berlinale 2009

16. Februar 2009

Berlinale Ende. Austrudeln Wie die Berlinale ausging und was dann noch geschah. Ein paar letzte Notizen

Von Ekkehard Knörer

Die Berlinale war dann für mich am Freitag Abend nach Andrzej Wajdas Tatarak vorbei gewesen. Auf der Fahrt nach Hause sah ich in der U-Bahn Cong Feng, den ich nur erkannte, weil er sein Akkreditierungsschild umhatte. Das ist der Regisseur des Films Dr. Ma's Country Clinic, der vier Stunden geht und in dem man nichts weiter als Menschen in einer ländlichen chinesischen Arztpraxis sieht und der nach allem, was man mir zutrug, zu den Höhepunkten des Festivals gehörte. Tatarak gehört dazu nicht, er ging mir aber noch eine Weile im Kopf herum. Es ist die Verfilmung einer wenig interessanten Geschichte um eine sterbenskranke Frau mittleren Alters, die sich in einen jungen Mann verliebt, der ihren liebenden Blick genießt und dann ertrinkt, bevor es zum Äußersten kommt. Wajda jedoch durchbohrt diese Erzählung. Die Wirklichkeit bricht herein, in Form von monologisch vorgetragenen Texten der Schauspielerin Krystyna Janda, in denen es um das Sterben ihres Ehemanns geht, der zugleich Andrzej Wajdas Kameramann war.

Man muss aber vorsichtig sein mit der metaphorischen Färbung der Wörter, die man wählt. Denn in Wahrheit «bricht» eben nichts «herein»; es wird nicht einmal etwas «durchbohrt». Es ist ganz im Gegenteil die Leblosigkeit der Inszenierung, mit der Wajda seinen Film nachgerade erstickt. Das Rumoren in meinem Kopf nach dem Film hatte damit zu tun, dass ich erst nicht sicher war, ob das vielleicht Absicht war: ein Film über die Trauer, den Verlust, letzte Momente der Lebenslust, der im Gegensatz zu dem, was er zeigen und sagen will, eine Form findet, es nicht zu sagen und zu zeigen und so, paradox, auf die Unbegreiflichkeit des Ereigneten zu verweisen. Ich kam, auch von Krystyna Jandas edel-empfindsamer Seelen-Darstellung wenig angetan, zum Schluss, dass Wajda in Wahrheit nur aus seiner Kunstfilmer-Haut nicht herauskam und dass die Tatsache, dass man nichts spürt beim Ansehen dieses Films, nicht in seiner Absicht gelegen haben kann.

Am Abend des Samstag habe ich dann in 3sat die Verleihung der Bären gesehen. Dieter Moor ist, wovon man sich ohnehin jeden Sonntag in der furchtbaren ARD-Kultursendung überzeugen kann, ein dummer Mann. Es fiel ihm nichts besseres ein, als den in jeder Hinsicht reflexiv hoch gewitzten Gewinner des Goldenen Bären in die Schublade «ethnografisch interessanter Exotismus» zu stecken. Er hat damit die falscheste der falschen Schubladen gewählt, aber einem wie ihm geht all so was ohnehin nicht ins Hirn.

Ich kann nur bestätigen, was andernorts auch zu lesen war: Die Jury hat in diesem Jahr Bewundernswertes geleistet, indem sie aus dem Wenigen, das der Wettbewerb hatte, das Allerbeste machte. So hat der mit Abstand beste Film des Wettbewerbs, La teta asustada, nach einstimmigem Urteil gewonnen. Jeder vergebene Bär ist begründbar und wenn man, was man ja, worauf das Rumoren in meinem Kopf deutet, zweifellos kann, in Sachen Tatarak zu einem anderen Schluss kommt, dann ist sogar der Preis für Innovation an Andrzej Wajda eine kluge Entscheidung. Gigante, ein sehr netter und sehr gutartiger Film, war am Ende vielleicht etwas überbewertet. Aber egal. Sehr schön fand ich die Dankesrede von Maren Ade, ermüdend, aber im Prinzip sehr in Ordnung Sotigui Kouyatés höfliche Dreistigkeit. Er kam auf die Bühne und setzte sich und hörte zu reden kaum mehr auf. So toll waren die Parabeln, die er erzählte, zwar nicht, aber die Geste hat mir gefallen und dass keiner kam, ihm das Wort abzuschneiden, das gefiel mir dann erst recht. Beinahe war ich in diesem Moment versöhnt mit der Berlinale.

Am Sonntag vormittag war ich, aus mit der Berlinale gar nicht verbundenen Gründen, am Flughafen Tegel. Sah durch das Fenster Theo Angelopoulos aus einem Berlinale-Kastenbus steigen. Seinen Film Der Staub der Zeit hatte ich nicht gesehen, aber alles, was darüber zu lesen war, bestätigt den Eindruck, den ich bei Ansicht des Dokumentarfilms über die Dreharbeiten hatte, dass Angelopoulos, dessen frühe Filme ich zum Teil großartig finde, längst im Glauben an die eigene Bedeutung ersoffen ist. Als ich dann noch in Tegel beim Starbucks saß, oben, kam, wenn ich mich beim flüchtigen Blick nicht versah, der männliche Hauptdarsteller aus Beeswax herein, Alex Karpovsky, der – wie ich beim Googeln erfahre – selbst ein Filmemacher ist, dessen Woodpecker ein sehr interessantes Mockumentary zu sein scheint.

