editorial

Entzifferungsarbeit

Liebe Leserin, lieber Leser,


in Pattern Recognition, einem der besten Romane von William Gibson, ist eine Frau namens Cayce Pollard unterwegs, um einen mysteriösen Film zusammenzusetzen, dessen Einzelteile im Netz aufgetaucht sind, ohne dass sofort ein übergeordnetes Muster, ein interner Zusammenhang erkennbar würde. Welche Wirklichkeit dieser Film enthält, bleibt eine offenen Frage; dass sie chiffriert ist, hingegen nicht. In gewisser Hinsicht betreiben wir auch im achten cargo-Heft Entzifferungsarbeit, schlagen aktuelle Kontexte der Lektüre und Deutungs­horizonte vor: Was chiffriert sich in einer zeitgenössischen Konspirationsserie wie Rubicon (an Post-9/11-Zeitgeist, aber auch an Formatevolution im Feld des TV-Seriellen)? Wie aktuell ist der «klassisch» gewordene Modernismus von Ingmar Bergmans Bürgertumserzählungen? Was zeigen und verbergen die von Sergei Loznitsa filmisch gespeicherten Physiognomien der russischen Provinz? Wie nimmt ein vom Kanon unterschätzter Außenseiter wie Jacques Doillon die französische Gegenwart wahr und wie begreift der im Alabama der 50er Jahre sozialisierte US-Filmkritiker ­Jonathan Rosenbaum nicht nur Cinephilie und Medienwandel, sondern auch den «Obama Backlash»? Man muss nicht an Verschwörungen glauben, um Muster zu erkennen – in diesem Sinn: Alles Gute für 2011.