filmkritik

Werner Herzog (1975)

Von Manny Farber

Fata Morgana (1971)

© Werner Herzog Filmproduktion

 

Zwei grundsätzlich verschiedene Arten, Filme zu machen, gibt es derzeit: Da sind (1) Genre-Arbeiten, und sie sind so allgegenwärtig, dass ein Einsiedler den Hype um Nashville oder Der weisse Hai nicht verpassen könnte; daneben (2) eine weniger beachtete Sorte (Death by Hanging, Nicht versöhnt et. al.), die viel von anderen Kunstformen gelernt hat, stark in Strukturen denkt und in ihren Motivationen und Ideen dem Hirn Nüsse zu knacken gibt, aber der Aufwand, mit dem man sie knackt, lohnt. In beiden Welten finden sich gute Filme, aber in Sachen Kadrage-Sprache-Erzählung lernt die eine nichts von der andern. Mike Snow wird kein Ticket für einen Hollywood-Film lösen und Coppola hat noch nie von Fassbinder gehört. Die Sichtbarkeit der Werke von Oshima-Guerra-Duras & Co. ist außerordentlich begrenzt: einmal im Jahr sind sie am Film Archive in Berkeley zu sehen, dann zigeunern sie ein wenig durchs Land: das Visual-Arts-Proseminar am Colenzo College in Milwaukee zeigt sie, vielleicht werden sie beim einmal im Monat stattfindenden Treffen des Goethe-Clubs aufgeführt und dergleichen. Es wird keinen überraschen, dass die Leute, die Mean Streets kreieren-kritisieren Serene Velocity behandeln, als wär der Film unsichtbar.

Eine Schlüsselfigur des weniger sichtbaren Films ist Werner Herzog, aus München stammend; eine Schlüsselfigur nicht nur, weil er in einem Kinogebiet der Unvernunft lebt, entfernt verwandt mit frühem Buñuel-Franju-Browning, sondern wegen seiner Sonderrolle noch in München, einer Hauptstadt des subversiven Films dank staatlich vergebener Fernseh – und Drehbuch-Fördergelder. Herzog ist auch da noch außen vor, ohne Kontakt, wie es scheint, zu Fassbinder-Schroeter-Straub mit ihren starken Bezügen zu Brechtschem Theater.

Herzog, der zu Fuß einen Film von München nach Paris geschleppt hat und in einem zerbeulten VW-Bus unterwegs war, um in allen Ecken Kaliforniens, Hollywood ausgenommen, abstruse Exotica einzuladen; Herzog, der ein musikverrückter Zigeuner ist, ein Spezialist für behinderte Menschen (Krüppel, Zwerge, Taube und Blinde), Besitzer eines gewaltigen Zorns, so extrem und outré wie sein merkwürdiger filmischer Stil. Ein in sich verschlossener Künstler, der niemals aufgibt, aber mit Herzog und Distanz ist das so eine Sache: Seine Kamera, von den Menschen stets weit entfernt, findet seltsame Orte, er kommt auf Ideen wie die, Pizarros Suche nach El Dorado, der Goldstadt (Aguirre, derZorn Gottes), weitgehend am Wasser inmitten des Amazonas zu drehen. Der eine Film, in dem seine unberechenbare Kamera überhaupt irgendein Interesse an den Darstellern zeigt, ist sein großartig nicht-kunstvolles Werk über Taubstumme in deutschen Krankenhäusern (Land des Schweigens und der Dunkelheit), in dem seine Handkamera sich ganz nah an die Menschen heranschnüffelt, die sie weder sehen noch hören können. Dieser kompromisslose Film – jedes einzelne Bild zeigt Fini Straubinger, eine deutsche Helen Keller, die Augen zur Seite gedreht, das Gesicht inbrünstig zur Decke, ihr Blick überall hin, doch in die Kamera nie, weil ihr Raumklang-Sinn mit dem der Filmemacher nichts zu tun hat – ist ungewöhnlich obsessiv und unelegant, sogar für einen Regisseur, der noch keine Einstellung geschaffen hat, die nicht aus dem Lot wäre.

