fußball

8. Juni 2010

Fußballkino 2 Joaquim Pedro de Andrades Film Garrincha, Alegria de Povo (1963)

Von Bert Rebhandl

Manoel Francisco dos Santos, genannt Garrincha («Vögelchen»), war 1958 und 1962 maßgeblich daran beteiligt, dass die Fußballnation Brasilien ihren Ruf als «Verlierer von Finalspielen» ablegen konnte. Zwei Weltmeistertitel hintereinander werden bis heute vor allem mit dem großen Pelé assoziiert, aber in Brasilien ist Garrincha noch deutlich beliebter. Er war ein Dribbler auf dem Flügel, seine Tricks waren umso spektakulärer, als sie im Grunde auf schwere orthopädischen Missbildungen beruhten.

In dem Film Garrincha, Alegria de Povo (1963) von Joaquim Pedro de Andrade wird eigens ein Traumatologe bemüht, der mit einem Röntgenbild die Stellung von Garrinchas Knie erklärt. Dass ein Regisseur des brasilianischen Cinema Novo zu einem Zeitpunkt, da sich dieses gerade erst herausbildet, einen Film über einen großen Fußballer des Landes macht, hatte unbedingt Sinn: denn ein Sportler wie Garrincha verkörperte mit seiner intuitiven Spielweise sehr gut das Ideal einer unbewussten Avantgarde, dem sich die Künstler nur noch auf vermittelte Weise annähern konnten.

Mané, wie Garrincha auch genannt wurde, stammte aus Pau Grande, einem Ort nicht sehr weit von Rio de Janeiro entfernt. Das Leben dort war geprägt von einer großen Textilfabrik, in der nicht nur die treuen Jugendfreunde «Pinsel», «Swing» und Altair arbeiteten, sondern auch Nair, die erste Frau von Garrincha, mit der er zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon sieben Töchter hatte (sie tanzen fröhlich zu einer Schallplatte, die der Papa auflegt, eine Jazzversion von Hit the Road, Jack). Nair huscht nur einmal kurz durch das Bild.

Diese Reportageaufnahmen sind jedoch eher die Ausnahme in Garrincha, Alegria de Povo. Überwiegend interessiert Joaquim Pedro de Andrade sich für das Spiel, von dem damals zum großen Teil nur Bilder zur Verfügung standen, die der Regisseur selbst schon als «abgenutzt» bezeichnet. Die Weise, in der Garrincha sich als Spieler allmählich aus einer Sequenz von Fotografien und Spielszenen herauskonturiert, stand viel später deutlich Pate bei dem Zidane-Film von Douglas Gordon und Philippe Parreno. Schon Joaquim Pedro nahm den Ton deutlich zurück und hob den Individualisten aus dem Spektakel heraus, er ließ ihn die geläufige Fußballübertragung transzendieren.

Der weitere Verlauf des Films ist dann orthodoxer, mit Aufnahmen von der WM 1962 in Chile an zentraler Stelle, denn damals musste Garrincha für den verletzten Pelé einspringen und enttäuschte seine Fans nicht. Er blieb noch eine Weile die «Freude des Volkes», seine schwierigen späteren Jahre waren für Joaquim Pedro noch kein Thema, wohl aber schon die Ambivalenz des Fußballs als Massenspektakel, das jederzeit in Aggression umkippen kann.

In den «reaction shots» der letzten zehn Minuten von Garrincha, Alegria de Povo ist nicht mehr der Fußballstar zu sehen, sondern das Volk, das von der Bewegung seiner krummen Beine abhängig ist, während es auf das Spielfeld starrt, begeistert, gebannt, ohnmächtig und ekstatisch. Im Bild der Pendlerzüge, mit denen die Massen zum Stadion kommen, zeigt sich das Bild einer modern werdenden Nation, deren Menschen gelernt haben, zwischen Beruf und Freizeit, Arbeitswoche und Wochenende zu unterscheiden. Nur der trainingsfaule, hochbegabte Mané hat in dieses Regime nie so richtig gepasst. Er starb 1983, vom Systemfußball hat er nicht mehr viel mitbekommen.

Garrincha, Alegria de Povo läuft heute, 8. Juni 2010, um 20.00 Uhr im Arsenal im Rahmen der Retrospektive zu Joaquim Pedro de Andrade