filmkritik

31. Januar 2020

Doppelte Negativität Die Zeitschrift FILMKRITIK vor 50 Jahren (16): Heft 01 1970

Von Bert Rebhandl

Im ersten Heft der siebziger Jahre wirkt die Gründung der Filmkritiker Kooperative noch nach. Siegfried Schober überlegt, wie sich eine Kollektivbildung, «da sie einmal relativ befreit und konsolidiert ist», so auswirken kann, dass die Autoren sich nicht «widerstandslos den Bildern und Wirkungen von Filmen ... unterwerfen.» Er fasst die Alternative so: «Kino und nicht mehr Filmkritik, bloße Häufung von Erfahrungen und Erlebnissen und keine kritische Reflexion und Resistenz mehr, so sieht es fast aus, und wie wir anstelle von Kritik des Kino setzen, so haben wir statt der Realität Politik beinahe nur noch Images von Politik, selten das Konkrete und Bestimmte von Politik und immer häufiger das Große und das Ganze und damit das Vage.»

Dass ausgerechnet Schober, der bei Rossellini geweint und dabei eine Kinoerfahrung gemacht hatte, das Kino als Begriff gegen den der Kritik in Stellung bringt, ist erstaunlich. Es klingt dann auch fast wie eine Parodie auf Rituale kommunistischer Selbstkritik, wenn er schließlisch schreibt, dass die Emanzipation «mir selbst dann die Verpflichtung auferlegen und die Möglichkeit sichern würde, freizügiger und präziser ästhetische Sensibilität und politisches Bewußtsein in einen kritischen Zusammenhang zu bringen und dann vor allem dezidiert und avanciert politischen Autoren, die mich interessieren, den Weg in die Zeitschrift zu öffnen».

Ein neuer Autor ist Peter Nau. Er hat sich durch Leserbriefe der Filmkritik kenntlich gemacht, und beschreibt nun in einem latent sehr witzigen Text, wie er in Köln an einer Fernsehdiskussion über Spielfilme im Fernsehen teilnahm, eingeladen als «einzelnes Publikum», und so platziert, dass seine Nebenleute, der Gesprächsleiter und der wahrscheinliche Hauptgegner, «jedes tiefere Luftholen und die geringste Geste zum Sprachansatz» sofort registrieren und ihm das Wort abschneiden. Nau deutet an, dass er sich als Rahmen für Spielfilme ein deutlich anderes Fernsehen vorstellt: «Kann einer, der die Tagesschau ernst nimmt, danach Weekend von Godard sehen?» Anders gesagt: wenn die ARD schon Godard zeigt, müsste sie dann nicht auch mit ihren anderen Sendungen darauf eingehen? Von heute aus kann man sagen, dass Godard am Fernsehen in Deutschland spurlos vorübergegangen ist.

Zwei Regisseure stehen im Zentrum des Hefts: Rudolf Thome und Abraham Polonsky. Auch bei Rote Sonne ist Godard wieder eine Referenz. «Jene Traditionen des Denkens und des Erzählens, mit denen Godard sich so verbissen herumschlägt (und denen unsere «engagierten» Filmer kritiklos anhängen) – Zihlmann und Thome haben ihnen wirklich und radikal den Rücken zugekehrt», schreibt Enno Patalas. Ihm geht es eher um die erzählerische Form, um den Genreaspekt, während Klaus Bädekerl sich mit der Geschlechterpolitik beschäftigt. Rote Sonne ist der Film über die Frauengruppe, die den Beschluss fasst, dass keine (Hetero-)Beziehung länger als fünf Tage dauern darauf, danach muss der Mann daran glauben. So richtig viel kann die Filmkritik für meine Begriffe mit dem Film nicht anfangen, auch wenn sie ihn offensichtlich positiv hervorhebt.

Polonsky, ein Opfer der McCarthy-Paranoia, wird mit zwei schriftlich geführten Interviews (eines aus 1961, eines aus 1968) vorgestellt. Kontext ist der erste neue Film von ihm seit Force of Evil (1948), der Western Tell Them, Willie Boy is Here. Vor allem Passagen aus dem ersten Teil, aus der Zeit des Berufsverbots, sind an Härte kaum zu überbieten:

Welcher Arbeit gehen Sie gegenwärtig nach? Grub Street (Kuliarbeit).

Haben Sie seit Force of Evil irgendeine Gelegenheit gehabt, Filme zu machen? Nein.

Haben Sie irgendwelche Sujets, die Sie besonders gern in einen Film umsetzen möchten? Ja, in der Tat.

Sehen Sie irgendeine Möglichkeit zu einer zukünftigen Rückkehr in die Filmarbeit? Nein.

Welches sind Ihre Pläne für die Zukunft? Keine.

Man liest hier den Drehbuchautor Polonsky bei der Arbeit an seiner eigenen Geschichte. Er macht sich in diesen wenigen Zeilen zu dem Opfer eines Totalitarismus, das er tatsächlich war.

Begriffe: «Außenseiter-Biedermeier» (Siegfried Schober über Alice’s Restaurant von Arthur Penn)

Sätze: «Das vollkommene bergmansche Kunstwerk wäre nicht das Abbild, sondern (gewissermaßen im photographischen Sinne) das Negativ einer Erfahrung: auch Riten ist das nicht, zum Beispiel weil Bergman mit dem «Kunstwerk innerhalb des Kunstwerks» quasi hinter dem eigenen Rücken auf den Effekt der doppelten Negation spekuliert.» Urs Jenny über Riten von Ingmar Bergman

Aus dem Kritischen Kalender von Friede Grafe notiere ich mir zur Sichtung Pokerspiel für zwei (Where It’s At) von Garson Kanin: Darin «hört man zuweilen Texte, die nicht Dialoge sind, Gesprächsfetzen – wahrscheinlich so authentisch wie die Kulisse des Films: «Liebling, ich hätte dir vor der Hochzeit sagen sollen: ich kann gar nicht Siebzehn-und-vier spielen.»» Weiters notiere ich mir zwei griechische Filme, die Grafe als Alternative zu Z von Costa-Gavras, den sie als «Sauerei» bezeichnet, nennt: Kierion von Demosthenes Theos und Les Patres du désordre von Papatakis (zu beiden habe ich zum Glück eine Quelle).