filmkritik

12. Dezember 2009

Blick in den Abgrund Verbandstagung

Von Ekkehard Knörer

Ich hatte versprochen, von der gestrigen Tagung des Verbands der deutschen Filmkritik zum Thema «Flüchten oder Standhalten» zu berichten. Ich war da, viele andere waren es nicht. Die Fox hatte, an der Tagung des Verbands offenkundig komplett desinteressiert, die der Allgemeinheit der Berliner Filmjournalisten zugängliche Avatar-Pressevorführung auf Freitag halbelf gelegt (am Montag war schon eine für die Prominenz bzw. die Interviewjournalisten) und damit das Vormittagsprogramm ganz überschattet. Dass dann, nachmittags, post Avatar, der Andrang spürbar größer gewesen wäre, wird man nicht sagen können.

Es begann mit einem Blick von weit oben und von den konkreten Problemen des Filmjournalismus auch recht weit weg. Von Leif Kramp bekam man eine Tour d'Horizon über die Lage der Dinge zwischen der Malaise von Print und den geringen Anlässen zu ökonomischer Hoffnung, die die Online-Zukunft so bietet. Powerpoint, 15 Thesen, schon okay, aber für niemanden, der sich ein bisschen für die Zusammenhänge interessiert, etwas Neues. Es folgte ein Podiumsgespräch, bei dem sich Freitag-Verleger Jakob Augstein nicht zum ersten Mal durch seinen Chefredakteur-Avatar Philipp Grassmann vertreten ließ, der freilich erzählte, was Augstein bestimmt auch erzählt hätte.

Die für mich interessanteste, weil mir bislang unbekannteste Tatsache im Zusammenhang war: um ein Exemplar einer Zeitung am Kiosk zu verkaufen, druckt man im Schnitt (also für alle Zeitungen!) sechs bis acht. Der erkleckliche Rest endet als ungelesene Makulatur. Weiter teilte Grassmann mit, dass der Freitag trotz vergleichsweise eifriger Community nicht im Traum daran denken kann, sich über die minimalen Werbeeinnahmen im Netz zu finanzieren. Eine realistische Refinanzierungsaussicht sieht er doch: In den nächsten fünf Jahren müsse die Zahl der Abonnements von derzeit 10.000 auf dann rund 30.000 steigen. Ich habe gewisse Zweifel an der Plausibilität dieser Aussicht, aber vielleicht verstehe ich einfach nichts von diesem Geschäft.

Rüdiger Suchsland erklärte, anspruchsvolle Filmkritik sei nun einmal ein Minderheitenprogramm. Mehrfach wurde die Klage laut, es erschiene, weil das Kino so populär sei, den übergeordneten RedakteurInnen wirkliche Expertise auf diesem Gebiet am ehesten noch verzichtbar. Es würde darum nicht etwa bei den, wie jede Leserbeobachtung erweise, von viel engeren Kreisen nur rezipierten Kritiken zu Theater und Oper gespart und gestrichen, sondern beim Film, weil da immer auch fachfremde Redakteure bereit stehen, etwas zu einer Sache zu sagen, die die ihre bei näherem Hinsehen dann eben nicht ist. Gerhard Midding machte die Berliner Zeitung namhaft für diese Tendenz. Beklagt wurde auch der Raubbau am Platz, den die Umstellung der Frankfurter Rundschau aufs Tabloid-Format für die Texte bedeutet.

Am Nachmittag gab es Berichte zum ökonomischen und institutionellen Stand der Dinge für die deutsche Filmkritik. Zusammenfassend lässt sich sagen: Es klang alles schauderhaft deprimierend. Eine Umfrage unter Verbandsmitgliedern brachte zutage, dass die Lage für Freie – nur ein fest angestellter Redakteur schickte den Fragebogen zurück – seit einem Jahrzehnt nicht besser wurde, sondern, und ganz rasant seit dem Herbst 2008, immer schlechter. Wenige leben vom Schreiben über Film. Einer arbeitet bei der Post, der kam mehrmals vor. Viele andere schlagen sich durch, so oder so, und blicken mit gehörigem Pessimismus in die Zukunft. Einzig, wer sich beizeiten ein Haus gebaut hat auf dem Gebiet der Öffentlich-Rechtlichen, hat, so schien es, keinen Grund zu vergleichbarer Klage.

Florian Vollmers, langjähriger Freier für Filmthemen beim Bremer Monopolblatt Weser-Kurier, gab Einblick in die Vorgänge in Regionalzeitungs-Kulturredaktionen. Auf breiter Front werden Stellen gestrichen, Freien die Türen zugeschlagen, redaktionell erstellte Texte durch in den Pauschalen inbegriffenes Agenturmaterial ersetzt. Das sei, meinte in der anschließenden Podiumsdiskussion Andreas Kilb von der FAZ, ja professionell, aber steril. Gerade das Unerwartete in Herangehen, Textform, Ideen mache doch aber Kritiken aus. Da finde man im Netz inzwischen mehr als im Print. Nun da er als Nicht-Mehr-Film-Redakteur seiner Zeitung (Kilb ist inzwischen Kulturkorrespondent aus Berlin) nicht mehr souverän die von ihm zu besprechenden Filme aussuchen könne, denke er ernsthaft daran, dies dann eben in einem Blog zu versuchen. Er sei hiermit ermutigt.

Sascha Westphal, der im Ruhrgebiet arbeitet und lebt, machte auf die schlichte Tatsache aufmerksam, dass nur ein Bruchteil der in den überregionalen Feuilletons besprochenen Filme in Dortmund oder Bochum je anläuft. Die Lage der Programmkinokultur in der Breite sei längst katastrophal. Dietmar Kammerer hatte, was die Freiheit zur Themenwahl und Komplexität seiner Texte betrifft, bei seinen hauptsächlichen Auftraggebern Standard und taz nicht den mindesten Grund zur Klage. Leben freilich könne man von den Honoraren wiederum nicht - darum bewege er sich stets schon zwischen Filmjournalismus und Universität. Die Diskussion führte nirgendwo hin. Zum optimistischen Ausblick reichte die Kraft aller Beteiligten nicht.