video/installation

10. Dezember 2009

Anschauliches Detail Omer Fasts Filminstallation Nostalgia

Von Bert Rebhandl

© Omer Fast, Nostalgia, 2009. Photo by Thierry Bal. Courtesy gb Agency, Paris; Postmasters, New York; and Arratia, Beer, Berlin

 

Wenn ein Mensch heute ohne gültige Papiere nach Europa kommt, gelten die alten Gesetze der Gastfreundschaft nicht mehr. Aufnahme und Asyl findet nur, wer eine glaubwürdige Geschichte präsentieren kann, wer sich vor den prüfenden Fragen der Zuwanderungsbehörden nicht in Widersprüche verstrickt, wer konkret und anschaulich von den Zuständen in dem Land erzählen kann, das er oder sie verlassen hat. Asylwerber stehen in Europa zuerst einmal unter Fiktionsverdacht. Von dieser Tatsache hat sich Omer Fast bei der Gestaltung seiner neuen Filminstallation Nostalgia  leiten lassen. In drei Schritten und mit vier «channels» entwickelt er eine Konstellation, die von einem konkreten Detail ausgeht und dieses zunehmend fiktionalisiert – das authentische Material, das diesen Bearbeitungsstufen zugrundeliegt, wird allerdings nicht als archimedischer Punkt genützt, sondern zwischen den drei Räumen der Installation zerstreut. Es verändert immer wieder seinen Status, und durchläuft seinerseits eine Bewegung der Adaptierung (in vielerlei Hinsicht wäre das ein passender Titel für diese Arbeit gewesen: Adaption ).

Wie schon in früheren Arbeiten des aus Israel gebürtigen, in Berlin lebenden Künstlers ist der Ausgangspunkt ein Interview. Ein Flüchtling aus Westafrika erzählt von seiner Heimat, das konkrete Detail, auf das er dabei verfällt, ist die Beschreibung einer Tierfalle aus extrem biegsamen Ästen, die auf eine bestimmte Weise gebogen und ineinander verschränkt werden müssen, damit sie das Tier gefangensetzen können, das in diese Fall tappt. In der ersten Filmaufnahme von Nostalgia ist ein Wildhüter in England zu sehen, der versucht, eine derartige Falle zu bauen. Er befindet sich in einem sehr grünen Wald, aus dem Off sind die Stimmen von Omer Fast und dem westafrikanischen Flüchtling zu hören, der seinem Interviewer eben davon erzählt, was im Bild gerade schon angewandt wird.

Der mittlere Teil der Installation ist eine Zweikanalprojektion, in der ein «reenactment» des Interviews zu sehen ist – zwei Schauspieler spielen anscheinend die bürokratische Situation eines Gesprächs vor einer Migrationsbehörde, dieses Gespräch nimmt allerdings eine unerwartete Wendung, denn der europäische Mann verleiht zwischendurch einem Interesse Ausdruck, das mit der Asylsituation nichts zu tun hat: er sucht eben nach einem anschaulichen, konkreten Detail, nach einem Motiv in der Erzählung, das sich in eine fiktionale Erzählung übertragen lässt, etwas, das spezifisch genug ist, um einer noch wenig ausgearbeiteten Geschichte ein wenig mehr Welt zu verschaffen.

Die Sache mit der Tierfalle, die in der Erzählung des Afrikaners mit Kindheitserinnerungen und Vaterbeziehung verbunden ist, taucht nach einigen verwirrenden Berichten über einen Bürgerkrieg in der Region auf, aus der der Mann kommt. Die Falle wird fast so etwas wie ein Angelpunkt, ein Motiv, an dem er sich festhalten kann, und auch der Interviewer (der immer deutlicher nicht aus der Position einer Behörde spricht, sondern aus der Position von Omer Fast selbst, der als Künstler ein spezifisches Interesse an Realien hat) ist mit diesem Detail sehr zufrieden.

Im dritten Teil, im dritten Raum, auf der dritten narrativen Ebene von Nostalgia  läuft der längste Film dieser Arbeit, ein halbstündiger Spielfilm, in dem sich bald eine verkehrte Welt erkennen lässt. Ein afrikanisches Land ist in diesem Fall die letzte Bastion der Sicherheit in der Welt, immer wieder versuchen weiße Menschen, durch Tunnels in das Land einzudringen. Ein Mann, der dabei gefangen wird, wird einer schwarzen Beamtin vorgeführt und von ihr befragt: Auch in seiner Erzählung, in der England wie ein nicht mehr bewohnbares, aufgegebenes Land erscheint, taucht das Motiv mit der Astfalle wieder auf, nun aber eben auf der anderen geographischen und kulturellen Seite der politischen Konstellation, die Nostalgia  bearbeitet.

Das «Mythem» hat die Seite gewechselt, es ist zugleich auch wieder dort angekommen, wo die dreiteilige Installation beginnt, in einem englischen Wald, mit einem englischen Vater, ein Erinnerungsmotiv an eine verlorene Welt, die in der Wirklichkeit immer noch der hegemonialen Seite angehört. Mit dem Titel Nostalgia  spielt Omer Fast vielleicht auf den vorletzten Film von Tarkowski an, dessen Bildwelten (Der Spiegel, Stalker)   hier durchweg im Hintergrund mitzudenken sind. Doch im Grunde braucht es keine filmhistorische Referenz für diese Arbeit, denn sie ist so konzipiert, dass sich alles in einen Zirkel auflöst, in dem das nüchterne Interesse an Vergleichbarkeit, mit dem der Strukturalismus auf Mythen geblickt hat, durch ein politisches Interesse an Übertragbarkeit von Details ersetzt wird, die Identität zurechenbar machen sollen, hier aber eben so zu wandern beginnen wie die Menschen: Dass das Motiv (die Falle) in Nostalgia  nie «zuschnappt», sondern durch die Anlage der Installation in eine beständige Spannung versetzt wird, ist die eigentliche Qualität dieser Arbeit, die auf überzeugende Weise die dokumentarischen und fiktionalen Potenzen von Film verräumlicht.

 

Hamburger Bahnhof Berlin bis 3. Januar 2010

Whitney Museum of American Art New York bis 14. Februar 2010