medienbeobachtung

15. November 2010

Schlichterrunde

Von Christian Petzold

Am Freitag sah ich die Live-Übertragung der vierten Schlichterrunde zu Stuttgart 21, die auf Phönix übertragen wurde.

Die Gegner stellten ihr Konzept vor, das K21 genannt wird, K wie Kopfbahnhof, der erhalten bleiben soll. Eine Art Modulentwicklung. In Teilen, Abschnitten, Modulen eben, gedacht und entwickelt. Sehr klar.

Die S21 Lobby geriet ins Schwimmen. Am Ende beriefen sie sich auf irgendwelche Urteile, die sowieso jede Alternative unmöglich machen würden. Damit stellten sie die gesamte Schlichterrunde in Frage, was den Schlichter Geißler schmunzeln ließ. Als dann die Gegenseite auf dieses Urteil zu sprechen kam, das auf Grundlage von Gutachten entstand, die alles andere als unabhängig waren, war die Sendezeit vorbei und Geißler verwies auf die fünfte Runde, die wiederum übertragen wird.

Diese Übertragungen sind das Beste an Fernsehen, was ich in letzter Zeit gesehen habe.

Es gab nämlich keine Dramaturgie. Man sah immer den, der vortrug. Man sah die Folien mit Streckenführungen und Konzepten. Ab und zu die Totale des Raums.  Und deshalb sah man Politik. Man sah deren Repräsentanten, man sah Physiognomien, Posen, Abhängigkeiten. Verfestigte Diskurse, die nicht aus ihrer Haut konnten. Man sah die Zeit, die man braucht, einen Gedanken zu formulieren.

Man sah nicht:  Hände, lässig und verkrampft, Zuhörende, belustigt oder angstvoll. All das, was im Fernsehen der letzten Jahre, im Sport, in den Dokumentationen, den Talks wie selbstverständlich besinnungslos macht, die Bildregie mit ihren Gadgets und Sounds, mit ihren Gegenschüssen und Blicken ins Publikum, um eine Aussage zu konterkarieren oder zu verstärken, all das gab es nicht. Ein wenig war es so wie bei Fußballübertragungen in den 70ern, als Ernst Huberty nur die Namen der Ballführenden erwähnte und die Trainerbank nur zu Beginn oder in der Pause der Verlängerung eine Einstellung bekam, und Stadionbesucher nur zu hören waren.

Ich weiß nicht, ob die fehlende Bildregie den K21ern geholfen hat, dass sie so überzeugend waren. Dass man die Macht sehen konnte, mit ihren Agents provocateurs (ein junger Mann mit permanenten Folieneinsatz, der immer wieder Nebenkriegsschauplätze eröffnete, um die Gegner aus dem Konzept und auf Nebenstrecken zu bringen, in denen sie verlieren würden), denen diesmal kein Moderator zu Hilfe eilte (man muss sagen, dass Geißler das sehr gut macht), mit ihren väterlichen CDUlern, die den Gegner als verwirrten Haufen darzustellen versuchen, das DB-Management, eine merkwürdige Mischung aus Apparatschiks und smarten Börsenbesoffenen, all das konnte man SEHEN, weil es keine Regie gab.

Ein Freund von mir sammelt Gerichtsfilme. Er ist Strafverteidiger. Vielleicht ist der Gerichtsfilm das Genre, in dem das Theater zum Kino transformiert wird. In dem die Antike zum Western wird. Es geht um Demokratie. Um die Begründung eines Gemeinwesens. Karel Reisz benutzt den Gerichtssaal als Ort, um in die Montagetechnik einzuführen. Handwerk und Propaganda. Achsen und Großaufnahmen. Hier ist alles zu erlernen.

Man könnte das Material von Phönix benutzen und es von Filmstudenten dramatisieren lassen.

Man kann es aber einfach nur anschauen. Und so ist etwas zu sehen, wiederzusehen, was die Propaganda zugeschüttet hat.

Es ist die Ausdruckslosigkeit, die den größten Eindruck macht.

«Ich würde mich sogar anheischig machen, die äußerste Verwirrung, die innere Erregung, die Bestürzung wiederzugeben, die die ,amerikanische Einstellung’ gerade wegen ihrer Ausdruckslosigkeit wiederzugeben weiß»,  schreibt Godard 1952 in seinem Aussatz zur Verteidigung der klassischen Einstellungsfolge.

Die fünfte Runde wird, glaube ich, in dieser Woche übertragen.