dokumentarfilm

Die Frau, die man einlud Über Sabine Derflingers Alice Schwarzer

Von Catherine Davies

© Derflinger Film | Filmdelights (Perincioli)

 

Gegen Ende von Sabine Derflingers Porträtfilm Alice SchwarzeR wirkt die Protagonistin, bis dahin gewohnt eloquent und fröhlich, charmant gar, auf einmal verwundbar: noch ungeschminkt blickt sie in den Spiegel, reibt sich mehrfach die Augen, atmet aus. Spricht darüber, wie sie mit anderen mitleidet, monologisiert über ihr ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Schließlich – Makeup, Lipliner und Gloss sind da schon routiniert aufgetragen – sagt sie einen Satz, der, wenn er denn anders gewendet worden wäre, Schlüssel hätte sein können zu einem Film über die Medienfigur Alice Schwarzer: «Männer darf es immer viele geben, die Frau aber nur einmal.»

In der bundesrepublikanischen Medienöffentlichkeit war Schwarzer die Frau, die man einlud, die man fragte, wenn man eine Feministin dabeihaben wollte. Schwarzer hat diese Rolle gern angenommen. Urszene dieser Medienbiografie ist wohl jene Episode, mit der Derflingers Film auch einsetzt: In einer Sendung des WDR konfrontiert Alice Schwarzer im Jahr 1975 Esther Vilar, Autorin eines antifeministischen Bestsellers: Würde Vilar statt «Frauen» «N***r oder Jude» schreiben, würde sie als das dastehen, was sie ist: als «Faschistin». Schnitt. So war sie schon damals, die Alice, soll die Zuschauerin wohl denken: unerschrocken, kein Blatt vor den Mund nehmend. Vilars Reaktion wird – bezeichnend für Derflingers Zugang – nicht gezeigt. Ebenso wenig erfährt man, wen Schwarzer hier vor sich hatte: eine Frau nämlich, die als Tochter eines jüdischen Vaters vor dem NS-Regime hatte fliehen müssen. Was folgt, ist eine Collage zeitgenössischer Zeitungsartikel, in denen das Schwarzer/Vilar-Duell begeistert kommentiert wird. Die Spur, die hier gelegt wird, hin zur Frage, warum die westdeutsche Medienöffentlichkeit ohne Schwarzer nicht konnte und Schwarzer nicht ohne sie, wird dann allerdings nicht weiterverfolgt.

Stattdessen möchte Derflinger offenbar einiges zugunsten von Schwarzer geraderücken: den Vorwurf der Islamophobie etwa, der Schwarzer seit Jahren immer wieder gemacht wird. So recht gelingt das nicht. Schwarzer versichert, dass man unterscheiden müsse zwischen dem politischen Islam und dem alltäglich gelebten Islam, zwischen den individuellen Beweggründen einer Kopftuchträgerin und dem Kopftuch als politischem Symbol und der für dieses Symbol werbenden Propaganda. Was ist Propaganda aus Schwarzers Sicht? Zum Beispiel eine Frau im pastellfarbenen Kopftuch, die lächelnd vor einem Laptop sitzt. Man fragt sich, was, legte man diese eigenwillige Definition zugrunde, Derflingers Film dann eigentlich ist. Später schüttelt Schwarzer einer muslimischen Studentin lächelnd die Hand, die beiden versichern einander im herzlichen Tonfall, dass man trotz aller Differenzen im Gespräch bleiben müsse. In einer anderen Szene sieht man Schwarzer im Kreis ihrer «algerischen Familie» (so auch der Titel ihres gleichnamigen Buches), mit der sie seit den 90er Jahren eng befreundet ist.

Auskunft hätte hier vielleicht Arzu Toker geben können. Schwarzers Emma veröffentlichte 1993 ein Bild der deutsch-türkischen Sozialpädagogin mit der Unterschrift «Ich bin ein Mensch wie ihr». Es war einer der frühen Rassismus-Skandale der deutschen Frauenbewegung. Toker wandte sich in einem Text für die Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis gegen die Instrumentalisierung, die ihr durch die Emma-Redaktion widerfahren war. Sie verwahrte sich gegen den aus der Überschrift sprechenden Eurozentrismus und gegen ihre Vereinnahmung als «Schwester» – ein Ausdruck, mit dem Toker die deutschen Feministinnen ausdrücklich nicht hatte bezeichnen wollen, was Emma aber ignorierte. Scharfe Kritik übte Toker auch an der Bebilderung ihres Textes durch muslimische Männer beim Schächten eines Schafes, Blutlache inklusive. Toker sah hier einen Ausdruck von «Kulturrassismus».

In einer anderen Szene beklagt Schwarzer die Geschichtsvergessenheit der Frauenbewegung, erzählt von ihrem Erstaunen, als sie als junge Frau erfuhr, dass Frauen bereits vor Jahrzehnten für ihre Rechte auf die Straße gegangen waren. Tatsächlich ist die Gründung des FrauenMediaTurms in Köln, eines der wichtigsten Archive des Feminismus in Deutschland, wohl Schwarzers Hauptverdienst in einer ansonsten aus feministischer Sicht zumindest reichlich ambivalenten Biografie. «Ich nehme Sie als das Oberhaupt der deutschen Feministinnen wahr», hatte Vilar 1975 zu Schwarzer gesagt, was diese abwehrte: «Wir haben keine Oberhäupter und auch keine Oberhäupterinnen.» Das Selbstverständnis der autonomen Frauenbewegung, das Schwarzer hier artikulierte, hat sie all die Jahre aber nie davon abgehalten, sich genau als solches Oberhaupt zu inszenieren und inszenieren zu lassen. Derflingers Film schreibt dies ungebrochen fort. Kritikerinnen kommen hier nicht zu Wort, Schwarzers Weggefährtinnen äußern durchweg Beifall und Bewunderung. Schwarzers hinlänglich bekannter autoritärer Führungsstil bei der Emma wird weggelächelt, ihre Werbekampagne für die Bild-Zeitung nicht erwähnt, geschweige denn ihr Schwarzgeld-Konto in der Schweiz. Das ist weniger Geschichtsvergessenheit als Geschichtsklitterung. 

 

Alice Schwarzer (Sabine Derflinger) AUT 2022 | Kinostart am 15. September 2022