fespaco 2019

13. Mai 2019

Zukunftsleuchten Zum 50. Geburtstag des subsaharischen Filmfests von Burkina Faso

Von Michaela Ott

© Michaela Ott

 

Sei es, dass auch das Filmfest des subsaharischen Kinos in die Jahre kommt, sei es, dass auf dem afrikanischen Kontinent genau wie anderswo eine verstärkte Suche nach Herkunft, Identität und spezifischer Verortung angesagt ist – zum 50. Jahrestag seines Bestehens gab sich das namhafte Filmfest FESPACO von Burkina Faso besonders erinnerungs-, traditions- und doch auch zukunftsbetont. Es sparte nicht an essentialisierend-kontinentverbindenden Vokabeln, wenn es als Programm der begleitenden Konferenz ausgab, das «panafrikanische Kino in seinem Wesen, seiner Ökonomie und seiner Diversität» erneut zu erforschen. Bei genauerem Hinhören bedeutete das: die Kinemathek von Ouagadougou mit mehr Mitteln auszustatten, das gesamtafrikanische Erbe nach dem Vorbild von Bologna zusammenzutragen und vor allem mit Geldern der Martin-Scorsese-Foundation zu restaurieren. Im Sinne der Stimulierung des Filmschaffens lobte man mehr Preise aus als in den Jahren zuvor, differenzierte zwischen Kurz- und Langfilmen sowohl im Spielfilm- wie im Dokumentarfilmbereich.

Aus eben diesen Erinnerungsgründen wurde die Dokumentarfilmproduktion besonders gefördert und wiederholt an die Pioniere des afrikanischen Films, an Ousmane Sembène, Dijbril Diop Mambéty, Med Hondo und Idrissa Quédraogo und ihr kinematografisches Vermächtnis erinnert. Insbesondere der mittlerweile ebenfalls verstorbene Idrissa Quedraogo, Ahnherr des Burkinabé-Films, trat in unterschiedlichen Dokumentationen und essayfilmartigen Kompositionen auf; in ihnen wurde in avancierter Manier, sogar mittels mise-en-abyme-Techniken wie in dem Essayfilm Hakilitan (Mémoire en fuite) von Issiaka Konate, zu selbstreflexiver Erinnerungsarbeit angesetzt. Der Doyen der lokalen Kinematografie, der neben anderen afrikanischen Etalon-d'or-Trägern als Goldbronzeskulptur auf der Ehrenmeile am Place des Cinéastes prangt, wird immer wieder als jener Filmemacher herangezogen, der – wie zahlreiche Regisseure des dritten Kinos Lateinamerikas – den Film als politische Waffe in Einsatz gebracht hat, um gegen Korruption und Ausbeutung in der gut sozialistischen Tradition eines Thomas Sankara vorzugehen.

In dem genannten Film tritt er vehement für eine verbesserte Erinnerungskultur ein, für die Pflege und Wiederherstellung der Filmarchive, für eine zeitgemäße Medienschulung, auf dass die afrikanischen Filme nicht länger in Europa oder in Asien fertiggestellt werden müssen. Dank eines Businessplans der Afrikanischen Entwicklungsbank BAD würden bedeutende Geldsummen für filmbezogene Infrastrukturprogramme in den fünf Regionen des Kontinents zur Verfügung gestellt. Auf experimentelle Weise sucht Hakilitan denn auch das Gedächtnis des Filmarchivs, das anlässlich einer Überschwemmung 2009 in Ouagadougou zu großen Teilen zerstört wurde, als bruchstückhafte Erinnerung eines Professors wieder erstehen zu lassen; allerdings mischen sich befremdliche Männerphantasien von machetenbewehrten und äußerst lasziven Strapsträgerinnen, die an spezifische Mythen des Landes erinnern sollen, in diese kinematografische Erinnerungsarbeit.

In den zahlreichen Dokumentarfilmen aus hauseigener Produktion wurden dann allfällige politische Forderungen vorgebracht und politisch-ökonomische Missstände angeprangert, allerdings häufig unter dem Vorzeichen des zu spät: Die Goldminen Burkinas, von internationalen Investmentfirmen ausgebeutet, wie in Pas d'or pour Kalsaka von Michel V. Zongo geschildert, haben die Landwirtschaft zerstört und das Land den ortsansässigen Bauern geraubt, so dass ihnen kaum was zum Leben bleibt. Als naiv bezeichnen sie sich selbst.

