«Im nächsten Leben bist du der Schauspieler, und ich bin der Regisseur»: NA RI XIAWU (AFTERNOON) ist ein entspanntes Gespräch zwischen Tsai Ming-liang und Lee Kang-sheng. Über Fußpilz, die Nähe des Todes und eine einzigartige Freundschaft.

REMEMBER von Atom Egoyan: weder beherzte Exploitation noch ernst zu nehmende erinnerungspolitische Anstrengung. Dass der Schäferhund Eva heißt, ist nur einer von vielen Fauxpas.

skolimowskis 11 MINUTES werden in diverse parallelstränge zerlegt. ein formales experiment, das ein paar stressgeplagten großstädter übel zuspielt. play it loud.

HELMUT BERGER, ACTOR von Andreas Horvath ist weniger ein Porträt als ein zähes, redundantes Protokoll davon, wie der Filmemacher an Berger scheitert

Heilige Makrele! Wie Brian De Palma im Interviewfilm von Noah Baumbach und Jake Paltrow einerseits eloquent über Kameraeinstellungen, Bildkomposition und das System Hollywood parliert, andererseits auf dem Schlauch steht, sobald es um weiter reichende Implikationen seiner Filme geht, ist bemerkenswert.

kaufmans ANOMALISA erzählt von einer midlife-crisis mit roboterpuppen: romantisch, verkorkst, zeitgenössisch - der schönste wettbewerbsfilm bisher.

Multitude, du machst mir Angst: Amos Gitais Dokudrama RABIN, THE LAST DAY kommt immer wieder auf Archivbilder von einer Anti-Rabin-Demo zurück, bei der alle – selbst ein sieben Jahre alter Junge – frenetisch «Death to Rabin, death to Rabin» brüllen

MADAME COURAGE von Merzak Allouache begleitet einen jugendlichen Drifter auf seinen Wegen durch eine Stadt an der algerischen Küste. Gutes Gespür für den Ort, sanftes Auf und Ab der Steadicam, und die dramatische Zuspitzung, die im Stoff drinsteckt, wird am Ende einfach verpennt.

ein großer moment in einem leider nur phasenweise geglücktem film: ralph fiennes, der in A BIGGER SPLASH zu emotional rescue von den stones ausgelassen tanzt.

weiterer wettbewerbstiefpunkt: oliver hermanus' bleiernes und grotesk bedeutungschweres zeitlupenmelo THE ENDLESS RIVER.

Am meisten Vergnügen bereiten die VENEZIA CLASSICI. Wie in Akira Kurosawas AKAHIGE (RED BEARD) vier Krankenschwestern und das Mädchen Otoyo in einen Brunnen hineinrufen, um die Seele eines Fast-Toten zur Umkehr zu bewegen, haut mich um.

Die düstersten Seiten der argentinischen Militärdiktatur mit kontrapunktischem Musikeinsatz zu ummanteln klappt nur halb: Pablo Traperos EL CLAN

an bradly corbets CHILDHOOD OF A LEADER beeindruckt immerhin der gewaltige, diabolische score von scott walker.

Während der Pressevorführung von THE DANISH GIRL werden wir unentwegt mit Lasern angeleuchtet. Anti-Piraterie-Maßnahme. Als wollte irgendwer diesen Murx abfilmen und ins Netz stellen.

loznitsa fügt seiner archivgeschichte mit THE EVENT ein kapitel aus st. petersburg im heißen august 1991 hinzu: die kamera grätscht durch die menge, die sich am ende entschlossen zur nation zeigt. dazu erklingt das adagio aus dem schwanensee.

Wunderbar, auf Frederick Wiseman ist Verlass! IN JACKSON HEIGHTS porträtiert eine neighborhood in Queens, mit vielen tollen Szenen niedrigschwelliger politischer Willensbildung und mit einem Taxischein-Kurs, der die Himmelsrichtungen mit Nasen, Schuhen, Essen und Powischen anschaulich macht.

gabriel mascaros behandelt den wandel brasiliens, in dem er im rodeo-milieu gender-positionen verschiebt. NEON BULL ist dank diego garcias kamera auch einer der visuell beeindruckendsten filme bisher.

Alles, was Loznitas MAIDAN auszeichnete, fehlt Evgeny Afineevskys nachträglicher Dringlichkeitsdoku WINTER ON FIRE

SPOTLIGHT, thomas mccarthys zeitungsdrama um das aufdeckertum des boston globe: toll besetztes, vielstimmiges erzählkino im spirit von ALL THE PRESIDENT'S MEN und neuen qualitätsserien.

EVEREST, der Eröffnungsfilm, stürzt ab. Und das nicht aus 8848 Höhenmetern, sondern eher so aus zweieinhalb.

Amok diesseits und jenseits der Glasscheibe: UN MONSTRUO DE MIL CABEZAS von Rodrigo Plá