serien 2017

Bongkifferdeepness und Epigenetik Transparent 4

Von Maren Haffke

© Amazon

 

Viel ist passiert, seit die Amazon Prime-Serie Transparent 2014 mit einem Coming Out begann. Fast 70 Jahre hat Maura als Mort gelebt, als vermeintlich männlicher heterosexueller Patriarch der weißen, wohlhabenden, akademisch wie popkulturell hochgebildeten und dabei zutiefst neurotischen US-amerikanisch-jüdischen Familie Pfefferman, wohnhaft in Los Angeles, Kalifornien. Jetzt, zu Beginn der vierten Staffel treffen wir Maura in einem Hörsaal wieder, aus dem Ruhestand zurückgekehrt in ihren Beruf als Professorin für Politikwissenschaft. Vor einer Tafel stehend («Formal Consensus, Point of Process, NYC General Assembl » steht darauf, in der Mitte ein Davidstern) erzählt sie ihren Studierenden von einer Einladung nach Tel Aviv, wo sie eine Keynote halten wird, Thema: «Judaism, Cold War and Gender». Es geht also nach Israel. Nachdem sie Ende der dritten Staffel ihren Frieden mit der Tatsache machen musste, ihre Transition aus gesundheitlichen Gründen nicht operativ fortsetzen zu können, führt Maura ihre Reise in anderer Form weiter. «I’m learning things», wird sie Exfrau Shelley in der Wüste anvertrauen, um ihr dann in einem zweiten Coming Out ihre Heterosexualität als Frau zu offenbaren.

Weniger als Mauras neue Beziehung mit Donald steht jedoch einmal mehr die Familiengeschichte der Pfeffermans im Zentrum der vierten Staffel. Plot-Device, der alles ins Rollen bringt, ist ein Jahrzehnte alter israelischer Werbejingle, dessen fatalem Ohrwurmcharakter man es sofort zutraut, Menschen und Materialien schicksalhaft durch Zeit und Raum zu verbinden: im ‹Cool Guy›-Spot für Pfefferman-Klimaanalagen meint Maura ihren totgeglaubten Vater Moshe zu erkennen. Es ist dann Tochter Ali, die Maura davon überzeugt, Moshe aufzusuchen, denn auch Ali ist in der vierten Staffel damit beschäftigt, Dinge zu lernen, und das heißt Dinge über sich selbst. Nachdem das Ende ihrer Beziehung mit Poetin Leslie durch ein unschmeichelhaftes Gedicht im New Yorker öffentlicher wird als ihr lieb ist – zentrales poetisches Motiv ist Alis Vagina, die große Mengen Besteck verspeist –, begleitet sie Maura nach Tel Aviv. Israel, das ist für Ali ein ebenso diffuses wie unbedingtes Versprechen auf Heilung und Wahrheit fern der trivialen Leere ihres Alltags: «to stand on that ground, feel all the history and the suffering and the bloodshed and all the real stuff, just get away from the bullshit of nothingness here.» Mehr als einmal macht die Serie in dieser Staffel einen Punkt daraus, das Leben der Pfeffermans in L. A. als frivol darzustellen. So treffen wir in der Villa des wiedergefundenen Großvaters auf die anderen Pfeffermans, seine zweite israelische Familie, bei der es sich, wie sich herausstellt, um schöne gesunde Menschen mit Erwachsenenberufen in Politik und Naturwissenschaft handelt. Tatsächlich wird Ali in Israel zu einer Transformation finden. Auch der auf Moshes Einladung eingeflogene Rest der Familie inklusive Mauras Schwester Bryna darf sich auf einer Tour zum Toten Meer beim Sound von Jesus Christ Superstar – dem Leitmotiv des Soundtracks – erneuern. Die Sehnsucht, von den Widersprüchen der Gegenwart durch die Erhabenheit der Geschichte erlöst zu werden, zeigt sich dabei in spezifischer Weise zugleich als Thema wie als erzählerische Strategie der Serie in ihrem vierten Jahr.