Auch das Thema Identität und Rückkehr zu den Wurzeln hat in diesem Genre Konjunktur: In dem Dokumentarbeitrag L'appel du sang von Raymond Tiendre wird der «Ruf des Bluts», die Rückkehr einer in Madagaskar lebenden Burkinabé, die Wiederbegegnung mit ihrem Bruder nach 50 Jahren Abwesenheit und eine selige Familienzusammenführung zelebriert. Die befremdliche, festivalkonforme Botschaft des Films: der Ruf des Blutes überwindet alle Distanzen.

Am Deutlichsten wird die gewünschte Reinstaurierung der Tradition in Le Futur dans le Retro, wie der Titel der dokumentarischen Recherche des kamerunischen Regisseurs Jean-Marie Teno bereits sagt. Eine US-Professorin aus Florida sieht sich plötzlich zur «Mutterkönigin» ihrer ghanaischen Herkunftsethnie erkoren und wächst nach und nach in diese Imago hinein. Allerdings bleibt es bei einer sehr US-amerikanischen Imago: Vor allem um Kleider, Auftritte, Repräsentation geht es, kaum um Funktionen und Verantwortung, um Details der matrilinearen Organisation oder die Unvereinbarkeit der divergierenden Existenzweisen. Sisterhood sei bereits in ihrem amerikanischen Leben zentral gewesen, betont die Zentralgestellte, selbst ihre Söhne seien dabei, Töchter zu werden. Die schwerfällige Körperlichkeit der Personen in Florida und Ghana ähneln sich.

 

© Michaela Ott

 

Da zudem Ruanda das Gastland des diesjährigen Festivals war, wurden auch zahlreiche musikalische Traditionen von dort dokumentiert, etwa Kordophone namens Inanga zum Klingen gebracht. Der ruandische Regisseur Jean-Claude Uwiringiyimana versprach, mit fünf weiteren Kurzdokumentationen seine Serie zu den musikalischen Eigenheiten Ruandas in den kommenden Jahren zu vervollständigen. Der Gast als König: Mit dem 1. Preis, der Massivgoldstatuette einer reitenden Burkinabé-Prinzessin, wurde der ruandische Wettbewerbsbeitrag ausgezeichnet, der bereits das Afrikamera-Festival in Berlin 2018 eröffnet hat: The Mercy of the Jungle von Joel Karezeki. Dieser dunkel dräuende Film spielt diffus auf kriegerische Auseinandersetzungen der jüngeren Zeit im Grenzgebiet zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo an, um vor allem zwei ruandische Soldaten, die zwischen feindliche Linien geraten sind, in ihrem Überlebenskampf im Dschungel zwischen Löwen, Moskitofliege und Menschenschlächtern zu porträtieren.    

Dokumentarfilme unterschiedlicher Länge gab es verstärkt auch aus arabischen Ländern zu sehen: In dem ebenfalls prämierten marokkanischen Film Au temps où les Arabes dansaient von Jawad Rhalib wird das zeitgenössische Verbot des arabischen Tanzes von Marokkanerinnen, Tanzlehrerinnen und leidenschaftlichen Tänzerinnen, beklagt. Angesichts der in Ouaga zwischen den Filmen regelmäßig dargebotenen frenetischen Tanzeinlagen und der gerne farbenbetont aufgeführten Körperlichkeit der Gastgeber*innen wurde es umso unverständlicher, wieso im 21. Jahrhundert Platons Bannfluch gegen musikalische Praktiken ob der von ihnen ausgehenden Verweichlichungsgefahr wiederkehren und sich in physischen Bewegungsverboten niederschlagen muss.

