seinen Bruder verrät, der Jahre in einem Lager verbringt (und überlebt; seine Aussage sehen wir im Prozess); wie er den Sohn des Bruders zum Nazi dressiert (was in einem Entscheidungsmoment kulminiert, aus dem die Hoffnung auf den Sieg ethischer Selbstverantwortung spricht); wie er nach der Eroberung Polens nach Lidzbark zurückkehrt, das Städtchen ist verwüstet, auch wenn es offenen und verborgenen Widerstand gibt. Eine düstere Szene, hart, ohne Ausweichbewegung ins Melodram inszeniert, zeigt, wie Juden zur Deportation in Lager (dass es Todeslager sind, ist durchaus impliziert) in Züge getrieben werden. Der Rabbi ruft zum Widerstand auf, die Menschen werden auf Wilhelm Grimms Befehl kaltblütig niedergemäht. Im Leben wie in seinen Filmen macht sich Andre de Toth nichts vor. Er zeigt, wie einer, der ein Mensch war, zum Unmenschen wird, aber er humanisiert nicht, was nicht humanisiert werden kann. Das ist kaltblütig auf die richtige Art. «Ich suche eine Spur von Mitleid in deinem Auge», sagt die frühere Verlobte Grimm direkt ins Gesicht. «In welchem?» fragt er zurück. «Im linken.» «Das ist das Glasauge», gibt er höhnisch zurück. Sie, Marja, die Kamera aus ihrer Perspektive, blickt von unten nach oben. Nun eine Halbnahe auf Augenhöhe auf ihr Gesicht. Eine lange Pause, zwei, drei, vier Sekunden. Dann ihre Antwort: «Ich weiß.» (82cp)

 

Dark Waters (1944)

Von einer traumatisierenden Situation gerät Leslie Calvin (Merle Oberon) direkt in die nächste. Einen U-Boot-Angriff der Nazis hat sie als eine von Wenigen überlebt. Aus der Psychiatrie schickt sie der Arzt zur Erholung in die Sümpfe von Louisiana. Hier leben Leslies Onkel und Tante, die sie freilich nicht kennt; sie sind nicht, wer sie scheinen, unheimlicher noch ein Intrigant namens Sydney (Thomas Mitchell) und Elisha Cook Jr. als Kind-Mann, eine Art sumpfgeborenes Es. Rossignol heißt der Ort des Geschehens, nicht fern von New Orleans, eine Nachtigall hört man nicht, dafür die Fauna des Sumpfs, die als ständiger Southern-Gothic-Soundhintergrund zirpt. De Toth hat nicht in den Bayous, sondern im Studio gedreht, wo Mangroven und Wasser und Licht- und Schatten-Effekte das Feuchte und das Bedrohliche und den Treibsand sehr überzeugend performen. Daneben, darin, überhaupt eröffnet das Haus mit seinen Balustraden und Treppen und Spiegeln Perspektiven der heimlichen Annäherung, der Bedrohung, ist Hintergrund des Gaslight-Szenarios, in das Leslie gerät. Sehr schön ein Kinobesuch, die Leinwand im Off. Erst ein Cartoon, die Musik zeigt es an. Dann wird Leslie von einem Unglück im Hauptfilm retraumatisiert, in diesem anderen Dunkel vom Treibsand des Bewegtbilds um ein Haar verschluckt. Das Drehbuch hat den finsteren Mächten, die de Toth eindrucksvoll walten lässt, zugleich zuviel und zuwenig motivierende Logik zur Seite gestellt. Sie rudert hier und da mit den Armen. Groß ist der Film, wo er sie vollends vergisst, sich den wuchernden Schattenkräften des Unbewussten ganz überlässt. (73cp)

 

Ramrod (1947)