Hinterher, es war später Vormittag, hatte ich keine Lust, nach Hause zu fahren, aber Lust auf einen weiteren Berlinale-Film hatte ich auch nicht. So beschloss ich, mir Billu Barber anzusehen, einen Bollywood-Film, der gerade während der Berlinale angelaufen war, und dessen Prämisse sehr viel versprechend klang. Ich fuhr dazu ins Babylon Mitte, ein Berlinale-Kino, das im kleinen Saal am Berlinale-Abschlusssontag Berlinale-unabhängiges Programm machte. In den kleinen Saal passen rund siebzig Leute und er war ausverkauft. Ich war, ich habe gezählt, einer von sechs Männer unter Frauen zwischen sieben und sechzig (geschätzt), von denen eine im Sitz neben mir wie eine nicht mehr ganz junge Rockerbraut aussah. Sie trank langsam ihr Bier aus der Flasche, ging zwischendurch raus, kam wieder und roch nach Rauch. Das Wort Rockerbraut habe ich lange nicht mehr gehört.

Wenn eine Bollywood-Star-Persona in die Midlife-Krise gerät, wird sie, das ist die Lektion aus dem Karriereweg Shah Rukh Khans, selbstreflexiv. In Om Shanti Om bereits ging es, auf turbulent postmoderne Art, um Kino und Leben und wieder zurück. Billu Barber ist nicht postmodern, aber um Leben und Kino und kaum etwas anderes geht es darin auch. Shah Rukh Khan spielt einen Bollywood-Superstar namens Sahir Khan, der zum Dreh in ein Dorf kommt, in dem sein Jugendfreund Billu als Friseur lebt und keinen Erfolg hat, wenngleich eine wunderschöne Frau und zwei süße Kinder. Der Film erzählt, auf leider sehr bemühte Weise, davon, wie das vom erfolglosen Friseur nie bestätigte Gerücht, er sei ein Jugendfreund des Superstars, ihn – Billu – sehr unter Druck setzt. Er unternimmt zaghafte Annäherungsversuche, wird vom Management- und Sicherheitspersonal jedoch immer wieder zurückgewesen und steht am Ende ohne eigene Schuld als Aufschneider da.

Nicht ganz am Ende natürlich. Nachdem Sahir Khans Leben als Superstar als auch nicht die reine Freude fertigbeschrieben ist, kommt es zu seiner Abschlussansprache an der Schule des Dorfs. Sie wird zur Hymne auf Kindheits- und Jugendfreundschaften, aus der Billu, der hinterm Zaun steht und dann weggeht, als das Musterbild eines Jugendfreunds hervorgeht. Das ist beinahe sehr bewegend. Zwischendurch macht der Film noch völlig zusammenhanglos Science-Fiction-Quatsch und Disco-Stampfmusik-Quatsch und dümmlichen Spaß-Quatsch. Es lohnt sich auch ganz sicher nicht, nur der sehr schönen Rede Shah Rukh Khans wegen diesen Film zu sehen. Aus seiner interessant selbstreflexiven Prämisse macht er im Grund rein gar nichts. Nicht einmal Irrfan Khans wegen, den ich verehre wie kaum einen anderen Schauspieler auf der Welt,  ist dieser Film, der nicht unsympathisch ist, sondern einfach nur schlecht, sehenswert.

Am Abend war ich zu müde, etwas wirklich Sinnvolles zu tun und sah mir den Tatort an. Früher habe ich oft den Tatort gesehen, jetzt schon recht lange gar nicht mehr. Ich glaube nicht, dass mir Jörg Schüttauf als Ermittler schon einmal untergekommen war bisher. Nina Kunzendorf und Devid Striesow (von Matthias Habich ganz zu schweigen) retten diesen übel klischierten Tatort leider nicht, in dem es um das Böse geht, das auf dem Land lebt, in Gestalt von finanziellen Abhängigkeiten und kranken Beziehungen und solchen Dingen. Ich schreibe darüber nur, weil das Drehbuch dazu von Bernd Lange stammt, der der wichtigste Drehbuchmitautor von Hans-Christian Schmid ist und der auch mit Schmid für dessen gut gemeinten, aber sehr uninteressanten Wettbewerbsbeitrag Storm verantwortlich war. Ich bin während des Festivals kein einziges Mal im Film eingeschlafen, wenngleich es Anlass genug gab. Da musste erst der Tatort kommen am Sonntagabend, zum Ende der Berlinale. Ich weiß nicht, wie die Kriminalgeschichte ausging. Es hat mich auch nicht interessiert.