produktionskultur

Kamera Reinhold Vorschneider im Gespräch

Von Ekkehard Knörer

Man hat vom ersten Bild an den Eindruck: Im Schatten ist mindestens so sehr wie ein Genre- auch ein Berlin-Film.

Das ist das ausdrückliche Thema: Jemandem durch die Stadt folgen, das Auskundschaften des Raumes für den Überfall. Wir wollen die Räume, in denen das stattfindet, wirklich nachvollziehbar machen. Kein Raum, der irgendwo im Kopf zusammengesetzt wird, sondern räumliche Zusammenhänge, die sich in den Einstellungen thematisieren. Die Stadt soll sehr konkret erfahrbar werden in ihrer Geografie, in ihren räumlichen Zusammenhängen.

Dieses Bild der Stadt entsteht nicht zuletzt in den Autofahrten. Überhaupt finde ich, dass Sie Autofahrten immer ganz großartig filmen. Unterschiedlich, aber immer toll. Liegt es daran, dass Ihnen das Spaß macht?

Sicher nicht. Das Filmen von Autofahrten ist grauenhaft. Erst einmal ist es so ein reduzierter Raum, und es gibt nur eine Handvoll Möglichkeiten, diesen beschränkten Raum zu filmen, sich zu diesem beschränkten Raum zu verhalten. Es ist von daher auch extrem standardisiert, was die Kamerapositionen betrifft. Ich habe schon das Bedürfnis, dieses Standardisierte zu durchbrechen und doch noch etwas anderes zu versuchen. Aber im Grunde ist das alles x-mal in vielen, vielen Filmen schon ausprobiert worden. Und dann ist es auch ganz praktisch eine grauenhafte Arbeitssituation. Man bewegt sich oft im öffentlichen, also im ganz realen Straßenverkehr. Ist man am Ende der Einstellung endlich angekommen, muss man oft gleich wieder zurück zum Ausgangspunkt. Das ist mühsam, so richtig pain in the ass. In Im Schatten ist das im übrigen extrem einfach gemacht. Es gibt nur zwei Positionen. Die seitliche Blickposition auf den Fahrer. Und dann gibt es eine Position hinter dem Fahrer, die seinen Blick thematisiert. Keine klassische Subjektive, weil die Kamera sich gelegentlich objektiv bewegt und die Person, die blickt, mitunter auch überschwenkt. Also so eine Zwischenhaltung. Ich hab gedacht, oje, wie geht das im Schnitt, diese langen Sequenzen immer in den gleichen Einstellungstypus zurückzuschneiden.

Vielleicht ist es gerade diese Einfachheit und Konsequenz, die das so gelungen macht?

Ja, das dachte ich dann auch, als ich es im fertigen Film gesehen habe. Es funktioniert wunderbar und irgendwie ist es toll, dass es nur diese zwei Positionen gibt und nicht irgendeine Pseudo-Variabilität.

Die Arbeit mit Benjamin Heisenberg an Der Räuber, den Sie ebenfalls im vergangenen Jahr gedreht haben, haben Sie als in mancher Hinsicht neue Erfahrung beschrieben. Es gibt bei ihm, so jedenfalls mein Eindruck, einen viel stärkeren Eklektizismus, nicht im Sinne einer Beliebigkeit, aber doch einer großen Offenheit für verschiedene Stilmittel und Ansätze. Die Herangehensweise von Angela Schanelec und Thomas Arslan scheint – oder schien mir bisher jedenfalls – deutlich puristischer.

Es gibt stärkere Codes, ja. Nicht dass das, etwa bei Angela, festgeschrieben worden wäre, aber es gab eben Gesetze. Es waren bestimmte Dinge erlaubt, andere nicht.

Kein Schuss/Gegenschuss.

Genau. Oder: Kein Schwenk. Vielleicht gab es bei Nachmittagerste Schwenks, ich bin nicht einmal sicher. Aber bis dahin war das verboten. Das war nicht dogmatisch, sondern entstand sehr organisch aus unserer Zusammenarbeit heraus. Es gab einfach ein Misstrauen bestimmten Mitteln gegenüber. Ich muss aber zugeben: Ich bin inzwischen nicht mehr in jedem Fall überzeugt von dieser Reduktion.

In meinem Gespräch mit Angela Schanelec über Orly habe ich den Eindruck gehabt, dass sie das auch als Befreiung empfindet, völlig ohne Absperrung mitten unter den Leuten im Flughafen zu drehen und das dadurch einmal ganz anders zu konzipieren.