«Ramrod», also Ladestock, nicht ganz einfach, dabei nicht auf sexuelle Konno-, wenn nicht Denotationen zu kommen, von Gewehr-Detonationen natürlich zu schweigen. Der ramrod, also Ladestock ist, oder soll sein, Joel McCrea, und zwar in einer Lage, in die einen der Film unmittelbar wirft: Beziehungen und Konflikte existieren, für deren Lösung es Aktivität, Aggression und eine Ladestock braucht. Einer macht sich auf und davon und schenkt der Frau, die er hätte heiraten wollen, seine Farm. Die brennt der Gegner, der die Buchstaben des Gesetzes lange nicht offen verletzende Aggressor, einfach nieder. Es ist, zunächst, ein Ringen um diese Grenze, vom Sheriff verkörpert, die Grenze, an der der Wille zu Land, Macht und Vernichtung agiert. Connie Dickason (Veronica Lake, zum Zeitpunkt des Drehs die Frau von Regisseur Andre de Toth) ist die Frau mit doppelt sprechendem, doppelt männlichem Namen. Erst trägt sie die Haare offen, später fest arrangiert, dann reitet sie im Männerstil und trägt Drag. Sie ist die Grenzfigur auf der Seite der ethisch Guten. Sie ist es, der der Ladestock dann doch zu straight ist, geradeaus, Figur des Gesetzes-Gehorsams und zu wenig phallisch dabei, weich in Körper, weich in Frisur, sein Arm recht bald kastriert/badagiert. Zu wenig Mann auch, weil er nicht sie, sondern die selbstbewusste Kleidermacherin Rose Leland begehrt. Es ist, in Wahrheit, noch komplizierter: Ein weiterer Mann ist im Spiel, noch ein Ramrod, Bill Schell, er aber biegsam und fügsam. Er setzt die Seite der Guten ins Unrecht, ein Scheidegeist, Connie und Bill: ein Paar in Grauton und Grauton. Und so ist Ramrod ein Western als Konfliktstück, das von Menschen als geraden und krummen Hölzern erzählt. Komplex, gelegentlich auch nur verworren. Um das Ende glücklich zu nennen, sind zu viele, ist auch zu viel besseres Wissen, auf der Strecke geblieben. (74cp)

 

Pitfall (1948)

John Forbes hat eigentlich alles: die hübscheste Frau aus dem Jahrbuch, einen Sohn, ein Apartment, einen Versicherungsjob. Die Dialoge sind geistreich (dem Drehbuch von Karl Kamb oder dem Roman von Jay Dratler verdankt), und doch ist die Unzufriedenheit des Midlife-Manns groß. Die Verführung lässt, als hätte er sie sich selbst ausgedacht, nicht auf sich warten. Sie hat die blonden Haare, die rauchige Stimme von Lizabeth Scott, auf dem Motorboot geht es wasserspritzend dahin. Jedoch ist sie keine Femme Fatale, und Dick Powell als John Forbes ist alles andere als ein komplett seinen Trieben folgender Idiot. Die Mischung wird erst durch das Hinzutun von Raymond Burr als Stalker höchst bedrohlich: eine lauernde, nicht aus dem Bild verschwindende, unheimliche Figur, die das Ferment von Neid und Eifersucht ins Menschlich-Zwischenmenschliche bringt. Und so erlaubt das Noir-Genre eine faszinierende Analyse des All-American (d.h. weißen) Post-War-Mittelschichts-Lebens. Was Bedrohung von außen scheint, kommt als Krise des männlichen Selbstbilds in Wahrheit von innen. Die Ursachen der Alpträume werden noch in den Comic-Lektüren des Kinds falsch projiziert: In Wahrheit sind es nicht die Strahlenkanonen schwingenden Superhelden, in Wahrheit ist es der unheimlich gewordene Vater im eigenen Haus, der für die Verstörung verantwortlich ist. Die Bitternote des scheinbaren Happy-Ends ist intensiv. Der wiedergewonnene Frieden ruht auf der Destruktion der eigenen Triebe als Projektion eines bedrohlichen Außen. Die Frau ist prekäre Garantin dieser mehr als wackligen All-American-Normalkonstruktion. (78cp)

 

Crime Wave (1953)

Die Tankstelle ist eine Lichtinsel in der Nacht, hier findet der erste Überfall statt. Der Film bewegt sich zu einer großen Bank am hellichten Tag, der Sprawl der Straßen wird zum Schauplatz einer Verfolgungsjagd, die nicht Flucht, sondern Heilung und Rettung zum Ziel hat. Dies auch der ganz große Bogen: die Frage, ob einer seiner Vergangenheit entkommen kann, die ihn brutal einzuholen versucht. Sicheres Asyl gibt es nicht: nicht in der Wohnung, nicht in den Inseln der Sozialität in der Nacht, gleißendes Licht im Dunkeln, Musik als Versprechen einer Zugehörigkeit, das sich nach draußen hin rasch verliert. Hinreißend grauwertig sind Bert Glennons Bilder, das Prozedurale ist durch Sterling Hayden als übellaunigen Cop verkörpert, der seine Persönlichkeit um das ewig zerkaute Ersatzobjekt toothpick so klar wie am Ende doch komplex aufbaut. (Mit Schlussbild- und Pointe für die Ewigkeit.) In dreizehn Tagen gedreht, schnörkellos, die Darstellungen, nicht zuletzt des frühzerknautschten Charles Bronson, immer präzise, es reicht ein Close-Up als Affektbild, nicht etwa ein Gesicht, sondern die Hand der Frau, die den Arm, der zum Telefon greifen will, hält - festhält, abhält. Es wird nicht helfen, nicht unmittelbar und direkt, das Verhängnis schreitet seinen Verhängniskreis aus. Aber es ist die Geste, die zählt, es ist die Geste, die de Toth hier schon einmal festhält: Sie zeitigt ein unerwartetes Ende. (82cp)