Die ganzen Münchner Filme basieren auf einer linken Version der Gesellschaft unserer Tage als einem Labyrinth aus Brutalität, Gefangenschaft, Frustration. Fassbinders opernhafter Familienfilm dreht sich um den stummen Gruppenzwang, der Menschen in ihren Leidenschaften und ihrem Verhalten zu Spießbürgern macht: Seine Geschwister und Ladenbesitzer in Wurstgestalt sind abwechselnd gemein und ausbeuterisch, ganz austauschbar Opfer und Sieger. Ganz anders als Fassbinder und Schroeter, die mit ihrem andeutungsreichen, großformatigen Kabuki-Schauspielstil eine Menge animalische Sinnlichkeit und hedonistisches Treiben in ihre Filme einlagern, ist Herzog ein streuschussfreudiger Schrotgewehr-Phänomenologe, dem die Schauspieler völlig egal sind. Seine Filme kennen wohl Mitgefühl, aber sie tun nichts für ihren Box-Office-Erfolg (sie sind keine Beziehungsfilme: keine Liebesgeschichten, nichts, das an Genre-Situationen erinnert, keine Familienprobleme, keine Altmanesken Spannungen oder Niederlagen.)

Herzog macht schon Filme sehr unterschiedlicher Art – Lebenszeichen ist entdramatisierte Fiktion, Fata Morgana eine didaktisches Gedicht und bei Aguirre darf man an einen schlechten Abenteuerfilm von Raoul Walsh denken, ein episodisch schlenderndes Werk, bestimmt von der Frage «Schaffen sie’s oder nicht?» –, um seine Vision an den Mann zu bringen: ein seltsam drolliger, makabrer, romantischer, schwungvoller Zorn auf Gott und sein Werk. Obgleich er großen Themen zuneigt (Normalität und Geisteskrankheit, das Schicksal der westlichen Welt, Macht und Eroberung), nutzt er das Medium unprätentiös und reiht eher Unbeholfenheiten, statt nach der großen, ausgearbeiteten Performance zu jagen, à la De Niro’s Johnny Boy in Mean Streets: An die Stelle eines zehnminütigen selbstgewiss-sicheren Schauspieltriumphs, eines Auftritts, den in seiner Körperlichkeit keiner, selbst wenn er will, übersehen kann, setzt Herzog eine verkehrte Welt, aber eine, die sich eigentümlich wahr anfühlt, indem er schrägwinklige kleine Ereignisansichten zusammenfügt und so einen anderen Raum schafft als den, von dem er ausging. Auf diese Weise hat er großartige Arbeit geleistet mit Aufgaben-Arbeitern-Händen, siehe etwa die lange Kamerafahrt in Fata Morgana an zwei Bauarbeitern in einem Slum vorüber. Verwirrt durch Herzogs unklare Anweisungen, winken sie dem Kamerateam und beginnen dann, hilflos auf der Suche nach etwas Bravado, vor der Kamera, die da fährt, herzurennen, jeder in eine andere Richtung. Zuletzt sieht man sie noch weit in der Ferne, winzige Figuren irgendwo hinten, sie schirmen mit den Händen die Augen und scheinen ganz mutlos. Herzogs Beharrlichkeit bewirkt die Entfaltung einer ganz eigenen schmerzlichen Schärfe in der Raumtiefe.

Im wesentlichen ist Fata Morgana ein Katalog des toten Kolonialismus in der Sahara: die verlassenen Trümmer aus dem Ersten Weltkrieg, der irr-magische Zug bei den Schwarzen wie den deutschen Touristen auf ihrer Suche nach ethnischen Informationen. Der Film wäre zum Tode verurteilt, erwiese sich Herzog nicht mal wieder als ein cleverer Spieler-Manipulator beim Umgang mit Material, das auf den ersten Blick so wenig lebendig scheint wie die Dünen etc. in National-Geographic-Fotografien. Mit seiner Vorratskammer voller expressionistischer Tricks (schwarze Eingeborene werden in anti-koloniale Poster umgeschminkt, afrikanische Rangen in stilisierte Kampfposen und Haltungen gezwungen, die trotzdem aus irgendeinem Grund nicht brutal sind, und andre deutsche Touristen vorgeführt, indem er sie hirnlos obsessiv nach wissenschaftlichen Tatsachen gieren lässt) verwandelt Herzog ein friedliches und lyrisches Wüstenlandschaftsbild fürs Reisebüro in einen weiträumig gleitenden optisch-akustischen Zirkus. Einen Film wie Fata Morgana gibt’s nicht noch einmal!

