comic

The Moneyman. Die Geschichte von Roy und Walt Disney de Santa/Zambello/Magalotti/Priori/Pressato

Von Ekkehard Knörer

© Knesebeck

 

The Money man ist ein Biopic in Comicform, eine Bio-Graphic-Novel, könnte man sagen, in Flashbacks erzählt. Es erzählt: Roy Disney. Von sich und, vor allem natürlich: von Walt, seinem Bruder. Etwas mühsam die Flashbackherbeikonstruktion. Oktober 1971, Orlando, die Eröffnung von Disney World steht bevor, Walt Disney ist da schon fünf Jahre tot. Im Hotel muss Roy noch ein wenig warten, eine Frau mit kleiner Tochter sitzt neben ihm. Sie kommen ins Gespräch, die kleine Tochter tritt Roy gegen das Knie, als er erzählt, dass Walt Disney selbst schon lang nicht mehr gezeichnet hat. Darauf der Sprung: ins Jahr 1905, Chicago, Kindheit, Sepiatöne.

Adressiert ist der Band also an dich und mich als Zufallsbekanntschaft. Die Stellvertreterin des Lesers im Bild/Text wird über die Tochter (Clara) hinaus nicht weiter biografisch möbliert, bekommt nicht einmal einen Namen, mit ihr geflirtet wird sowieso nicht, sie bleibt reine Funktion: Frage («Schneewittchenwar der erste, oder?»), Kommentar («Ich wusste nicht, dass Howard Hughes so seltsam war»), eine Ahnunglosigkeit («Ihnen ist vielleicht nicht klar, wieviele Mitarbeiter man für einen einzigen Trickfilm braucht» – «Nein, ich habe keine Ahnung»), die Lücken schafft, in die Roys Erklärungen und Erzählungen bereitwillig springen.

Roy ist natürlich keine Erfindung. Er hatte eine Banklehre gemacht und war bei den Unternehmungen seines Bruders, über diverse Firmengründungen und Gesellschaftsformen hinweg, zuständig für die Finanzen, als Realitätsprinzip und Ermöglichungsmann für die immer neuen Ideen des Bruders (Farbe! Ton! spielfilmlange Trickfilme! Vergnügungsparks!), deren Erfolg erst nachträglich absehbar scheint. Von dieser Seite her wird die Disney-Geschichte erzählt. Was zum Beispiel bedeutet, dass nicht nur – was sich von selbst versteht – der superschnelle und für die frühen Disney-Filme prägende Zeichner Ub Iwerks seine Auftritte hat, sondern auch Peter Amadeo Giannini: Sohn italienischer Immigranten, 1904 Gründer der Bank of Italy, die anders als die meisten anderen Banken Kredite an Einwanderer und ärmere Leute vergab; später Chef der Bank of America, die in den auch für Disney schwierigen Kriegsjahren Filme wie Schneewittchenfinanzierte.

Die künstlerische Seite im engeren ästhetischen Sinn spielt kaum eine Rolle; persönlich und vor allem politisch problematische Seiten Walt Disneys werden nicht ausgespart, wenngleich in der Regel vom Bruder in Richtung Nachvollziehbarkeit kontextualisiert: seine Kontrollwut und Herrschsucht und der Kampf gegen die Gewerkschaften vor allem. Der Hauptautor Alessio de Santa versichert, er und sein Koautor Filipello Zambello hätten für den Band Unmengen von Dokumenten, Texten, Biografien gesichtet. Das darf man glauben, und als Informationsverdichtungsapparatur ist der mit seinen knapp 170 Seiten ja eher nicht aus den Nähten platzende Band durchaus gelungen, der Clunkyness der Erzählsituation mit ihrer Rücksicht auf niedrigschwellige Leser*innenansprache zum Trotz.

Die Zeichnungen von Lorenzo Magalotti tragen das Gewicht von Info und Text ohnehin leicht: klar, um abwechslungsreiche Perspektiven und Ausschnitte bemüht, variabel, aber nie manieriert. Das eigentlich Tolle an diesem sonst eher soliden als aufregenden Band sind dann aber die Ornamente. Kühn schlagen die Sprechblasen-Hinweislinien Schneisen durchs einzelne Panel, schlängeln Text herbei aus dem Off, kommen neben- und untereinander fast selbst ins Gespräch; und sie haben in den Bildern bald interessante Gesellschaft. De Santa erwähnt im Nachwort, Walt Disney habe alle Aufnahmen, auf denen man ihn rauchen sieht, unterdrückt. Da ist The Moneyman eine hinreißende Wiederkehr des Verdrängten. In fast jedem Bild hat der spätere Disney eine Kippe in der Hand, floral, ornamental, lustvoll wird vor allem der Rauch zum sprachlosen Nebenprotagonisten, der kleine, aber ausgeflippt-schnörklige Bruder der Sprechblasenlinien. Führt zu nichts, sagt nichts, riecht nicht beim Lesen, hat den an Lungenkrebs gestorbenen Walt Disney das Leben gekostet. Aber ohne diese Liebe zum Schnörkel machte der Band nicht halb so viel Spaß. 

 

Alessio de Santa/Filippo Zambello/Lorenzo Magalotti/Giulia Priori/Lavinia Pressato: The Moneyman. Die Geschichte von Roy und Walt Disney (Knesebeck 2019)