filmkritik

23. Januar 2009

Mein Mann in Cannes Mike D'Angelo fährt vom Geld seiner Leserinnen und Leser nach Cannes. Überlegungen zur Individu-Rate

Von Ekkehard Knörer

Ok. Gerade eben habe ich zehn Dollar dafür gezahlt, dass Mike D'Angelo nach Cannes fahren kann. Ich war nicht der erste, sondern fast der letzte, denn von den 2000 Dollar, die er dafür braucht, sind nun, mit meiner Einzahlung, bereits 1970 bereitgestellt. Zum Hintergrund: Mike D'Angelo ist ein Filmkritiker, dessen Texte ich seit schätzungsweise sieben, acht Jahren mit großem Vergnügen, wenn auch recht oft im Geist widersprechend, lese. Als The Man Who Viewed Too Much schreibt er seit Ewigkeiten im Netz, er hatte dann aber auch Gigs bei Time Out und beim amerikanischen Esquire. Inzwischen hat er, unter dem schönen Titel Listen, Eggroll, auch ein eigenes Blog.

Wie für so viele US-Filmkritiker hat sich die Ertrags- und Beschäftigungslage in diesem Jahr auch für ihn dramatisch verschlechtert. Die Reise zum Festival in Cannes hätte er sich darum schlicht nicht leisten können. Also kam er auf die Idee, nicht eine Publikation, sondern seine Leserinnen und Leser zu Auftraggebern zu machen. Technisch geht das ganz einfach. Man richtet ein Konto ein bei der Website Fundable, die es allen Paypal-Nutzern sehr leicht macht, ihr Geld zu transferieren. (Hier die Seite für D'Angelos Cannes-Fahrt.) Es ist ein Subskriptionssystem: Erst wenn die festgelegte Summe erreicht ist, wird das gespendete Geld tatsächlich abgerufen.

Das ist natürlich eine Revolution. Nicht weil es sich prinzipiell um etwas Neuartiges handelt. Schließlich ist das Abonnement einer Zeitung oder Zeitschrift – wie sagen wir, hint, hint, cargo – auch nichts anderes als ein Vertrauensvorschuss an die Redaktion. Man zahlt im vorhinein für die Überzeugung oder jedenfalls Hoffnung, dass die Macher schon keinen Scheiß bauen werden. Solange dieses Vertrauen erhalten bleibt, bleibt das Abo erhalten. Das ist so etwas Ähnliches wie indirekte Demokratie: Man wählt als Vertreter eigener Interessen Leute, die sich dann um die Einzelheiten kümmern, wie: Texte in Auftrag geben, ein großartiges Layout gestalten, bestimmte Themen wichtig finden, andere nicht, die richtigen Autorinnen gut finden und nicht die falschen etc.

Im Vergleich dazu ist das System D'Angelo das einer bürgerjournalistischen Direktdemokratie. Das Gegenteil auch der aktuell in Kreisen der Musik- (und überhaupt Content-)Industrie zirkulierenden Flatrate-Ideen. Während diese – und letztlich ist ja ein öffentlich-rechtliches Zwangsflatrate-System wie für das deutsche Fernsehen nur eine interessante Variante des ganzen – pauschal Geld einziehen, um dann als Zentral-Auftraggeber und -Syndikat für Inhalte zu wirken, ist das System D'Angelo das einer Individu-Rate. Ich vertraue darauf, dass das Filmkritiker-Individuum Mike D'Angelo das liefert, was ich haben will.  Und mein Vertrauen ist gut begründet, weil ich seit Jahren verfolge, was D'Angelo tut. 

Das Verfahren war für ihn nicht ohne Risiko. Wie stünde er da, wären nur, sagen wir, 70 Dollar zusammengekommen? Er hat schließlich auf nichts anderes als wirklich sich selbst gesetzt. Schon ein klarer Fall von – um Diedrich Diederichsen zu zitieren – «Eigenblutdoping». Man bekommt auf Heller und Pfennig mitgeteilt, was man gilt auf dem Wertschätzungsmarkt. Umso erfreulicher, dass es so gut und so schnell – es hat keine Woche gedauert, bis das Geld jetzt zusammen war – geklappt hat. Mike D'Angelo ist jetzt: Mein Mann in Cannes.