Sein ätzender, ungefälliger Stil in dieser atemberaubenden Spiegelmorgana aus Raum, Geschwindigkeit und bizarren Ereignissen, gedreht im Jahr 1970, ließe sich in vier Schritten umreißen:

1) Endlose horizontale Fahrten wie eine recht rasch vorankommende Schlange in einer Cafeteria: die Kamera bleibt auf Distanz, emotional und buchstäblich.

2) Gegenstände und Personen sind eine Art Treibgut, Kaffeesatz auf einer flachen, braunen Wüste mit Kriegskampftrümmern, Baracken, Tierleichen, Stacheldraht, vertriebene Schwarze in den Überresten des Zweiten Weltkriegs.

3) Herzog führt seine Schauspieler nur halb: Es ist offensichtlich, dass die verwirrten Touristen und Eingeborenen nicht begreifen, was der trickreiche Regisseur mit ihnen im Sinn hat. Seine ausdruckslos-starre Kamera verharrt auf ihnen und sie werden perplex und perplexer.

4) Ein schockartiger Soundtrack, einer, der dich kopfschüttelnd fragen lässt: Was hat der lahmarschige Leonard Cohen mit einem Bus aus den vierziger Jahren zu tun, der seine Passagiere in wabernde Hitze entlässt? Herzogs Musik (aller Arten, von Couperin bis Cash) ist eine Flora für sich, die er gern bis zum Wahnsinn austreiben lässt. In einer grimmigen Passage, sehr à la Swift, überdies ganz bösartig präsentiert als das ikonische Bild des Goldenen Zeitalters der Zivilisation, spielt eine Ehemann-Frau-Band auf der kistenartigen Bühne eines Bordells und schabt an unseren Nerven mit ihren Verstärker-Exzessen und dem komatösen Ausdruck in ihren Gesichtern. Der glotzäugige Don Juan am Schlagzeug und die magenkranke Matrone am Piano quälen ihre endlose Tanzmelodie in den Raum ohne Publikum inmitten ermüdeter Papierdekoration und hören nur ein heftiges hohles Echo.

In Auch Zwerge haben klein angefangen (1968) sind alle Darsteller Zwerginnen und Zwerge von sehr unterschiedlicher Persönlichkeit und auch Größe. Das meistens wortlose Holterdiepolter findet statt in einer Reformschule für normalgroße Rowdys auf einer lavaverbrannten Insel der Kanaren, die so vernarbt ist wie das leidenschaftliche Gekreisch der Zigeunerin, deren Lied der feurigen Emotion des Films ihren Grundton gibt. Der Leiter der Anstalt hat sich davongemacht; sein Vertreter verbarrikadiert sich in seinem Büro mit dem Anführer der Revolte als Geisel; im Lauf des Tages werden die Insassen zusehends chaotischer und destruktiver. Der Vertreter verwandelt sich mehr und mehr in den traditionellen Liberalen, der für Vernunft und Benehmen plädiert. Die zwei kleinsten und sanftesten lockt man in einem bösen Streich ins Schlafzimmer des Direktors, «dann legt jetzt mal los»; die blinden Zwerge, Verkörperungen des Status Quo, werden von den andern aus ihrem Friedlichen Leben gequält. Das Anstaltsauto wird in Bewegung gesetzt und fährt endlos im Kreis, Mobiliar wird zertrümmert, der Direktors-Vertreter wird mit Steinen und lebenden Hühnern bombardiert und die Zwerge marschieren zuletzt in einer Prozession durch rauchende Blumentöpfe («die Blumen blühen, lass sie uns verbrennen») und paradieren mit einem kleinen, an ein Kreuz gebundenen Affen.

Das ist ein halluzinatorischer Angriff auf halbgare Revolutionen und präsentiert auch wieder den größten Teil des Anti-Kultur-Bric-a-Brac, mit dem Herzogs Filme randvoll sind: Sturmtruppen-Schutzbrillen, verrostete Fässer und Öltonnen aus vergangenen Kriegsdebakeln, lange Fahrten, die sich wie ein langsamer Zug durch die Landschaft bewegen, begleitet von einem giftigen oder spottenden Soundtrack, dem grimmigen Klang irren Gelächters, dazu Tiere, diabolisch misshandelt von anderen Tieren oder Menschen.

