werner hochbaum

13. Dezember 2013

Razzia in St. Pauli (1932) Hochbaum sichten (III)

Von Ekkehard Knörer

© Ufa

 

Boot fährt nach rechts, Kamera schwenkt nach links. Ein Geländer gibt den Rahmen: Halt und Bewegung zugleich. So wird die Szene gesetzt. Die Kamera stößt dann auf einen Poller, groß im Bild, zum Festmachen der Taue, dann schwenkt sie weiter, stößt auf etwas, was ist das: ein Körper, Beine, einer, der auf einem Poller sitzt, um den ein Tau gewickelt ist, die Kamera fährt neugierieg nach oben, und siehe da: Der Sitzende spielt mit der Quetschkommode genau jene Seemmanslied-Musik, die man bislang schon gehört hat. Sie wird also intradiegetisch gewesen sein. Bevor man das Gesicht des Musikers sieht (man wird es nie sehen!), der erste Schnitt, die Quetschkommode in Noch-größer-Aufnahme, die Hände (ja, Hand geht vor Kopf, wiederum), noch ein Schnitt, zurück in die größere Einstellung.

Dann Schärfeverlagerung, die Musik/die Hände am Instrument verschwimmen, während nach rechts weg die Hafenszenerie jetzt scharf wieder ins Bild rückt. Nach diesem Intro sieht man eine Hand, die auf einem Schiff das Tempo beschleunigt, Schnitt auf hinter einem nicht sichtbaren Boot strudelndes Wasser, Überblendung mit tanzenden Beinen, wild wirbelndes Wasser, wild wirbelnde Beine, auch auf der Tonspur hat die Quetschkommodenmusik jetzt Platz gemacht für ein Orchester, das aufspielt zum Tanz. (Auch Füße und Beine gehen vor Kopf.)

Montage also statt Erzählung. Kein Protagonist ist in Sicht. Dann noch Straßenszenen, dokumentarisch, Kirche und Glockenschlag, chinesischer Laden (Chop Suy), bevor sich der Film dann doch in einen Innenraum bequemt, in dem etwas haust, das eine Geschichte zu werden beginnt. Ein Mann vor dem Spiegel, die Ballhaus-Else liegt im Bett und träumt von den Frauen im Kintopp, denen Aufregendes widerfährt: «Was die alles erleben. Ich möcht' auch mal was erleben.» Und hier also endlich spielt die Musik in einem Gesicht: Während Hand, Fuß und Unterkörper sitzen, tanzen, Musik machen, entzünden sich an Gesichte(r)n Traum, Kintopp und Fantasie und die klettern dann als ganzer Mann wie aus dem Nichts durchs eigene Fenster und, weil die Polizei ihn verfolgt, auch ins Bett: Das ist der Matrosen-Karle. 

Der Sex, den sie haben (Sex ohne Geld, also mit Liebe, ganz wie im Kintopp), wird im Bild durch eine Puppe und einen Teddybären in eindeutiger Stellung vertreten.

Razzia in St. Pauli wird dann davon erzählen, wie das eine zum anderen passt: das dokumentarische Draußen und das Liebesgeschichten-Drinnen. Nämlich eigentlich gar nicht. Es wird einen Film lang getanzt, gesungen, geliebt von Angesicht zu Angesicht, Varieté und Bilder der Großstadt, Panoptikum und Reeperbahn, Klavier, Kartenspiel und das Glück der Gesichter (ja, im Glück, im Rausch, im Moment, der aus dem Alltäglichen ragt: da liebt Hochbaum sehr wohl die Gesichter), ein Spruch an der Wand und noch ein Spruch an der Wand und die Uhr an der Wand und Alkohol und Traum von der Flucht in eine andere Welt. 

Aber am Ende ist der Kintopp wieder vorbei. Der Traum geht zu Bruch, das Realitätsprinzip schreitet ein – und sieht schon wieder haargenau aus wie die Polizei. Das Erwachen am Morgen, wieder Überblendungsmontagen, die Geschichte der Ballhaus-Else ist vergessen, löst sich auf in einem Allgemeinen, im Allgemeinen eines Tags, der für viele wie viele andre beginnt: die Beine, der Wirbel der Lokomotive und auf der Tonspur macht jetzt nicht die Quetschkommode, sondern Ernst Busch mit schnarrender Stimme Musik und singt den Song vom Heer der Hafenarbeiter: «Morgens in der großen Stadt / wo Staub statt Tau vom Himmel fällt. / Marschiert das Heer, das große / Graue Arbeitsheer.»