 

House of Wax (1953)

Das House of Wax ist ein Spiegelkabinett: Man betrachtet die Figuren in ihren Tableaux-vivants-Dioramen und begegnet sich selbst. Begegnet, verliert sich. Oder den Kopf. Um die Verwandlung von Lebenden in allzu lebensähnliche Tote dreht sich der Plot. Nun sind aber die lebenden Figuren selbst Präparate, Kino, das nach Lebensähnlichkeit giert: House of Wax in 3 D. So bewegt sich die Kamera nicht nur durch die Räume des Wachs-Kabinetts, sondern auch durch die Studio-Gassen des rekreierten Um 1900, durch die Zimmer und Gänge, wie durch eine der künstlichen Lebendigkeitseffekte wegen geschaffenen Welt. Zum reinen 3D-Spektakel kulminiert es in den Auftritten des Paddle-Ball-Artisten, der die Bälle ins Publikum schleudert und die vierte Wand, die sich nicht real durchbrechen lässt, dennoch (ironisch) durchbricht, indem er einen Kinobesucher, der Popcorn isst, adressiert. Seinen Horror bezieht der Film aus Masken, die Reales verbergen, aus dem Begehren nach Leben, das Tod bringt. Der romantischen Topoi sind dabei viele, nicht zuletzt der taubstumme Gehilfe Charles Bronson, der sich im Schlusskampf eindrucksvoll unter die Wachsköpfe einreiht. Andre de Toth spielt ernsthaft genug mit diesen Motiven, dem Schrecken bleibt aber das Genießen der eigenen Künstlichkeit so beigemischt, dass man neben dem Schrecken auch dieses Genießen genießt. (75cp)

 

The Indian Fighter (1955)

Drei Frauen. «Der Westen», sagt Johnny Hawks (Kirk Douglas, auch Produzent), «ist für mich wie eine schöne Frau. Meine Frau. Ich liebe sie so sehr, dass ich sie nicht teilen will. Ich verabscheue es, wenn man sie zivilisiert.» Elsa Martinelli ist eine schöne Frau namens Onahti, nackt geht sie baden im Fluss. Sie ist die Tochter des Häuptlings, Johnny Hawks stellt ihr durchaus brutal nach, später, im Fluss, ergibt sie sich willig. Sie ist die schöne Frau, mit deren Hilfe Hawks die native Americans zuletzt daran hindert, die Schlacht gegen die Weißen weiterzuführen: So wird der Westen zivilisiert. Diana Douglas ist eine schöne Frau als Mutter mit Kind ohne Vater. (Im richtigen Leben: die Ex-Frau von Kirk, Mutter von Michael). Mit dem Treck, den Hawks durch Oregon und seine atemberaubende Landschaft geleitet, bewegt sie sich in Richtung Siedlung, Sesshaftigkeit, Zivilisation. Ihren Heiratsantrag schlägt Johnny Hawks aus, er will Onahti und sie will auch ihn: make love not war, der Indian Fighter ist Kämpfer für die Indianer. Er steht, und auch der Film, auf ihrer Seite noch beim von de Toth grandios inszenierten Feuerangriff auf das Fort der Weißen, deren Gier und Vorurteile die alleinige Schuld an dieser Auseinandersetzung tragen. Das meint der Film, von Klischees und problematischen Darstellungen natürlich nicht frei, vollkommen ernst. Es herrscht ein Grundton des Humanen, bis zu den Kämpfen eine Leichtigkeit, die von Kirk Douglas’ behendem, auf Pferde hüpfendem Körper und noch von seinen Lachgrübchen getragen scheint. Ein wunderschöner Schwenk über das Lager zur Nacht, Gesang zur Gitarre, das Feuer, die Wagen, es ist der Frieden selbst, ein Oregonischer Frieden, der sich über die Szene senkt. Noch in der Schlacht bewahrt der Film seine Ruhe, alles ist von großer Klarheit, sogar die Waxman-Musik setzt lange aus. Es bleibt: eine postkontrafaktische Friedensvision. (76cp)