Herzogs Alpträume sind gesprenkelt mit einer Art schläfriger, fauler, motivloser Brutalität: Zwei Zwerginnen kichern aus schierer Langeweile kameradenhaft als sie sehen, wie eine riesige weiße Sau gemordet wird, die eben noch neun Ferkel gesäugt hat. Zuvor haben sich die Freunde gegen die Pflanzenwelt solidarisiert. «Lass uns die Lieblingspalme des Direktors niederbrennen» – und das begleitet von irre heftigem, begeistertem Lachen.

Neben der Brutalität ist ein großes Herzog-Thema die Sklaverei. Einer der berührendsten, melancholischsten Momente: ein Einstellung von oben auf eine Frau und ihr zweistöckiges Zigarrenschachtel-Wohnhaus, eine außerordentliche Miniatur von Madame Tussaud’s, darin zwei Dutzend Insekten, in aufwändiger Kleidung. Die Insassen unternehmen diese Inspektion einmal die Woche mit größter Begeisterung und das Entsetzen ist groß, wenn sich einer der winzigen Häftlinge einen Flügel gestoßen oder seinen Hut verloren hat. Jedesmal, wenn sie die Braut ansehen, juchzen sie: «Ohhhh, wie entzückend!»

Herzogs Film – die unbeholfene Kadrage, das arhythmische Tempo, ein Raum, der sich in die Tiefe weit jenseits der Ränder der Leinwand erstreckt – funktioniert nur, weil der Regisseur ein echter deutscher Zigeuner ist; ein Außenseiter mit ganz großem A, dessen Filme auf Flügeln des Sonnenlichts unterwegs sind, eine überscharfe Aufmerksamkeit besitzen für die Schönheit der Bewegung, das Brausen des Wassers, das Fliegen der Vögel, die Flugbahn eines Pfeils und so weiter. Das Porträt des Meinhard in Lebenszeichen, eines deutschen Soldaten am Rand eines Kriegs ohne etwas zu tun, ist ein Katalog des rastlos-schlechtgelaunten Herumstocherns auf sonnenverstrahltem fremdem Grund und Boden. Meinhard, der liebenswerte Kakerlaken-Fallensteller, mit seinen ständigen Fragen zum Verhalten der Tiere («Hast du jemals eine Raupen-Prozession gesehen … weißt du, wie man ein Huhn hypnotisiert … wie sieht ein Känguruh sonntags aus?») ist in den Raum gewickelt, wird buchstäblich vom Licht der Sonne verschluckt, wäre da nicht das Herzog-Charakteristikum: seine eiserne Entschlossenheit und Körperlichkeit.

Das einzige Dach, das Herzog akzeptiert, ist der Himmel; sogar die Innenraum-Aufnahmen eines gefangenen, an einen Drehstuhl gefesselten Zwergs scheinen ungebändigt, chaotisch, geräumig. Herzog unterläuft pervers geradezu jede Möglichkeit zur Dramatisierung, bevorzugt stets die spontane Aktion gegenüber Vorüberlegung und Plan. Eines seiner ungestümsten Geschichts-Beispiele entlädt sich in Aguirre. Die Spanier unternehmen einen Angriff auf ein Dorf von Kannibalen. Vor sich her treiben sie einen unwahrscheinlich fügsamen schwarzen Sklaven im Glauben, sein Anblick allein müsse die Wilden in die Knie zwingen. Sie bewegen sich voran, da dreht sich der Grund, die tapferen Kastilier kullern herum wie die Murmeln und der Zuschauer fragt sich, was der Regisseur und seine Kamera warum und wo jetzt wieder tun. Wo sind diese Indianer? Woher kommen diese vielen schwirrenden Pfeile? Man sieht Herzog vor sich, wie er seine erschöpften Darsteller vor sich her treibt mit den erschöpften Dialogen aus seinem Film: «Bewegt euch, ihr Entensöhne, la pudre dah madre, haltet die Kanone aus dem Wasser!» Sein wunderschöner, makelloser Star, Helena Rojo, in ihr bestes Balenciaga-Kleid gehüllt für diese Gala des Chaos, geht angeekelt in den Wald, zieht das Brutzeln im Kannibalen-Eintopf der Gesellschaft ihrer edlen (eklen) Verteidiger vor, die auf dem Boden herumrollen in nur nach Graden verschiedenen Zuständen der Liederlichkeit. «Da geht sie, auf Nimmerwiedersehen.» Könnte eine solche Verwirrung noch Strategie sein, oder hat sie die Hitze des Dschungels alle erledigt?