Der Bürgerkrieg diente als spannungssteigernde Folie auch Filmen, in denen es weniger um ethnische Konflikte als um solche familiärer Kohärenz ging. Der Burkinabé-Spielfilm Desrances von Apolline Traoré, der am heftigsten im Stadtraum beworben wurde und zu dessen Premiere die First Lady samt Entourage medienumwittert ins Kino eingezogen war, zeigte sich von der doppelten Absicht überfrachtet, einerseits die Wiederholung eines väterlichen Traumas, andererseits den Kampf der Tochter um ihre Anerkennung durch den Vater zu dramatisieren. Dieser, selbst alleiniger Überlebender einer Schlächterei in Haiti und von der Aussicht auf die Geburt eines Stammhalters verblendet, verliert diesen samt Ehefrau im aktuellen Bürgerkriegsgeschehen der Elfenbeinküste und erkennt erst spät, dass ihm die tapfere Tochter durchaus eine legitime Erbin sein kann. Pathosbefrachtet lässt der Film die politischen Vorgänge, wie im vorbildgebenden Hollywoodkino, auf den familialen Nexus zusammenschrumpfen und nimmt sie ebensowenig wie der Wettbewerbsgewinner als symptomatische Gegenwartsereignisse ernst. Allenfalls ließe sich im Anerkennungsstreben des Mädchens eine für die afrikanische Gegenwart typische Forderung ausmachen, wie sie sich auch in anderen Spielfilmen Gehör verschaffte – und in der MeToo-Debatte im Filmmarkt auf der Place de la Nation lautstark Ausdruck fand.

Frauen brachen allenthalben auf und aus: Etwa in T-Junction, einem Beitrag aus Tanzania von Amil Shivji, in dem nach dem Tod des längst nicht mehr bei der Ausgangsfamilie lebenden Erzeugers die Tochter, die das Gejammere ihrer Mutter nicht erträgt, bei einer queeren Truppe Trost und Abwechslung sucht. Diese wird fortgesetzt von der Polizei gejagt und wächst gerade deshalb zu einer dickköpfigen Widerstandgruppe zusammen. Familie, so die Botschaft des Films, lebt sich heutzutage dort, so man bereit ist, auch Notverbände als Überlebensmilieus zu akzeptieren.

Ein von der weiblichen Zuschauerschaft emphatisch akklamierter Spielfilm, Resolution von Boris Oue und Marcel Sangne aus der Elfenbeinküste, zeigt die psychophysische Malträtierung einer erfolgreichen Geschäftsfrau durch ihren justizbeamteten Ehemann, wobei auch hier an Konflikthäufelung nicht gespart wird. Nicht nur wird sie von ihrem Gatten verprügelt, sondern zusätzlich von der Mutter exorziert, von Priestern und der Polizei bedroht, wobei väterlicher Missbrauch, die vom eigenen Vater verursachte Sohnschaft, auch noch thematisch wird. Als der völlig orientierungslose Sprössling sich schließlich umzubringen sucht, zeigt die Mutter endlich den Ehemann an – standing ovations von Seiten des zahlreich anwesenden weiblichen Publikums. 

Um dessen Adressierung ging es selbstverständlich auch in dem hierzulande bereits intensiv beworbenen Spielfilm Rafiki von Wanuri Kahui aus Kenya, der recht schnell und erwartbar zur Sache kommt. Die Narration wirkt äußerst konstruiert: Zwei Mädchen, beide Töchter von Politikern, wenn auch aus unterschiedlichen Schichten, begegnen einander und verlieben sich auf der Stelle. Der Kuss zwischen ihnen, das Skandalon, das in Kenya die Zensur auf den Plan gerufen hat, erfolgt mehrfach; auch die Eltern schreiten ein, verbieten die Begegnung, die reiche Tochter wird außer Landes geschickt, nur der Vater der weniger Begüterten bringt Verständnis auf. Als diese zur Ärztin herangereift ist, erfährt sie von der Rückkehr der anderen…

Eine kuriose Parteinahme für eine Schwangere nimmt der ghanaische Spielfilm Keteke von Peter Sedufia vor: Das Paar, das zum Zweck der Niederkunft in die nächste Stadt zu reisen beabsichtigt, verheddert sich in dauernden Streitgesprächen, einschließlich einer seltsamen Begegnung mit Geistheilern, so dass die Frau ihr Kind zuletzt im Zug bekommen muss, unter dem Gesang mitreisender Männer. Musik, so die Botschaft, ist die Heilung, sogar im Ausnahmezustand der Niederkunft.

