dokumentarfilm

16. April 2016

Große Hoffnungen Filmhinweis für Berlin: Putin. The Leap Year (2001) von Vitaly Mansky im Arsenal

Von Bert Rebhandl

© Vitaly Mansky

 

Für die Geschichte Russlands seit der Machtübernahme durch Vladimir Vladimirowitsch Putin (passenderweise zu einem apokalyptologisch resonanten Datem: 31. Dezember 1999) gibt es zwei Beschreibungslinien. Am klarsten wurden sie von der amerikanischen Zeithistorikerin Karen Dawisha formuliert: entweder handelt es sich hier um eine «democracy in the process of failing», oder aber um ein «authoritarian project in the process of succeeding».

Wie immer man das sehen mag, es ist in jedem Fall von großem Interesse, sich diesen historischen Moment zu vergegenwärtigen, in dem die Welt sich plötzlich mit diesem relativ unbekannten Politiker konfrontiert sah. Im Januar 2000 begann Vitaly Mansky mit den Dreharbeiten zu seinem Porträt Putin. The Leap Year, ein einstündiger Film, der in eine Trilogie über «Rote Zaren» gehört. Es soll nicht um den Politiker gehen, sondern um Mister Putin, den Menschen, der aber, wie sich bald erweist, alles seiner Verantwortung unterordnet.

«Rekonstruktion», «Wiedergeburt», das sind die Stichworte, und man muss nur auf den Zustand der Straße vor dem Nobelrestaurant Astoria achten, vor dem zu Beginn ein roter Teppich ausgerollt wird, um die Dimension der Herausforderung zu erahnen. Das Jahr 2000 ist voller Katastrophen, aber die Menschen haben große Hoffnungen: «Sie werden uns nicht enttäuschen». Drei Frauen deuten in einer Szene etwas vom Eros der Macht an, mit dem Putin so virtuos spielt, damals noch gelegentlich mit First Lady zu sehen, inzwischen endgültig mit der Nation verheiratet. Ein Mann, der sich am Schreibtisch nicht zurücklehnt, wie er ausdrücklich bemerkt, sondern vornübergebeugt alles wegarbeitet, was sich an Herausforderungen stellt. Die Herausforderungen können nur mit «Kraft» beantwortet werden, «force» steht in den englischen Untertiteln, das kann auch Gewalt heißen.

Mansky ist ein gewitzter Fragensteller, einmal will er wissen, ob Putin eine Uhr trägt, das wäre inzwischen, wo die russische Zivilgesellschaft immer wieder auf die Diskrepanz zwischen den offiziellen Gehältern von Amtsträgern und den Warenwerten der an ihnen sichtbaren Accessoires hinweist, ein nicht mehr ganz harmloser Moment. Putin lebt als Präsident allein, sitzt allein in einem Büro, dessen Vorhänge er nie öffnet (was ist eigentlich da draußen?, fragt Mansky, und Putin stellt erstaunt fest, dass er auf den Ivanovskaya Platz schauen könnte, wenn er mit der Welt da draußen überhaupt rechnen würde), er geht nachts allein schwimmen und krault dann noch einen Hund.

Die interessanteste Reflexion stellt er zwischendurch in einer Limousine an: Präsidenten haben Amtszeiten, er muss schon deswegen darauf achten, dass seine Bilanz gut ist, dass er das Vertrauen des Volkes nicht enttäuscht, weil er später ja einmal als Privatmann damit umgehen muss, dass man ihn mit seiner Hinterlassenschaft konfrontiert. Er klingt in diesem Moment sehr authentisch, so, als wäre er sich wirklich nicht sicher, was bei all dem herauskommt.

Eines wissen wir immerhin inzwischen: Er hat nicht vor, diesen Übergang zuzulassen, der ihn auf den Prüfstand stellen würde. Eine Zeit nach der Amtszeit ist nicht mehr vorgesehen, jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft. Die großen Hoffnungen sind ja auch noch erfüllt.

Putin. The Leap Year (2001) von Vitaly Mansky heute, 16.04., und am 30.04. um 19.00 im Arsenal im Rahmen der Reihe The Revolution That Wasn't. Russische Dokumentarfilme 1991 bis 2015, zusammengestellt von Tatiana Kirianova