literatur

12. Oktober 2009

Einfach nur Dath! Zu Dietmar Daths Filmroman Sie schläft

Von Ekkehard Knörer

Ramji Iwein, der Ich-Erzähler von Sie schläft, sitzt im Kino und sieht Alexander Kluges neunstündigen Marx-Film Nachrichten aus der ideologischen Antike. Iwein sieht den Film, weil er sich auf eine Begegnung mit einem Typen namens Dietmar Dath vorbereitet. Den besten Eindruck macht der aber nicht: «Da saß er, dieser Dath, mit seinem gestutzten Ziegenbärtchen und der Oberlehrerbrile, den Kopf ein bisschen zur Seite geneigt, und ließ sich von Kluge in alle freien, abwegigen und verkehrtehn Himmelsrichtungen befragen (...) Spuren eines ungeregelten Lebens waren den hageren Zügen des Verdächtigen reichlich und sichtbar eingeschrieben. Etwas zwischen  der immer weiter absackenden Kraftlosigkeit eines eingefleischten Landstreichers und dem überspannten Idealismus eines Don Quijote schwebte um seine Backenknochen und seine, wenn er nicht eben gewinnend lächelte, eher missmutig herabhängenden Mundwinkel (...); der Mann, schien mir, bestand wirklich bloß aus altklugen Sentenzen über irgendwelche Pohrts, Moishe Postones, die alten Griechen und was er sons t noch alles zu wissen glaubte.»

Porträt des Schriftstellers als Nervensäge ohne besonderes Charisma. Ein Selbstporträt, über die Bande eines Erzählers gespielt, dessen Position damit klar markiert ist – als unberechenbar. Dath schiebt Dath als Figur auf ein Spielfeld neben eine andere Figur, die diesem nicht sonderlich freundlich gesinnt ist. Das ist nicht einfach so neunmalkluge Metafiktion, sondern vor allem der Versuch, die Bezüge zwischen Autor, Erzähler, Figur gründlich durcheinanderzuschütteln. Dath also lästert per Iwein über sein Dath-Alter-Ego. Auch in der Erzählung bekommt der andere Dath eine Funktion: Er tritt auf im Roman als Vertreter eines Mäzens, an dessen Kohle Iwein und seine Freunde wollen. Und zwar eines Projekts wegen, das die interessante Genre-Bezeichnung des Werks – nämlich «Filmroman» – rechtfertigt. Iwein, heterosexuell-androgyner Deutscher indischer Abkunft, arbeitet für ein Museum des filmischen Avantgardismus (MufA). Genauer gesagt: für dessen Website, die nach allen Regeln der Kunst zu einem Archiv cum Abspielstation cum Materialsammlung mit Kritiken, Informationen, fundierten Texten ausgebaut werden soll. (Filmportal.de in etwa, nur eben: für Avantgarde und deutlich aufwendiger.)

Das wird aber teuer. Zwar hängt die Bundeskulturstiftung auch mit drin, was Sie schläft eher nebenbei zur Kulturbetriebssatire geraten lässt, unter ganz besonders bösartiger Berücksichtigung webtechnologischer Front- und Backend-Idiotien. Mehr Geld muss darum her und man hofft es von einem Mäzen bzw. Sponsor namens Colin Kreuzer (intertextueller Verweis auf Daths fast zeitgleich erschienenen Sämmtliche Gedichte-Roman) zu erhalten. Dessen Assistent ist nun Dath und darum gilt es, ihm in den Arsch zu kriechen, etwa durch Ansicht des Klugeschen «Marxmurmelmumpf» (Iwein). Neben Iwein, der neben dem MufA-Job an der Herausgabe eines Stan-Brakhage-Buchs sitzt, schwirrt allerlei Kultur- und Filmbetriebspersonal durch den Roman, für dessen Komposition sich Dath, wie gehabt, nicht mit oberster Priorität Form, Kontrolle oder Disziplin verordnet hat.

