theater

9. Dezember 2010

Pollesch-Power: XY Beat

Von Ekkehard Knörer

René Pollesch macht einfach immer weiter. Diese nie ermüdende Maschine, Berlin, Stuttgart, München, die Bühnen der Welt, Harald Schmidt, einer geht noch. Die Welt, mit Pollesch-Texten vollgestellt. Es wäre nichts dagegen zu sagen, wären die Text nicht selbst müde. Der Power müde, mit der sie zu sprechen sind, Pollesch-Power, eine Textwurstfabrik. Ich habe weiß Gott nichts gegen Serien, gegen das In-Serie-Gehen, gegen die Liebe zur Minimalvariation. Niemand muss sich neu erfinden, Gott behüte, meist dumme Originalitätsideologie. Aber Pollesch macht einfach immer weiter. Es ist eine Art Fabrik, die eine Weile schon, mit ständig verschiedenem Material, keine anderen Gedanken mehr produziert als die, die sie schon hat. Was absurd ist, denn das ist doch ein Lieblingsvorwurf René Polleschs ans Theater: dass es immer weitermacht mit Dingen, die nicht mehr gehn. Irgendwie geht Polleschtheater jetzt aber auch nicht mehr. Nicht so richtig. Es macht mit seinen Sachen affinen Texten das Erwartete. Vielleicht hat Pollesch, das wär aber schlimm, das übliche abendländische Künstlerproblem: Er sitzt fest in der eigenen Haut, sitzt fest mit großem Erfolg, macht einfach weiter mit dem, was er ist. Das Problem muss er kennen, es ist sozusagen ein astreines Pollesch-Problem. Ich staune nur, bei eigentlich jeder Gelegenheit wieder, zu der ich ein neues Pollesch-Projekt sehe, dass ihn dieses Problem nicht dazu treibt, nein, nicht nach neuen Formen zu suchen. Aber doch, irgendwie, spürbar, gegen die eigene Form zu rebellieren. Pollesch rebelliert aber gegen die Polleschform mit immer neuem selbem Polleschtheater. Die Pollesch-Power ist müde.

Es braucht Widerstände. Aufhaltendes, Einschreitendes, Kaputtmachendes, wenigstens: Veränderndes. So war es sehr schön zu sehen, wie gestern abend in XY Beat das müde Pollesch-Theater auf den Widerstand traf, den es, anders kann es nicht sein, ja auch gesucht haben muss. Die Kräfte des Widerstands sind Benny Claessens und Fabian Hinrichs. Letzterer in schlanker Gestalt, gestisch ganz präzis, zwanghaft präzis und präzis zwanghaft, choreografiert in seinen Pro- und Epi-Monologen. Ihm fehlt die Power. Er ist anders verrückt. Das erschöpft sich anders, gipfelt sich anders auf, das setzt den Körper ganz anders ein, das nimmt Pollesch und hält dagegen. Pollesch-Texte werde im Munde gewalkt. Aus Otto Reutters «Überzieher» wird vom Kabarett weit wegmoduliert, in interessante Formen von Wahnsinn hinein. Und es ist das schroffe Gegeneinander der Sehnsucht nach einem dies- und jenseits der Meinung und des Pluralismus liegenden Unbestimmten und dadurch Wahren zwar durch und durch Pollesch. Das ist Pollesch, wie gesagt, aber anders gesagt. Es macht Hinrichs einen Hinrichs daraus oder etwas dergleichen. Der andere Widerstand, ein anderer, ganz und gar nicht schlanker Körper, ein anderer Einsatz: Benny Claessens, der ist seine eigene Wand. Da prallt Pollesch-Text mit Karacho dagegen, sackt weg. Das erschöpft Benny Claessens, dem es nicht ums Äußern, sondern ums Äußerste geht. Eine Schauspieler-Kampfsporttechnik, die die Pollesch-Power nimmt und schluckt und verwandelt. Claessens rast nicht, bei allem Exzess, er nimmt dem Text etwas und gibt ihm was anderes. Eine erstaunliche Waffe.

Zwischen Hinrichs und Claessens stehen, als typisch grandiose Polleschtextschleudern, Silja Bächli und Katja Bürkle. Sie können nichts dafür und doch sind sie in diesem Abend der Ermüdungsbruch. Inkorpiert werden, so-la-la motiviert, Ohnsorg-Theater mit Klatsch und Tratsch im Treppenhaus (Klatsch und Tratsch sind das Diesseits der Meinung, nach dem sich Pollesch hier sehnt. Im Jenseits, vermute ich, wartet Alain Badiou bereits in den Kulissen). Inkorporiert wird, als Hinrichs-Schluss-Epilog, die Geschichte von No Angel Nadia Benaissa und ich weiß wirklich nicht recht, wofür das hier nun steht. Wie überhaupt an den mittelgelungenen Polleschtexten, wie XY Beat  einer ist, die letzten Endes doch Feigheit auffällt, mit der sich Pollesch, wenn er, von wegen hartes Denken, nicht weiter weiß, einfach zum nächsten Programmpunkt per Assoziation rettet. Das geht aber nicht, wenn man die Ansprüche Polleschs hat ans Theater. Da darf man sich nicht einfach so retten. Da muss man auch mal da hingehen, wo es wehtut, da muss man die eigenen Überzeugungen auch mal wegschicken können und sehen, was an ihre Stelle tritt. Vielleicht nichts. Dieses Stehn vor dem Nichts: das hat mir bei Pollesch schon immer gefehlt. Diese Texte sind sich ihrer Sache doch sicher. Immerhin, hier jetzt: Widerstand ist ein Anfang. Widerstand der Sprechkörper von Hinrichs und Claessens. Nicht einfach weiter im (Schrei Richtung Souffleur:) TEXT.

XY Beat. Kammerspiele München. Nächste Termine: 16./ 17./ 27. Dezember 2010