theater

11. März 2012

Julie Mitchell Eine Notiz zu Fräulein Julie (Schaubühne Berlin 2010)

Von Bert Rebhandl

In der Küche eines herrschaftlichen Hauses hat die Herrschaft gemeinhin nichts verloren. Wenn sie sich doch einmal dorthin begibt, wie es in August Strindbergs Tragödie Fräulein Julie die Titelfigur tut, dann geraten die sozialen Räume durcheinander, und am Ende weiß niemand mehr so richtig, wo er oder sie hingehört. Das war zweifellos eine treffende Beobachtung an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, doch hundert Jahre später stellt sich die Frage nach den zugewiesenen und zugemuteten Räumen neu und ein wenig komplizierter. Auf diesen Punkt könnte man die Inszenierung von Fräulein Julie bringen, die Katie Mitchell und Leo Warner für die Schaubühne erarbeitet haben.

Sie haben den Bühnenraum ins Mediale erweitert, über einem herkömmlichen Bühnenbild mit einer Küche, einem Gang und ein paar Türen befindet sich eine Leinwand, auf die das übertragen wird, was sich auf der Bühne gerade ereignet. Das durchlaufende «Filmbild» ist also die eigentliche Inszenierung, auf die diese Version von Fräulein Julie hinausläuft – es ist eine Version, in der die Figur der Bediensteten Kristin (Jule Böwe) stärker ins Zentrum (und in die Großaufnahme) rückt.

Die Tragödie begibt sich auch hier «live», sie wird aber zugleich mitgefilmt, und so geht es gegen die Gebote der körperlichen Bühnenpräsenz um einen Blick, dem sich das erschließt, was auf der Bühne (und eigentlich schon im Text der Vorlage) zumeist im Off bleibt. Kristin ist bei Strindberg die Figur, die angesichts des erotisch aufgeladenen Klassendramas zwischen dem Fräulein Julie und dem Oberdiener Jean an einer Stelle einfach einschläft. Aus diesem Schlaf heraus, so könnte man sagen, entwickeln Mitchell und Warner eine klassische, melodramatische Figur, die das Filmbild zum Ausdruck jener Leidenschaften macht, die im herkömmlichen Bühnenregister einen Weg nach außen suchen müssen, während sie vor den Kameras dieser Inszenierung in der Figur der Kristin verschlossen werden können.

Regietheater bekommt hier eine zusätzliche Dimension, denn Mitchell und Warner führen im Grunde dreifach Regie: Sie setzen den überlieferten Text in einer Interpretation in Szene, sie machen aus dieser Aufführung gleichzeitig einen Film, und sie haben das leise Gewusel choreographiert, das dies alles in Echtzeit geschehen lässt, mit Geräuschmacherinnen und einer virtuosen Abfolge von Kameraeinstellungen, die ad hoc (aber natürlich nach Plan) zu einem erstaunlichen, sehr sehenswerten Theaterabend montiert werden.