Ja, ja, ja. Das Drehen von Orly, das war so absolute Freiheit. Für sie, aber für mich auch. Diese Freiheit ergab sich konsequent aus bestimmten Entscheidungen im Vorfeld. Also zwar die Spielszenen herzustellen, in die Szene dann aber nicht einzugreifen, sobald die Darsteller sich in diesen Raum begeben haben. Es gab dann teilweise auch kein «bitte». Nur das Signal, dass wir jetzt bereit sind. Der Beginn war dann ganz ihnen überlassen. Dieses extreme Herausnehmen aus der Situation, das Zulassen des Dokumentarischen – das betraf auch die Positionierung der Kameras. Es gab grobe Vorüberlegungen, in welchen Bereichen wir bestimmte Szenen drehen wollten. Aber eine konkrete Festlegung, welche Sitze etwa das sind, war nicht möglich. Es hing davon ab, wie voll oder wie leer ein bestimmter Bereich war. Sie mussten sich ihre Sitze suchen und wir haben uns einfach angepasst, unsere zwei Kameras dann spontan positioniert. Ich habe das als sehr, sehr toll empfunden. Das war so einfach, so unglaublich einfach, das zu drehen.

Aber für Sie als Kameramann gab es nur sehr eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten.

Genau. Man stellt die Kameras hin und kann dann eigentlich kaum mehr eingreifen. Höchstens, wenn es etwas gab, das die Einstellung zerstört hat, über einen längeren Zeitraum, dann haben wir unter Umständen abgebrochen und gewartet, bis sich wieder eine filmische Situation ergeben hat.

Das ist eine gute Gelegenheit, über die Arbeit mit der Digitalkamera zu sprechen. Sowohl bei Im Schatten als auch Orly haben Sie erstmals die RED-Kamera eingesetzt, mit der auch Steven Soderberg seine letzten Filme gemacht hat – oder Lars von Trier seinen Antichrist.

Ich kann dazu gar nicht so viel sagen. Man kann da höchstens über technische Details und Parameter sprechen. Dadurch dass ich selbst viele Fernsehdokumentationen und -Beiträge gedreht habe, habe ich viel mit Video gearbeitet. Ich habe keine Scheu davor. Es ist eben ein anderes Mittel. Und wenn man nun mal beschränkte Mittel hat und der Dreh auf Film nicht finanzierbar ist, bzw. wenn es so ist, dass man bei der Finanzierung von Film sich viele andere Optionen nicht mehr leisten könnte, dann finde ich, ist das Drehen mit der RED eine durchaus akzeptable Alternative. Auch weil sie 35mm sehr ähnliche Abbildungsverhältnisse hat, mit einer Sensorgröße, die nicht ganz genau, aber doch ziemlich 35mm entspricht.

Wenn man nicht den direkten Vergleich mit Film hat, dann geht es durch. Wenn man es dann tatsächlich mit Film vergleicht, also direkt nebeneinander hat, dann ist es doch ein Schock. Wir haben das an einem Punkt der Postproduktion von Orly einmal probiert. Einen Akt aus einem früheren Film von Angela und einen Akt aus Orly nebeneinander projiziert. Das ist eine andere Welt, das ist einfach etwas anderes. Die Art der Farbreproduktion ist so anders und im Vergleich zu Film kommt einem auch das Digitalformat extrem flach vor, ohne Tiefe.

Es gibt doch prinzipiell zwei Möglichkeiten, auf diesen Sachverhalt zu reagieren. Man kann sagen: Gut, ich versuche es so nah wie möglich an 35mm ranzukriegen. Oder ich versuche zu sehen, was ich aus den Abweichungen machen kann.

Ich muss ehrlich sagen, ich gehe damit relativ naiv um. Naiv im Sinne von: Ich drehe einfach so, wie ich auf Film drehen würde. Es würde mich auch nicht interessieren, da irgendwelche technischen Tricks zu finden, um das Aussehen noch einmal zu modifizieren. Das ist einfach das, was das Medium ausgibt. Und dadurch, dass ich nie mit Filtern arbeite, immer nur mit dem blanken Objektiv, arbeite ich so wie mit Film. Ja, der Kontrastumfang ist niedriger als der von Negativfilm. Aber wenn man das Negativ dann beim analogen Film auf das Positiv printet, dann hat man ein ähnlich reduziertes Spektrum. Dazu kommt, dass es bei der RED dadurch, dass sie die Raw Data aufzeichnet, einen Spielraum gibt, der ein wenig schon noch an den Filmspielraum erinnert. Aber was die neuen Qualitäten angeht … Angela hat das auch immer so thematisiert, die Qualitäten dieses anderen Mediums nicht als Mangel zu sehen, sondern positiv zu nehmen. Allerdings ist es ja auch so: Spätestens dann, wenn man wieder auf Film zurück geht, wird das wieder verfälscht. Nur wenn man den Film als dcp (digital cinema package) wirklich digital projiziert, dann mag es auch in der Oberfläche etwas anderes geben. Eine bestimmte Glätte oder welche Attribute man dann wählt, um das zu beschreiben.

 

Mit Reinhold Vorschneider sprach Ekkehard Knörer