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Von Rudolf Thome

Ich habe in den letzten vierzehn Tagen neun Filme des koreanischen Regisseurs Hong Sang-soo auf DVD gesehen. Was mir da passiert ist, ist eine richtige Liebesgeschichte. Ich habe schon beim Sehen des ersten Films Turning Gate gemerkt, dass alles, was er macht, mir gefallen wird – lange Einstellungen, wenig Schnitte, viele Totalen – und bin dann von Tag zu Tag weiter hinabgetaucht in seine Filme und seine Filmwelt. Ich habe gedacht, dass Woman is the Future of Man und Like You Know it All meine Lieblingsfilme sind. Aber das ist nicht richtig. Wenn man mal richtig drin ist in seiner Welt, die natürlich nicht die richtige Welt ist, sondern seine Filmwelt, ist alles schön und begeistert mich. Die Dialoge in seinen Filmen erinnern mich an die Dialoge in den Romanen von Haruki Murakami. Sie sind seltsam naiv und kunstlos. Oft banal. So reden unschuldige Kinder. Trotzdem oder gerade deswegen geht von ihnen ein merkwürdiger Zauber aus. Kein auf seinen Ruf bedachter deutscher Drehbuchautor würde solche Texte schreiben.

Zwischendurch habe ich einmal den Videoplayer aus- und das normale Fernsehen eingeschaltet. Da lief nach Mitternacht L’eclisse von Antonioni. Weil Alain Delon fünfundsiebzig geworden ist. Den Film habe ich 1962 bei seiner ersten Aufführung in München gesehen und habe nichts verstanden. Die intelligenten Kritiken damals habe ich bewundert und gedacht, ich bin einfach noch zu blöd, um die Tiefen dieses Kunstwerks nachvollziehen zu können. Jetzt bin ich fast fünfzig Jahre älter und kann nachvollziehen, wie dieser Antonioni-Film funktioniert. Jedes Bild, das Antioni macht, hat eine Bedeutung, steht für irgendetwas dahinter. Deshalb ist jede einzelne Einstellung in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Seltsame Kadrierungen, die dem Zuschauer sofort klar machen, das ist ganz große Kunst. Selbst Monica Vitti, die Hauptdarstellerin, finde ich heute künstlich. In ihrer Filmfigur ist kein Leben. Das Beste an diesem Film sind die Szenen in der Börse. Da herrscht ein heilloses Durcheinander. Wie in einem Ameisenhaufen.

Hong Sang-soo ist das Gegenteil von Antonioni. Seine Filme muss man zwar zwei- oder dreimal sehen, um ihre ganze erzählerische Konsequenz zu verstehen. Denn er ist ein Artist des Erzählens. Aber einmal Sehen reicht auch, um sein «Kino» zu fühlen. Bei ihm gibt es keine Botschaften, keine hintergründigen Bedeutungen. Jedes einzelne Bild von Anfang an zeigt das «Leben», so wie er denkt, dass es ist. Alle seine Männer sind wie Chico bei den Marx Brothers. Wenn irgendwo eine Frau auftaucht, versucht der jeweilige Mann reflexartig mit ihr in Kontakt zu kommen. Meistens klappt dass bei Hong Sang-soo, und dann kommt sofort eine Szene, wo die beiden im Bett liegen und miteinander schlafen. Liebesszenen gibt es grundsätzlich in jedem seiner Filme. Meistens mehrere. Hong Sang-soo ist ein unglaublich sanfter Regisseur. Winzige Beobachtungen sind für ihn wichtig. Er liebt seine Schauspieler. Er liebt es, wie sie reden und sich bewegen. Was sie machen, ist fast immer Alltag. Nie Kino. Dadurch kommt man seinen Figuren ganz nahe. Auch wenn nicht viel passiert. Er zeigt das Leben, so wie es ist. Oder wie er es sieht.

Zum letzten Film, den ich von ihm gesehen habe The Power of Kanwon Province , muss ich noch etwas sagen. Er erzählt da zwei Geschichten, die am gleichen Schauplatz, nämlich in Kanwon, gleichzeitig passieren, aber er erzählt sie hintereinander. Das ist kühn. Gegen jede Erzählkonvention, aber es funktioniert. Denn durch diesen erzählerischen Trick ist man bei beiden Geschichten viel stärker dabei als wenn er sich an den chronologischen Ablauf gehalten hätte. Die Logik der Zeit ist die unlogischste von allen nur denkbaren Logiken des Erzählens.

 

Rudolf Thome hat ins deutsche Kino der letzten 45 Jahre einen sehr eigenen Ton gebracht. Sein neuer Film Das rote Zimmer startet in Deutschland am 13. Januar.