Von den witzigen Beobachtungen des exzentrischen Meinhard im bahnbrechenden Debüt Lebenszeichen, einem Saatbeet von Bildern und Themen, die in jedem späteren Herzogfilm wiederkehren, hin zu den verstörenden und sehr bewegenden Momenten mit den Taubblinden in Land derDunkelheit, war Herzog stets in einer perversen Situation: Er will mit Schauspielern nichts zu tun haben, ist aber sichtlich fasziniert vom Menschen als Phänomen. Seine Kamera weicht aus und zieht sich zurück, wenn es darum ginge, einen Charakter zu entwickeln (mit der ironischen, oben erwähnten Ausnahme der Fini-Straubinger-Geschichte), er vermittelt das Gefühl, dass die Beziehungen der Menschen ihre eigene Sache sind und interessiert sich kein bisschen für eins-zu-eins-Situationen. Seine Two-Shot-Einstellungen sind meist ungelenk. Erst wenn es um das Verhältnis einer Figur zu ihrer Obsession, ihrer Leidenschaft, ihrem Hobby, geht, leckt Herzog Blut: Walter Steiner, Schweizer Skisprung-Champion, und seine ekstatischen Flüge; Straubingers Propaganda-Reisen für eine Sprache der Berührung; ein verrückter Eidechsenverehrer («du hast keine Vorstellung, wie lange es dauert, sie einzufangen, wenn sie davon sind»); die eindrücklich private Erfahrung einer dürren Krankenhauspatientin, die an ihrem Kleid herumfingert, das Kreuzzeichen schlägt, ohne Ende und fiebrig, in einem unaufhörlichen Ballett ihrer Hände … ihr Gesicht dabei zart berauscht und ergreifend.

Die überwältigende Isolation eines jeden Sterblichen im menschlichen Königreich ist das, was man in jedem Herzog-Bild spürt. Und wenn sich ein Bild noch in zwei Typen von Verlust und Entfremdung auftrennen lässt, dann erreicht der Film unweigerlich seinen schmerzlichsten und assoziationsreichsten Punkt. Vielleicht definiert sich sein ganzes Œuevre rund um jene ganz und gar schmutzige Szene des Wunders, in der ein drahtiger Algerier Steine in Kiesel zerschlägt. Seine zusammengekniffene Entschlossenheit findet plötzlich ihr Gegenstück in den Zügen eines nicht weniger verwitterten Eindringlings, der sich steif und kämpferisch vor die Kamera stellt. Darin eingefangen ist die Existenz einer ganzen Region, die trockene Mitt-Sahara, und die Beziehung der Machtlosigkeit des Außenseiters ihr gegenüber. Und unter den Bildern eine schnarrstimmige Beschwörung: «Die Tore des Paradieses stehen einem Jeden offen … dort werden Arbeiten inspiziert, die keiner tun würde … du löschst Kalk und wirst von den Reichen dafür erwählt.»

Herzog ist ein harter Hund mit der Begabung, sanft und nachgiebig zu sein. Aber vom Weg ab kriegt man ihn nicht und die siedende Leidenschaft, die über jedes Bild von Aguirre oder Fata Morgana spült, ist ihm essentiell wichtig. Es gibt kein Klagen in diesem Werk, aber auch kein Bejubeln, keine Schönfärberei: Die Filme sind oft grimmig komisch, eine Lust, von Natur aus voller Energie. Aber es steckt zugleich stets diese verstörende Aussage in ihnen: «Wir leben in einer heimtückischen Welt und in jedem von uns lauert eine gute Portion Wahnsinn.» Seine Botschaft: «Wenn die Dinge irreal werden, das ist der Moment, der mich am meisten bewegt.»

 

Werner Herzog (mit Patricia Patterson, 13. Juli 1975) | aus: Farber on Film (ed. Robert Polito, Library of America 2009) | Übersetzung: Ekkehard Knörer