dokumentarfilm

1. November 2011

Volko Kamensky Mit drei Filmen zu Gast im Arsenal

Von Bert Rebhandl

Divina Obsesión (1999)

Ein Dokumentarfilm über Kreisverkehr-Mittelinseln in Frankreich, mit telefonisch eingeholten Kommentaren deutscher Experten für ebensolche Verkehrsleitsysteme, die vielfach einen «Ersatz für sonst zu signalisierende Knotenpunkte» bilden. Der typische Kamensky-Deadpan sieht so aus: die Kamera bewegt sich langsam und gleitend durch die Motivlandschaft, in diesem Fall eben Kreisverkehre in Frankreich, auf deren Mittelinseln nicht selten pittoreske Kunstwerke errichtet wurden. «Kunst im Kreisel» nennt das ein Fachmann. Auf der Tonebene die Stimmen von Menschen, die Kamensky anruft und von denen er sich Material holt, mit dem Gestus des arglosen Fragestellers: «Mir ist da noch einiges unklar». Dass es ihm nicht wirklich um Aufklärung darüber geht, warum man sich «wieder darauf besonnen» hat, Straßenkreuzungen durch Kreisverkehre zu ersetzen, ist klar. Die Stimmen helfen dabei, einen Blick auf eine Wirklichkeit zu richten, die sich als fremdartiger (surrealer) erweist, als es im Alltag zu Bewusstsein kommt. Die Musik, zum Beispiel von Yma Sumac, steigert die Verfremdung zusätzlich ins Komische.

 

Alles was wir haben (2004)

Ein Dokumentarfilm über die Kleinstadt Rotenburg/Wümme, näherhin über deren Heimatverein. Devise: «Lebendige Heimat – beiderseits der Wümme». Bild: Aufnahmen der Örtlichkeit, typische Mischung aus Natur und Kultur, neueren und älteren Gebäuden, Landschaft und Architektur. Prominent ein altes, großes Haus mit nicht mehr vollständigem Strohdach. Ton: die Stimmen von Vertretern des Heimatvereins, die anfangs ganz harmlos und allgemein über das «Wir-Gedanken» reden, der sich in der Gründung und im Betrieb eines solchen Vereins äußern. Zunehmend kommen der Herr und die Dame aber auf dramatische Ereignisse zu sprechen (immer mit dem charakteristischen lokalen «s» statt «sch» gesprochen), bis am 25. Juni 2000 «der absolute Alptraum» erreicht wurde: Mittags brannte ein Nebengebäude des Heimatmuseums ab, abends das Heimatmuseums. In beiden Fällen war Brandstiftung die Ursache, ein Test für das «Wir-Gefühl», den Rotenburg/Wümme aber allem Anschein nach bestanden hat. Nur das Strohdach muss noch neu gedeckt werden. Unter den Bedankten in den Endcredits taucht auch Gerhard Benedikt Friedl auf.

 

Oral History (2009)

Untertitel: Ein Bericht aus dem Land der Brüder Grimm. Volko Kamensky lässt hier Märchen erzählen, deren Urheberschaft er am Ende in einer tollen Pointe preisgibt. Bild: Naturtheaterlandschaften zum Beispiel von der Goethe-Freiluftbühne an der Porta Westfalica oder aus Bad Segeberg. Natur überwuchert Kultur, bleibt dabei aber Szenerie. Ton: Frauenstimmen, die via Telefon von den Vorzügen des Landlebens erzählen, und dabei sehr genau den visuellen Eindruck bestätigen («Hier ist regelrecht die Zeit stehen geblieben»), ihn aber auch ins Romantisch-Idyllische verstärken («da kamen auch die Rehleins bis an den Gartenzaun»). Wie Kamensky an diese Sprechtexte kam, bei denen es darum ging, spontan eine «Geschichte zu vervollständigen» (die er wohl aufgrund seiner Filmaufnahmen schon im Kopf hatte), das soll hier nicht vorweggenommen werden – es würde Oral History viel von seiner Wirkung nehmen. So viel aber kann verraten werden: Erst im Abspann gibt Kamensky zu erkennen, wie sich hier Wunsch und Geschichte, Imagination und Happy End, Behaglichkeit und Illusion tatsächlich zueinander verhalten.

 

Volko Kamensky zu Gast im Arsenal

Mittwoch, 2. November 2011, Arsenal Berlin, 20.00

Einführung: Heiko Christians (Universität Potsdam)
Im Anschluss Diskussion mit Volko Kamensky