filmkritik

28. Februar 2019

Letzte Mädchen Die Zeitschrift Filmkritik vor 50 Jahren (5): Heft 02 1969

Von Bert Rebhandl

 

Schwerpunkt im Heft ist eine Filmographie mit acht kurzen Einträgen zu Josef von Sternberg, von dem das Westdeutsche Fernsehen (drittes Programm) neun Filme sendet. Über The Last Command, die „Geschichte von einem weißrussischen General, der als Darsteller eines weißrussischen Generals in Hollywood endet“ schreibt Frieda Grafe: «Man könnte sagen, Jannings als russischer General, das ist eine Idee von der Realität eines russischen Generals und der chargierende Komparse Jannings, das ist der Schauspieler Jannings. Beides zusammen ist ein Hollywoodfilm von Sternberg, indem die Fiktion triumphiert über die Realität. So gut wie in der Rückblende dieses Films habe ich Jannings nie wieder gesehen.»

Höhepunkt des Hefts ist für mich ein Gespräch mit Ula Stöckl unter dem Titel «Die Frau von dreißig Jahren». Interessant ist vor allem, wie sie ihre eigene Ausbildung (in Ulm bei Reitz und Kluge) mit dem Thema ihres Films Neun Leben hat die Katze verbindet, wo sie sich erzählerisch darüber Gedanken macht, was es heißt, wenn eine (junge) Frau einen «spektakulären Beruf» ergreift, also einen, in dem sie ihre Schönheit vermarktet, zum Beispiel als Fotomodell.

Den drehbuchfixierten deutschen Filmförderungen der Gegenwart könnte man diese Passage von Stöckl ans Herz legen: «Ich würde beispielsweise wirklich nicht mehr am Drehbuch festhalten und meinen, ich müßte das verfilmen. Wenn ich merke, daß ich mit meinen Darstellern und mit meinen Drehorten und mit allem, was sich während des Filmemachens ereignet, von meiner Geschichte, die ich mir mal aufgeschrieben habe, in eine andere komme, die vielleicht interessanter ist, dann würde ich die eben ganz konsequent verfolgen. Und ich würde zum Beispiel nicht mehr meinen, daß ich so deutlich sein muß, sondern ich hätte ein bißchen mehr Selbstbewußtsein in der Richtung und würde mir sagen, ich mach das jetzt, wie ich das sehe und Punkt, und würde nicht versuchen, das noch dem letzten Mann in der Reihe klarzumachen. (...) Das ist meine größte Erfahrung bei diesem Film, daß die Dinge entweder für sich selbst sprechen, oder daß man sie mit nichts auf der Welt erklären kann.»

Ula Stöckl verbindet ihren Lernprozess mit Erfahrungen bei Edgar Reitz (sie war Regieassistentin bei Mahlzeiten): «Er begnügt sich auch nie mit dem, was er nachweisen kann, sondern sucht auch während des Machens.»

Zu Weekend von Godard bemerkt Enno Patalas: «Auch der Einsatz der explizit politischen Texte, die dem Araber und dem Schwarzen in den Mund gelegt werden, verraten weniger eine apodiktische als eine experimentierende Haltung - so indem Godard den Text des Arabers von dem Schwarzen sprechen lässt und umgekehrt und das Gesicht jeweils dessen zeigt, der schweigt.» Schon damals ist die (Revolutions-)Geschichte für Godard ein Bildbuch, in dem er mit Fragmenten von Totalitäten (der Araber, der Schwarze, der Text) arbeitet.

Über Detektive von Rudolf Thome schreibt Siegfried Schober: «Wenn Filmemachen eine Frage der Ökonomie ist, dann müssen die Filme, die ja nur eine Fortsetzung oder andere Form der Lebensweise ihrer Hersteller sind, logischerweise derart ökonomisch werden. (...) Detektive, das ist nicht, wie viele denken werden, ein Film über Mädchen, das ist vielmehr, wie hoffentlich manche sehen werden, ein Film mit Mädchen; ein schöner Film mit schönen Mädchen.» Ula Stöckl würde vielleicht antworten: mit spektakulären Mädchen, die Gefahr laufen, irgendwann letzte Mädchen zu sein, und deswegen eine Ausbildung machen sollten, am besten vielleicht sogar, um Film mit sich selber zu machen.

Über Gertrud von Dreyer schreibt Frieda Grafe: «Mir geht es in manchem mit Dreyers Filmen und Schriften wie wenn ich Freud lese, wo ähnlich traditionalistische Sprach- und Schreibformen die Entdeckungen oft nicht mehr fassen können.» Grafe wirkt gerade in diesem Heft zwischen all den Männern der Filmkritik stellenweise wie eine Frau von dreißig Jahren denkender Lektüre zwischen ABC-Schützen vor dem ersten Satz.

Über Kelek von Werner Nekes (im nichtgewerblichen Verleih) schreibt Wim Wenders mit einem Umweg über Kurt Kren: «Und diesen kleinen sagenhaften Film von Kurt Kren, TV, mit dem niemand etwas anfangen konnte, weil dieser Film hartnäckig jedes Indiz verbarg, daß er Sehen zeigte, daß man nichts Anderem mehr zuschauen konnte als dem Sehen. Außerdem war TV ein Experiment. Kelek ist kein Experiment. Kelek ist ein Ergebnis. Er zeigt aufregend Erlaubtes: Sehen.»

Zur Sichtung (Wiedersehen) notiert: Falstaff (Chimes at Midnight) von Orson Welles 269