Eine Odyssee der besonderen Art bietet wiederum Duga les charognards von Adoulaye Dao und Hervé Lengani aus Burkina Faso. Dieses Roadmovie dramatisiert die Unmöglichkeit legaler Bestattung für einen weder der traditionellen noch der christlichen Gemeinschaft angehörigen Verstorbenen. Von Wasserbeuteln gekühlt, wird die Leiche samt Witwe und Tochter in einem Lieferwagen durchs Land kutschiert; schließlich findet der Tote Gnade auf einem Friedhof, aber nur, um von vermeintlichen Freunden, die in seinem Körper Gold vermuten, erneut von Ausgrabung bedroht zu sein. Auch dieser Filme findet begeisterte Aufnahme beim Publikum, das offensichtlich nicht wenige Anspielungen auf Fallstricke des Alltags in ihm erkennt.

Vor allem aber ruft just ein im 17. Jh., in einem Dogondorf mit Grotte situierter Wettbewerbsfilm zur Umorientierung der Gesellschaft auf: Barkomo (La grotte) von Aboubacar B. Draba und Boucary Ombotimbe aus Mali feiert den Ausbruch eines jungen Paares aus dem tradierten Stammesleben, in dem eine Ehefrau, ob ihrer Kinderlosigkeit verstoßen, sich vom Felsen stürzt, auf wundersame Weise gerettet und dann doch schwanger wird und den verheißenen Thronfolger eines anderen Clans gebiert. Herangereift zerreißt der junge Mann entschlossen diesen mystischen Vorhang und haut mit seiner jungen Freundin freiheitsbewusst ab – unter dem Beifall des Publikums.

Kinder und Jugendliche werden zunehmend häufiger als symptomatische  Verkörperer gesellschaftlicher Veränderungen der Gegenwart vorgeführt: In dem marokkanischen Spielfilm Indigo von Selma Bargach steht dieser Name für Mädchen, die einer gewissen übernatürlichen Sehkraft verdächtigt und deshalb Psychiatern anheimgegeben werden. Von der frustrierten alleinerziehenden Mutter missverstanden, vom Lehrer geschlagen, von Mitschülern maltraitiert, flüchtet sich das Mädchen zur jüngeren Tante, die als einzige versteht, dass die Nichte über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt; gegen Ende, als alles auseinanderzubrechen droht, drängt sich die Notwendigkeit einer Umorientierung insbesondere der Mutter auf.

In dem exzellenten, wenn auch nicht durchweg plausiblen tunesischen Wettbewerbsbeitrag Regarde-moi von Nejib Belkadhi wird wiederum ein autistisches Kind in den Mittelpunkt gerückt: Sein Vater, der lange Jahre nichts von diesem Kind wissen wollte, beginnt sich just zu dem Zeitpunkt um den Jungen zu kümmern, als er von einer anderen Frau ein zweites Kind bekommen soll. Indem er in allen Teilfamilien alles durcheinander bringt, baut er ein intensives Verhältnis zu seinem Sohn auf – und zeigt, dass auch Vätern späte Anteilnahmen am selbst Verursachten möglich sind.

Nicht zuletzt schlossen essayistische Filme aus außerafrikanischen Ländern des Globalen Südens den Reigen, so Meu amigo Fela von Zito Araujo aus Brasilien. Dieses aufgekratzte Biopic des brasilianischen Sängers Fela schildert dessen sukzessive Solidarisierung mit der Schwarzen Sache, unterstützt durch Fotografien und Dokaufnahmen der Schwarzen Helden, von Malcolm X. bis Lumumba und Sankara. In diesem Reigen tendenziell zu gering vertreten sind Filme, die sich rein nach ästhetischen Prinzipien entwerfen und nicht in erster Linie ein gesellschaftliches Statement verlautbaren. Wenn die afrikanische Kinematografie sich eines Tages ihrer kämfperischen Vereindeutigung entledigen darf, wird ihr auch jene Zukunft leuchten, die sie sich bereits jetzt als Fluchtpunkt vorgenommen hat.