ausstellung

31. August 2010

Hundertwasser für Hipster Viel gefeiert wird die Abschlussausstellung FischGrätenMelkStand in der Temporären Kunsthalle Berlin. Eine Hasserklärung

Von Ekkehard Knörer

Ich habe beileibe nicht jede Ausstellung in der nur noch extrem temporär – nämlich bis Ende des Monats – existierenden Kunsthalle am Schlossplatz gesehen. Am besten von denen, die ich besuchte, gefiel mir, was Allora und Calzadilla aus dem großen kahlen Ausstellungsraum machten: Sie hängten auf der Hälfte der Höhe die Decke mit Holzbrettern ab und ließen darauf, dem Blick, nicht dem Ohr des Besuchers entzogen, eine Tänzerin tanzen. Eine rhythmische Geräuschkomposition, der man als Lautstärkeregler in eigener Person folgen konnte oder auch nicht. Unten stand man und durfte sich die Bewegungen imaginieren, die drüber unsichtbar von Boden/Decken-Kontakt zu Decken/Boden-Kontakt stattfanden. Als ich damals dort war, war der Raum vollkommen leer, abgesehen von einer Aufsichtsperson. Die Tänzerin tanzte ein paar Minuten für mich, ohne das wissen zu können, allein.

Voll dagegen war der Ausstellungsraum am vergangenen Sonntag. Recht lang die Schlange vor der Installation FischGrätenMelkStand, die jeweils nur 45 Personen auf einmal zu betreten erlaubt ist. Auf den ersten Blick schon der brutale Gegenentwurf zur großzügigen Allora-und-Calzadilla-Leere: ein sich türmendes gerüstverstrebtes Ungetüm in unüberschaubaren Formen und Farben, das mit mehreren Filmloops an den Außenstehenden schon Signale sendet, und zwar sehr gemischte (unter anderem: ein Auszug aus Sergio Leones Once Upon a Time in the West und einem Konzertvideo der Band And Also the Trees; außerdem eine Handtaschenwirbelprojektion und auch was von Julian Rosefeldt). Im Erdgeschoss ist am anderen Ende der Halle ein Erdloch, ein echtes, die Erde kann man sonstwohin schicken.

Man betritt dann das Gerüst und auf dem Gerüst andere Räume. Diese sind nicht klar, sondern verschachtelt. Nicht weit, sondern eng. Nicht leer, sondern voll. Meist nicht deutlich voneinander getrennt, sondern in einander übergehend. Und alle sind sie oder präsentieren sie oder präsentieren sie, als wären sie: Kunst. Raumarbeit, spinnert und prominent besetzt. Martin Kippenberger, der keine Pizza mehr essen wird, ist als Pizzaregalwandmann jenseitsmäßig präsent. In einem anderen Eckraum gibt’s Schlingensief afrikanisch. Den Kopf darf man im Obergeschoss in Wärme und Tageslicht strecken, muss dafür eine Leiter hochklettern.  Irgendwo zwischendrin steht ein rot ausgeschlagener Wohnwagen mit Plattentellern, rein darf man nicht. (Es gibt immer wieder Absperrungen, Begrenzungen, Zulassungsbeschränkungen, die einzelne Räume mit Erwartungen aufladen. Ist man drin, sieht man dann meist: Sie werden enttäuscht.) Ein schmaler Gang führt zu einem Rucksack und dem «Heimweh» als Krankheit von Schweizer Soldaten. Ein anderer schmaler Gang führt in einen Raum jenseits der Wand und abseits der Gerüstinstallation, «Backstage». Da sieht es aus wie in der Kinderzimmer-Rumpelkammer eines von seinen schlimmeren Obsessionen freilich geheilten Jonathan Meese. Socken & Reifen, das ganze wirklich ein Kunst-Wolpertinger bzw. eine eierlegende Wollmilchsau des Ausstellungsbetriebs, ein jedermann offenstehendes Kunstspaßbüffet.
 
So what’s not to like? Mit einem Wort: alles. Eine der Rauminstallationen trägt den Titel Nestle Bau Bau und bringt das Konzept, das dahintersteht, gut auf den Punkt. Der Gesamtkunstwerkinitiatior, -aufseher und -kurator John Bock hat sich in der Kunsthalle ein Nest gebaut, und zwar mit Behagen. Dieses Behagen verströmt die Installation an allen Ecken und Endenn. Nichts in ihr fordert etwas anderes in ihr heraus. Nichts hat die geringste Lust auf Widerspruch. Nichts verbindet den einen verschrobenen Raum mit dem anderen, das eine zwischen total nett und ein bisserl verrückt schillernde Werk mit dem nächsten. Was man um sich hat, ist eine so regressive wie infantile «Meins meins meins»-Fantasie. Hier bastelt jeder für sich und John Bock suhlt sich im fertigen Nest als grunzende Wollmilchsau. Die Auswahl von Werken und Künstlern gehorcht keinem erkennbaren anderen Kriterium als dem subjektiven Wohlgefallen des kuratierenden Künstlers. Fröhliche Pathologie einer Alltmachtsfantasie voller Kuschelecken und kleinen Ekelpäckchen. Man kriecht und kraxelt und landet doch immer nur beim nächsten intellektuellen Diminutiv: sind so schöne Künstchen.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der verschrobenste Künstler im Land. Heraus kommt nichts als Hundertwasser für Hipster, kein einziger klarer, kluger, zu irgendeinem Ende gedachter Gedanke wird hier gewagt. Ein Ideechen hier, ein Ideechen da. Alles eine einzige Einverständniserklärung mit der eigenen Totalregression. Was zu sagen wäre über das Pathologische dieses kindischen Sammeltriebs, was es bedeutet, dem white cube einen dergestalt gegen die Außenwelt (nun ausgerechnet in nächster Nähe zum künftigen Schlossplatz-Möchtegernnationalmonument!) sich abschließenden Nestbau entgegenzusetzen: Dazu sagt diese Ausstellung nichts und wieder nichts. (Außer: Toll! Super! Ichmeinsich!) Sie vereinnahmt noch die interessanteren der Einzelarbeiten und bringt sie auf die durchgehend waltende Nestwärmetemperatur. Ein Glück, muss man angesichts dieses Desasters sagen, dass es mit der Kunsthalle erst einmal nicht weiter geht. Nestle Bye Bye, vielmehr: Good Riddance.