dokumentarfilm

26. Juni 2009

Vertraut Fremd Notizen zu Massoud Bakhsis Film Tehran has No More Pomegranates

Von Ekkehard Knörer

Massoud Bakshis Tehran Has No More Pomegranates (hier die ersten fünf Minuten) ist kein Dokumentarfilm. Sondern: Ein Film, dessen Regisseur darin erklärt, warum er seinen Dokumentarfilm nicht fertigstellen konnte. Ein Film, der große Mengen dokumentarischen Materials mit Informationen anreichert und erläutert, denen anzumerken ist, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Ein Film, der die Geschichte Teherans nacherzählt, von den Granatäpfeln bis zur Revolution, dabei aber zwischen sehr reale Fakten wie die große Differenz zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden der Stadt immer wieder im selben Ton Unsinn platziert. Man sieht in dem Film Bilder der Stadt, in der bis zu 15 Millionen Menschen leben, ganz genau weiß es keiner. Man sieht Bilder von Menschen auf der Straße, man sieht Bilder aus Autofrabriken und schwarz-weiße Bilder von Paradierenden ohne erkennbaren Stadthintergrund. Die Menschen von heute, die man sieht, stehen oft einfach herum und aus dem Off erklärt der Regisseur dazu sich widersprechende Dinge. Man sieht aber auch den Regisseur immer wieder im Bild und sein Team. Man sieht die Kamera im Bild von der Stadt.

Einer, der immer wiederkehrt, ist Jafar. Er ist obdachlos, er übernachtet in Parks, er klagt über die Stadt, in der er keinen Job finden kann. Jedes Lob der Stadt, jeder Propagandaspruch wird von ihm konterkariert. Der Film gleitet mit voller Absicht und hoch virtuos und in meist stark beschleunigten Zeitraffer-Bildern auf einer Skala zwischen dokumentarischer Wirklichkeit und selbstreflexiver Ironie. Dieses Gleiten hat Methode und es steht sehr bewusst und selbstbewusst in der Tradition des iranischen Kinos von Makhmalbaf, Kiarostami, Beizai, die, jeder auf seine Art, die iranische Wirklichkeit vorzugsweise in Spiegelungen einfangen und so das vermeintliche Niemandsland zwischen dokumentarischer Wahrheit und – in jedem Sinn des Wortes: – Fiktion vermessen.

Es ist das eine höchst eigenwillige und für den Betrachter, der mit beiden Beinen auf dem schwankenden Boden der westlichen Postmoderne steht, auch sehr irritierende Erfahrung. Deshalb nämlich, weil das, was hier «postmodern» scheint, sich so offenkundig – jedenfalls: auch - einer spezifisch persischen ästhetischen Tradition verdankt. Was nicht heißt, dass die Formen und Ideen der westlichen Moderne da nicht auch hineinspielten. Eher ist es ohne genauere Kenntnisse wirklich nicht zu sagen, wie nah das, was auf Anhieb vertraut scheint, dem, was man kennt, tatsächlich ist. Fraglos steckt ein grundsätzlicher Zweifel an direkter Erfassbarkeit alles Wirklichen durch Repräsentation und Darstellung und Recherche in diesen Filmen. Ein ironischer Weltbezug, der sich von dem, was der Postmoderne an Beliebigkeit unterstellt wird, dadurch – womöglich – unterscheidet, dass er selbst nicht wieder ironisierbar ist und so diesem Ernst verdankte andere, schärfere Form-Muster ausbildet.

Allgemeinere Anmerkung: Das sind offensichtlich hilflose, wenn nicht hilfesuchende Bemühungen, das zu fassen zu bekommen, das mich an diesen Filmen so fasziniert. Man macht in gewissem Grad immer diese Fremdheitserfahrung, wenn man Filmen und Kunstwerken begegnet, die nicht der eigenen oder eigen scheinenden Kultur entstammen. Man hat ständig damit zu tun, weder das «Othering» des fremd Scheinenden zu übertreiben noch das vertraut Scheinende allzu schnell mit dem Eigenen zu identifizieren. Man hat darüber hinaus damit zu tun, das, was am Fremden und Vertrauten kulturspezifisch, äshtetikspezifisch und auteur-spezifisch sein könnte, irgendwie auseinanderzuhalten. Insofern ist die Erfahrung, die ich da mit diesen Vertretern des iranischen Kinos habe, nicht kategorial anders als jede Vertraut/Fremd-Erfahrung dieser Art. Eher ist die Tatsache, dass diese Filme zugleich extrem vertraut und extrem fremd scheinen können, das Ungewöhnliche und Faszinierende daran.)

Beim Herumsuchen zu Teheran, Film und iranischem Kino bin ich auch auf den Filmemacher Kamran Shirdel gestoßen, den ich bisher nicht kannte. Sein «Dokumentarfilm» The Night it Rained aus dem Jahr 1967 gilt als frühes und stilbildendes Beispiel einer solchen selbstreflexiven Indirektheits-Ästhetik. Auf der Website des Dokumentarfilmfestivals von Amsterdam ist dazu zu lesen:

Also known as The Epic Of Gorgani Villager, this film was completed in 1967, cost the filmmaker his government job, and did not get screened until seven years later. It is a modern-day epic that attempts to retrace the true circumstances of a heroic act in the north-Iranian countryside. One rainy night near the village of Gorgan, a schoolboy discovered that the heavy rains had washed away the soil underneath a section of railroad tracks. He proceeded to stop an oncoming train by lighting his coat on fire, standing on the tracks and waving it. Doing so, the schoolboy prevented a terrible railroad accident. Incorporating newspaper reports and interviews with railroad employees, the governor, the chief of police, the village teacher, students and villagers, Shirdel describes the events, or better, the divergent recollections of them. The skilfully and cyclically edited footage is riddled with contradictions. How could this young hero have set fire to his coat in the pouring rain? Did he even exist? According to one toothless old man, «It's all just a pack of lies.»

Das erinnert stark an Massoud Bakshis Teheran-Film. Der Blick, der bei Bashki auf Geschichte fällt, ist jedenfalls durch und durch prismatisch. Lüge und Wahrheit, Absurdes und Plausibles, Direktheit und Reflexion treten nicht als Widersprüche auf, sondern als Teile eines Bilds, das sich ausdrücklich nicht zu zentralperspektivischer Geschlossenheit zusammenfügen lässt. Es ist, als müsste man, um die Einzelteile je zu verstehen, ein Vielfacher, ein je anderer sein. Man muss beim Betrachten die Stellung wechseln, man kann sozusagen diesen Film nicht als ein- und derselbe sehen. Es gibt, diesem Film und der Geschichte der Stadt Teheran gegenüber, keine souveräne Position. Weder hat sie der Filmemacher noch hat sie der Betrachter. Daraus macht der Film kein erkenntnistheoretisches Drama, sondern ein sehr raffiniertes Spiel. Er nötigt einen westlichen Betrachter wie mich auch deshalb zu unruhigen und nicht leicht sortierbaren Denkbewegungen.