dokumentarfilm

Wiederaufnahme Der große deutsche Dokumentarist Volker Koepp befährt in Berlin-Stettin seine Lebensbahn

Von Bert Rebhandl

Einer der bekanntesten Filme aus dem Kontext von 1968 stammt aus Frankreich. Eine junge Frau ist in La reprise du travailaux usines Wonder zu sehen, wie sie dagegen protestiert, dass nach einem Streik in der Lampenfabrik Wonder in einem Vorort von Paris die Arbeit wieder aufgenommen werden soll – ohne dass die schlechten Arbeitsbedingungen verbessert worden wären. Sie fühlt sich von den Arbeitgebern, aber auch von der Gewerkschaft verraten, und bringt diese Enttäuschung leidenschaftlich zum Ausdruck. Unwillkürlich muss ich an diese Szene denken, wenn in Volker Koepps neuem Film Berlin-Stettin eine Schwarzweißaufnahme aus einem seiner Arbeiterdokumentarfilme aus der DDR auftaucht. Eine Schweißerin namens Karin erregt sich über die mangelhafte Qualität der Arbeitsmaterialien, männliche Kollegen stehen um sie herum und versuchen nicht einmal halbherzig, sie zu beruhigen.

Die erregte Rede, die Qualität des Filmmaterials, die Position einer vereinzelten Frau inmitten männlicher Funktionäre, all das macht diese Szenen spontan vergleichbar. Es gibt jedoch auch einen wesentlichen Unterschied, denn Hervé le Roux hat in seinem Film Reprise (1997) versucht, die Arbeiterin von damals viele Jahre später wiederzufinden – seine Suche führte ihn tief in die Geschichte der französischen Linken, blieb aber vergeblich. La reprise du travailaux usines Wonder war eine Arbeit der 1968 formierten Generalstände des Kinos, das Filmemachen war damals keine persönliche Angelegenheit. Volker Koepp hingegen hat bei allen seinen Filmen Freundschaften geschlossen, und nun hat er einige Protagonisten auf einer Fahrt von Berlin nach Stettin noch einmal aufgesucht – es ist eine Fahrt aus der (deutschen) Stadt, in der er aufwuchs, in die (polnische) Stadt, in der er 1944 geboren wurde. Es ist auch eine Fahrt, auf der er noch einmal wesentliche Stationen seiner filmischen Arbeit rekapituliert. Die Schweißerin Karin trat in Tag für Tag (1979) auf, sie ist Anklägerin eines Systems, das sie zugleich resolut vertritt. Zehn Jahre später hat sie in einer Kirche eine Rede gehalten, in der sie darauf bestand, Subjekt der Geschichte zu bleiben: «Es muss schon jeder selber wissen, was er will.»

Von Berlin nach Stettin fährt man ungefähr zwei Stunden mit dem Zug, der Film ist nur unwesentlich kürzer, aber es ist wieder einmal die ganze Geschichte des 20. Jahrhunderts (und die paar Jahre danach) enthalten. Im Zentrum steht dieses Mal allerdings Volker Koepp selber, diskret zwar, aber doch mit allen wesentlichen Daten, mit einigen ganz frühen Familienfotos, auf denen seine Mutter 1944/45 mit ihren vier Kindern zu sehen ist, und mit der Aussage einer Frau, die zehn Jahre alt war, als der Krieg zu Ende ging und die Russen kamen (die mehrfache Vergewaltigung von Thea Koepp wird nicht verschwiegen). Die Gundolfinger Straße in Berlin-Karlshorst, in der Volker Koepp dann seine Kindheit verbrachte, bildet den Ausgangspunkt von Berlin-Stettin, der als eine Reise konzipiert ist, die zurück führt – zurück in die Geschichte, an den Ursprungsort, zu den Freunden, die unterwegs hinzugekommen sind. Auch im damaligen «Ostblock» gab es 1968 ein wichtiges Datum: An der Haltung gegenüber dem Reformversuch in der kommunistischen CSSR entschied sich, auf welche Seite einer gehörte. Volker Koepp war auf der richtigen Seite, er musste deswegen auf seiner Filmhochschule eine «Strafarbeit» leisten, die darin bestand, einen Dokumentarfilm zu drehen: «Wir haben schon eine ganze Stadt gebaut». Was aus diesem Anfang heraus entstand, ist in Berlin-Stettin gegenwärtig.

Kinostart am 28. Januar 2010