Als da wären: lesbische Filmemacherinnen, Ramjis Arbeitskollege und Freund Georg Langowski, der außerordentlich selbstgefällig-geschwätzige Alleskritiker-Kritikaster Erik Aster von der FAZ (die Zeitung wird nicht genannt, aber wenig scheint hier verschleiert), dessen Freund, der Theatermann Peter (viel sympathischer gezeichnet als Aster), eine hoch geschätzte Filmkritikerin namens Dorothee Lüneburg (das Buch ist, nebenbei, FAZ-Filmchefin Verena Lueken gewidmet), ein völlig durchgeknallter Experimentalfilmer namens Ronni Förster (für ihn geht es gar nicht gut aus), ein paar weitre Figuren und vor allem die kommende Frau der deutschen Filmkritik: Irene Fellchen. In diese verliebt sich Ramji Iwein. Er erzielt sogar Teilerfolge auf erotischem Gebiet. Schöner Anlass für Dath, seine von Buch zu Buch beträchtlicher werdende Sexualpoesie auf Hochtouren zu bringen. Schon Die Abschaffung der Arten, ein in jeder Hinsicht größer dimensionierter, aber viel schwerfälligerer Roman, hatte da Ambitionen. Im Sex finden bei Dath die Menschen und Seelen zu einer Nähe, die dem sozialen Miteinander sonst abgeht. Wie weit das Intime als Vorschein der, wie weit als Gegenbild zur besseren Gesellschaft taugt: das bleibt offen.

Vieles ist in Sie schläft wie immer bei Dath. So manches rauscht ihm durch die Rübe und schwupps aufs Papier. Vieles wird wichtig und auch wieder nicht: Ausländer- und schwulenfeindliche Übergriffe, anintellektualisiertes Geschwurbel, Sprachen des Halb-Fühlens-Halb-Denkens (ein auf Dauer etwas nervtötender Dialog mit der lesbischen Filmemacherin), nicht zu vergessen das den Roman rahmende Fantasy-Element: Irene Fellchen nämlich ist – irgendwie bzw. in Wahrheit – die Schlafende, die alles, was Ramji Iwein erlebt und erzählt, träumt. Also auch ihn und sein Erleben. Einen Zugang zu ihr, als Schlafender, verschafft Ramji sein Freund Georg. So sieht er sie denn schlafen und liegen, in anderer Realität. Die Fantasy hat ein theoretisches Unterfutter, nämlich eine nie wirklich zu scharfen Konturen gelangende Traum-Theorie des Kinos, zwischen deren (der Theorie) Bewusstem und Unbewusstem der ganze Roman absichtsvoll, aber doch ohne letzte auktoriale Kontrolle oszilliert.

Was aber toll ist an Sie schläft und schon auch immer toller wird an Daths Büchern: eine große, furchtlose Freiheit, literarisch zu tun und zu lassen, was ihm gefällt. Auch haben die Mischungen des extrem Heterogenen (Sex; Filmtheorie; Satire; Fantasy; Kindsköpfiges; Ambitioniertes; Schlüsselroman; Diskurs; Autobiografie) inzwischen oft eine große Lässigkeit . Mal ist's läppisch und lau, aber es wird einem verlässlich auch mal heiß und mal kalt. Dath kennt fast nichts mehr. Er wagt sich weit ins Ungeschützte und scheut weder Peinlichkeit noch Kitsch. Vielmehr: Er treibt, was er treibt, so weit, dass diese Kategorien – nervt's?, ist's peinlich, ist's kitschig? – im Grund ungültig werden: Es ist einfach nur Dath! So schneidet er seine Texte unerschrocken los von den Positionen, die er als zunehmend öffentliche Person weiter entschieden vertritt. Darum tritt er in den Büchern selbst auf, aber nicht gerade als Held. Sie schläft hat als (Schlüssel-)Roman aus dem filmkritischen Betrieb gewiss seine Reize. Aber richtig interessant ist das Buch als weiterer Schritt eines Autors sui generis in unerforschtes literarisches Gebiet.

Dietmar Dath: Sie schläft (Edition Phantasia 2009)