debatte

12. Mai 2010

Rendezvous Eine Polemik

Von Ekkehard Knörer

Gestern stieß ich durch bloßen Zufall auf Claude Lelouchs C'était un rendez-vous aus dem Jahr 1976. Acht Minuten lang rast ein Auto mit an der Stoßtange befestigter Kamera in der Morgendämmerung durch Paris. Das ist nicht beschleunigt, nicht inszeniert: Echtes Auto in echtem Paris.

Ein buchstäblich lebensgefährlicher 8-Minuten-Irrsinnsfilm aus Lärm und Geschwindigkeit und Paris. Der Fahrer war, wie man heute weiß, Lelouch selbst. Die Ferrari-Geräusche, die man hört, sind darübersynchronisiert, in Wahrheit fuhr er einen 6-Zylinder-V8-Mercedes. (Hey, keine Ahnung. Ganz viele PS jedenfalls.)

Das ist jetzt sehr ungerecht (einerseits), dass ich bei diesem Film, der in der Tat total problematisch ist, aber auch einfach toll (so, jetzt ist es raus), sofort an zehn andere  kurze Filme denken musste, die ich am vergangenen Samstag sah – und zwar musste ich genau deshalb an sie denken, weil nichts an ihnen an Lelouchs Streich erinnerte. Was ich sah, waren zehn an der Berliner DFFB entstandene, von Arte in Auftrag gegebene (und mit 4000 Euro pro Film ausgestattete) Studierendenfilme zur eigentlich interessanten Frage «Was tun?» 

Diese Studierendenfilme haben mich ratlos gemacht. Nicht, weil sie besonders peinlich oder schlecht gemacht waren. Richtig ärgerlich war eigentlich nur ein einziger, eine doofe Jungsfantasie mit dem Titel Zoe. Nicht einmal im engeren Sinn dämlich, nur schon mitten drin im Juste-Milieu-Arthouse eine sehr gut gemeinte Demenz-Etüde des Titels Wie immer (die bekam den lautesten Beifall im vollen Arsenal-Saal. Klar.). Der Rest: Mehr oder weniger gekonnt. Sehr gekonnt: Ein Lehrer-Schüler-Machtspiel mit überraschendem Ausgang (Nachsitzen, von Anika Wangard) und eine schön vom Hölzchen aufs Stöckchen kommende Kinderblick-Detailstudie (Tandem, von Polina Gumiela). Drei Filme fielen etwas aus dem Rahmen: Einer, weil er immerhin gezielt einen Außenblick auf das Gegenwartsberlin suchte (Ins Herz der Stadt), einer, weil er sichtlich – und als einziger – von einer Formidee her gedacht war (Passanten) und einer, weil er für seinen arg didaktischen Fassadenauflösungsmonolog immerhin eine außergewöhnliche Form (direkte Kameraansprache) fand (Success).

Trotzdem blieb von den zehn Filmen insgesamt der Eindruck zurück, dass die Macher fast alle ihr Handwerk verstehen und dass es damit aber auch gut ist. Der Gedanke, dass es auch ein Blödsinn sein kann, sein Handwerk zu verstehen, kommt ihnen nicht. Sie glauben mit einer an Ignoranz grenzenden Selbstverständlichkeit an die Sekundärtugend, die das Handwerk (im besten Fall) darstellt. Diese Filme wollen nicht hoch hinaus, sie zweifeln nicht an sich selbst, sie wollen nichts kaputtmachen, sie wollen nichts verachten, sie wollen nichts leidenschaftlich behaupten, sie wollen nicht spielen, sie wollen nicht ihr Kino gegen ein anderes Kino setzen, sie wollen einfach nur auf Arte gekonnte Mittelschichtsbefindlichkeitsödnis verbreiten.

Böse gesagt. Aber gerade das Gutgemeinte daran macht ja böse. Diese Filme kennen und wissen auch fast alle nichts: über Filmgeschichte, über Avantgarde, über Theorien des Films und Theorien überhaupt, über den gegenwärtigen Stand anderer Künste. Woher ich das weiß? Na, man sieht es ihnen Bild für Bild an. Sie stammen aus einem Kriterien-Kokon, in dem man die Frage nach der handwerklich richtigen Kadrage schon für das höchste aller ästhetischen Gefühle hält. Nichts gegen Fragen der Kadrage. Aber man muss jeder Kadrage doch das Wissen ansehen, dass im Zweifel Kadragefragen auch scheißegal sein können. Oder, umgekehrt, dass an einer einzigen Einstellung sich Gelingen und Scheitern entscheiden kann.

Ich hasse großkotzige Künstlertypen und bis auf die Zoe-Macher habe ich auch keine entdeckt. Aber es muss doch etwas anderes geben als die laue Freundlichkeit dieser DFFBler. Warum wollen die nichts, außer, denkt man, eine freundliche Karriere ohne zu viele Kompromisse im deutschen Film- und Fernsehbetrieb? Sie würden bestimmt brav ihren Sermon gegen zu große Marktkonformität aufsagen (man ist schließlich an der DFFB), sie würden bestimmt alle eine gepflegte Auswahl von Lieblingsregisseurinnen und Lieblingsfilmen herzählen können. Aber sie wagen nicht nur nichts, es ist viel schlimmer: Sie stellen ihr Desinteresse an jedem Wagnis aus. Man kann das erfreulich finden, dass keiner dieser zehn Filme entgleist oder gescheitert ist. Man kann aber auch sagen: Das ist haargenau das Problem.