 

Day of the Outlaw (1959)

Irgendwo, eher: nirgendwo, in Wyoming. Ein langer Schwenk zeigt: Bäume und Berge und Schnee und sonst beinahe nichts. Ein paar Häuser, ein Laden mit leeren Regalen, der Saloon mit Hotel, zwanzig Menschen leben hier, vier Frauen darunter, es gibt einen Konflikt und es gibt kein Gesetz. So droht die Lösung des Konflikts mit Gewalt, Robert Ryan ist in diesem dürren Sozialzusammenhang der stärkste Mann; ein Treppenaufgang wird zur Bühne, von unten nach oben, von oben nach unten, auf Höhe der Füße, der Augen, von den Streben des Geländers halb freigegeben, halb versperrt ist das Bild. Die Kargheit der Kulisse, das Zögern und Stehen von Körpern und Worten halten das bei aller Breite der Leinwand nah am Theater. Da spaziert im letzten, im rechten, jedenfalls im Entscheidungsmoment, eine gravierende Komplizierung der Kräfteverhältnisse durch die Tür. Ein entlaufener Militär, voluminöser Anführer einer raubenden Truppe, der Outlaw als Gesetz, das allerdings durch eine Kugel geschwächt ist. Und so zeichnet de Toth ein prekäres, sich lauter und leiser verschiebendes Kräfteparallelogramm in Kälte und Schnee, der Wind bläst unablässig dazu. Ein hässlicher Faustkampf, dann erzwungenes Tanzen, eine Demütigung, um das Schlimmste, nämlich die Vergewaltigung zu verhindern. Am Ende ein Ausweg ins Nichts, lange Minuten des Lauerns, Steckenbleibens, Frierens und Tötens. Alle Gier muss erfrieren, im Schnee versacken. Wenn die Rückkehr möglich erscheint, hat die Zivilisation vielleicht eine Chance. (80cp)

 

Play Dirty (1969)

Es ist viel Raum in der Wüste, das Auge schweift über den Sand, von der einen Seite zur andern, bis es auf Widerstand stößt. Berge, über die Captain Douglas, als britischer Fitzcarraldo avant la lettre, die Fahrzeuge ingeniös per Seilwinde bringt. Captain Douglas ist Michael Caine und sieht fabelhaft aus. Ihm zur Seite, als Aufsicht, mit Hang zu Besserwissen und Insubordination: Nigel Davenport als Captain Cyril Leech, auch er sieht fabelhaft aus. Zwei Araber sind mit von der Partie, dazu ein Blonder, und einer, dessen Grinsen zwischen Mordlust und Debilität oszilliert. Anfangs ist einer zu Lili Marleen durch die Wüste gerast, auf dem Beifahrersitz eine Leiche. Die Musik ist ein Täuschungsmanöver, auch die Uniformen machen Leute dieser oder jener Nation. Spannungsmomente (die Fitzcarraldo-Sache, Beduinen, Minenentschärfung) unterbrechen die Weite und Leere, als scheinbarer Sinn in umfassender Sinnlosigkeit. Aus einem Rot-Kreuz-Auto purzelt spektakulär, nämlich im Kampf, eine Frau, sie ist Deutsche. Bald darauf ein brutaler Vergewaltigungsversuch: Männer, Briten, Barbaren. Der Krieg hat sie dazu gemacht. Oder sie waren es und gehören hier hin. Michael Caine und Nigel Davenport tragen ethisch grauere Kleider, es wird zwischen Überlebensinstinkt und Resthumanität navigiert. Gefilmt ist das alles unendlich nüchtern, registrierend, durchaus auch opulent registrierend, Feuerbälle und Sandsturm, aber ins Erhabene zielt hier nichts. Das Ende besiegelt, was von Anfang an klar war; der Film ist eine Registratur finsterer Dinge, kostet nichts aus, beschönigt nichts, moralisiert nicht, weiß auch nichts besser. Es ist, wie es ist. Männer, Soldaten, kultivierte Barbaren. (80cp).

 

Play Dirty (André de Toth)

© 101 Films (DVD)