dokumentarfilm

22. September 2014

Anschauungsprozess Filmhinweis für Berlin: Judgment in Hungary (2013) von Eszter Hajdú

Von Bert Rebhandl

© Eszter Hajdús

 

Der Prozess gegen Arpád Kiss, István Kiss, Szolt Petö und István Csontos hatte in Ungarn eine vergleichbare Bedeutung wie der NSU-Prozess in Deutschland. Seine Relevanz war eigentlich noch weitreichender, denn es ging darin auch implizit um den gesellschaftlichen Rückhalt, den die vier Rechtsradikalen hatten, die 2009 im Nordosten des Landes mehrere Roma ermordeten. 2013 gab es einen Schuldspruch, dreimal lebenslänglich für die uneinsichtigen Haupttäter, einmal 13 Jahre für Csontos, der die drei anderen belastet und nicht selbst getötet hatte.

Eszter Hajdús Dokumentarfilm Judgment in Hungary gibt einen Eindruck von diesem Prozess, der in einem engen Saal abgehalten wurde, mit steil ansteigenden Sitzreihen für die Besucher, aus denen die Zeugen nach vorne treten. An manchen von den 167 Tagen gibt es kaum Besucher, aber man kann im Publikum jemand mit Stativ und Kamera sitzen sehen – das Filmteam hat, so kann man annehmen, im Schichtdienst gearbeitet.

Zudem lief eine kleine Digitalkamera mit, die den Blick des Richters einnimmt – zentral auf die Zeugen gerichtet, der Saal in perspektivischer Verzerrung vollständig im Blick. Im Abspann gilt der wichtigste Dank von Eszter Hajdú dem Richter, dem es offensichtlich zu verdanken ist, dass dieses andere Bild dem Film auch zur Verfügung stand, dass es also einen Gegenschnitt aus Sicht des Gerichts geben kann.

Dieser László Miszori eignet sich allerdings keineswegs als positive Idealfigur, denn seine Verfahrensführung ist mehr als diskutabel: Er ist schroff, immer wieder maßregelt er sowohl Zeugen wie Angeklagte, wobei er vor allem Zeugen nicht die Möglichkeit gibt, sich auf ihre Weise zu äußern. An einer Stelle «übersetzt» er auch eine nicht ganz korrekte Ausdrucksweise einer Zeugin für das Protokoll.

Knapp zwei Stunden für 167 Prozesstage – das stellt eine enorme Herausforderung für die Montage dar. In Variety meinte Peter Debruge, 30 Minuten könnten noch eingespart werden, das kann ich nicht nachvollziehen. Die narrative Verdichtung ist eine Herausforderung, die an manchen Stellen fast so etwas wie eine ethische Dimension bekommt, dort nämlich, wo «reaction shots» eine unmittelbare zeitliche Kontinuität suggerieren, die tatsächlich eher sachliche Kohärenz sein dürfte.

In Umrissen wird erkennbar, dass schon unmittelbar nach den Verbrechen am Tatort viele Fehler gemacht wurden, und dass auch die Vorurteile gegenüber den Roma die Hilfe und die Aufklärung schwer beeinträchtigten. Ein Beamter meinte, Nägel von herabfallender Brettern hätten Wunden verursacht, die tatsächlich von schweren Projektilen stammten – Dummheit oder Zynismus? Es ist schwer zu sagen. Die Aufnahmen des jüngsten Opfers, Robi Csorba, sind besonders schockierend: Die zahlreichen «bullett paths» in seinem Körper wurden mit schweren Nägeln nachvollziehbar gemacht.

Judgment in Hungary ist ein höchst interessantes Dokument von einem Gerichtsverfahren, das von den Angeklagten als «Schauprozess» verunglimpft wurde (und der Richter als «Sadist»), das aber tatsächlich eher ein Anschauungsprozess ist – ein Verfahren, in dem ein Gemeinwesen sich in seiner Institutionalität, aber auch Zivilität überprüfen kann. Oder eines, das auch uns ins Publikum ruft. Zuschauer aus einem Land, in dem kürzlich erhoben wurde, dass Roma und Sinti von einem Drittel der Befragten als «eher oder sehr unangenehm» empfunden werden, wenn sie in der Nachbarschaft leben.