theater

16. Oktober 2019

Schlachteplatte für sich No President des Nature Theater of Oklahoma

Von Ekkehard Knörer

© Heinrich Brinkmöller / Theater Hebbel am Ufer

 

Wenn der Vorhang hochgeht und der eigentliche Auftritt beginnt, bleiben noch geschätzte fünf Minuten im Stück. Aber was heißt hier Vorhang, was heißt hier eigentlich, was Auftritt - und was genau: Stück. Das Stück, das eigentliche, das dem Heben des Vorhangs (der Vorhänge, um genauer zu sein) vorangeht, hat zwei Akte und sie spielen sich auf dem Proszenium ab. Nun ist das HAU 2 ja keine Guckkastenbühne, sondern ein nüchterner, allen möglichen Kulissen-, Szenen- und Spielformen sich öffnender theatraler Allzweckraum. Für «No President» aber hat das Nature Theater of Oklahoma eine klassische Bühne darauf gebaut: Vorhang, rot, (Vorhänge, wie gesagt, aber das ist ein metadramatischer Spoiler), das Proszenium und zu den Seiten, quasi im Logenbereich, sind zum einen Türen auf beiden Seiten des schrammeligen Portalaufbaus, zum anderen Durchlässe für die Tänzer*innen, Darsteller*innen, Performer*innen - oder wie zum Teufel man das, was hier tanzt, hopst, rennt, pantomimt, mehr reenacted als acted und jedenfalls die gut zwei Stunden hindurch kein einziges Wort spricht, auch immer nennt.

Apropos Teufel: Auch der ist im Spiel. Neben den anderen, dem Corps de Ballet, das aus solchen besteht, die das Tanzen beherrschen, und solchen, die es sich für den Hausgebrauch dieses Stücks draufgeschafft haben. Und den zwei, drei, vier Protagonisten, Mikey, Georgie, Supervisor und Boss. Auch die hopsen und tanzen, Georgie kann's, Mikey nicht. Mikey, nicht ganz schlank, nicht sehr groß, Schnurrer und Stirnband, ist im übrigen der so gut wie nie von der Bühne weichende Ober- und Hauptprotagonist: Erst Sicherheitsmann mit Stanislawski-Fetisch, dann Präsident von Trumpschem Format. Sieht man vom Teufel mal ab, der Figur, die sich freilich zur gelegentlich als Teufel rekonfiguriert, bei anderer Gelegenheit als Kunde des Sicherheitsunternehmens, das hier auf sehr vage tennisakademiehaft-davidfosterwallaceartige Weise (jedenfalls war das bei mir eine Assoziation, im übrigen ist der Text auch vom Wallace-Übersetzer Ulrich Blumenbach übersetzt) den Strukturhintergrund aller Verwicklungen abgibt. Eigentlich aber ist der Teufel der Erzähler und Conférencier, den Robert M. Johanson unfassbar souverän und ohne einen einzigen Hänger, ja, fast sogar ohne Versprecher mal auf Proszenium/Bühne, mal am Rand, nicht selten auch aus der ersten Reihe des Publikums heraus gibt.

Er hat unendlich viel Text, das alles zur end- und wie bewusstlos vor sich hinspielenden Ballettmusik. «No President» ist ein Stück von der geschriebensten Sorte. Keine Telefonaufzeichnungen wie in «No Dice" oder der großen neunteiligen «Life and Times»-Saga, Aufzeichnungen, die dann behandelt wurden, als wären sie etwas ganz anderes als der von Ähs durchzogene amerikanische Mittelschichtslebenstext. Nein, hier gehen Kelly Copper und Pavol Liška voll auf die zwölf, der Text ist bis weit ins Manierierte hinein dicht, literarisch, voller Anspielungen und Wortspiele, mit Dollar-Words überfrachtet, teils jenseits der Grenzen der Selbstparodie, ein Schauplatz und eine Schlachteplatte für sich. Text, der alles, was man auf der Bühne sieht, zum einen verdoppelt (oder es verdoppelt das Bühnengeschehen den Text, das kann man so oder so nehmen), zum anderen auch deutet, kommentiert, erklärt und übererklärt. Eigentlich ist das Grundgerüst der Handlung, wie ja auch bei Infinite Jest, banal bis plemplem. Eine Konkurrenz der Sicherheitsfirmen, in Kämpfen, oft in Form von Ballettkonfrontationen ausgetragen, dazu Begehren, das mal queer und mal straight geht und sich so oder so ins Absurde verirrt, Mikey und Georgie, best friends forever, beide verknallt in dieselbe Frau, die als Supervisor das Training anführt.

Hineingerührt in dieses Hintergrund banaler Americana sind neben virtuosem Erzählerteufel und hardcoreliterarischem Text auch B- und Porn-Elemente. B-Movie-Kram, viel Sex, so wird Mikey nicht nur einmal in Gangbangs von seinen leider sehr körperlich anwesenden Dämonen - mal wieder: corps de ballet - gefickt. (Alle tragen vage fleischbarbene Trikotagen, bei den «Männern» sind bunte Stoff-Schwänze mit Hoden-Bommeln aufgenäht.) Gelegentlich wird der eine oder andere auch kannibalisch verspeist, das hatten wir ja schon in der demnächst anlaufenden filmischen Jelinek-Deformation «Kinder der Toten». Außerdem: Cheetos. 

Das alles geht und steht und hopst quer. Quer das eine zum andern, quer zu sich selbst. Es wird viel grimassiert, aber zugleich auch keine Miene verzogen, keiner wundert sich hier über die allerwunderlichsten Dinge. Okay, Double Take, das ist Mikeys Spezialität, hier so aus dem Bereich des Stummfilms, der hier Referenz ist, die durch die unablässigen Nicht-Zwischen-Sondern-Immer-Noch-Obendrauf-Titel völlig zugetextet wird. Gerade in Akt Nummer zwei werden die Trump-Interferenzen spürbar als unguter Vibe, aber auch hier geht vieles sehr quer, nix Lesbarkeit auf anderes hin, nix Politstück, nix engagierte Literatur. Albernheit siegt in allem Dahinter, weil der Ernst, den das Ganze sehr wohl besitzt, im Strukturvordergrund liegt, also genau in der Quere, in die sich das alles hier kommt. Was soll das Theater? Es soll hier justament nichts. Es ist das, was geschieht: Budenzauber, Burleske, Ballett und überquellender Text. Narration am Limit, Tanz bis zum Anschlag, unendlicher Spaß. Am Ende sind wir erledigt: Der Vorhang (im Plural) geht auf, es folgt, zu guter Letzt: Transfiguration im Pas de deux zu Adele.

 

© Heinrich Brinkmöller / Theater Hebbel am Ufer