Auch extradiegetisch ist viel passiert seit Transparent 2014 anlief (siehe cargo 32). Die Serie wurde zurecht für ihren bahnbrechenden Umgang mit den Geschichten von Transmenschen gefeiert, die vor und hinter der Kamera aktiv an der Produktion beteiligt sind. Transparent hat Geschichten erzählt, die aus Sicht eines Mainstreampublikums praktisch unerzählt waren, Bilder gefunden für Leben, die man lange unsichtbar gemacht hatte. Von Anfang an stellte sich die Serie dabei emphatisch als Rezeptionsgeschichte feministischer und queerer Theorie und als selbst aktivistische Praxis vor. Jill Soloway nutzte ihre Stimme, um ihren Heldinnen Gehör zu verschaffen. Poetin Eileen Myles, Vorbild für Transparents Leslie Mackinaw, hatte Gastauftritte in der Serie, mehrfach wurden ihre Gedichte und ihr Roman Chelsea Girls zitiert. Ähnlich wie Chris Kraus’ I love Dick wurden Myles’ Arbeiten so Jahrzehnte nach ihrer Erstveröffentlichung einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Während ihrer Zusammenarbeit gingen Soloway und Myles eine mittlerweise beendete Liebesbeziehung ein, gemeinsam veröffentlichten sie 2015 ein feministisches Manifest. Dieses fordert unter anderem, Männern ein halbes Jahrhundert die kulturelle Produktion zu untersagen, um erstmals erlebbar zu machen «what authentic female representation would truly look like.» In diesem Thanksgiving Paris Manifesto gibt es auch eine Passage über Israel: «The Middle East has always represented the beginning and the end of the world. As a real and symbolic measure, we invite all people (who feel as we do) to go to Jerusalem. Let us stand there, at the borders forever, holding hands to protect that space. We declare a new inevitable of peace in which the Female Face of God will show.» Am Ende der vierten Staffel von Transparent wird genau das passieren: Das Geisterecho einer Lachgashalluzination in Gestalt ihrer Zahnärztin Dr. Gunderson kündigt Ali in Ramallah das Kommen der Göttin Aschera an. Ein Jahr nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten – innerhalb der Serie an keiner Stelle thematisiert – hat man schon den Eindruck, dass es wichtig sein könnte, zu wissen, ob das ernst gemeint ist.

Im Verlauf von Transparent sind immer wieder spezifische Beziehungen von Gender, jüdischer Identität und Holocaust-Trauma angespielt worden. Mauras Transition wurde in ein vielschichtiges und durchaus idiosynkratisches Geflecht identitätspolitischer Diskurse eingebunden, aus dem Soloway und ihre Autorinnen einen Stil von Storytelling entwickelten, dessen strategische Ambivalenz überraschend, lustig und bewegend sein konnte, angesichts der Komplexität der angerissenen Themenbereiche und einer gewissen Tendenz zum ‹speachifying› mit hohem Sendungsbewusstsein mitunter aber auch irritierend vage. Die vierte Staffel setzt diese Tendenz fort und verschärft sie. Denn die oft fokussierten Übergänge von emanzipatorischer Selbstaktualisierung und dem Blasennarzissmus einer privilegierten kalifornischen Therapy-Culture werden zunehmend als Details eines Big Pictures gerahmt, dessen politische Reichweite das Erklärungsvermögen jener spezifischen Form von Repräsentationskritik zu übersteigen scheint, die zu leisten Transparent sich zur Aufgabe gemacht hat. «Arabs and Jews, blacks and whites, men and women, fucking binary, everywhere you look, screwing things up», lautet Alis rasante Analyse des Nahostkonfliktes. «We could not make the Palestinians feel unsafe so that the Jews could feel safe, that’s crazy logic», fährt sie fort. Jerusalem als bedrohter safe space und Rassismus als Problem der Binarität – viel deutet darauf hin, dass die Sachlage komplizierter ist.

Dass die Serie es oftmals unklar lässt, ob die Suchbewegungen ihrer Protagonistinnen ironisiert oder gefeiert werden, ist nicht per se problematisch. Heikler fällt schon die Abgrenzung der gezeigten Inspirational Journeys zur Pathologie aus, ein Umstand, den Transparent anhand der Geschichten von Sarah, Josh und Shelley in der vierten Staffel selbst zu thematisieren scheint. Beide Geschwister beginnen ihren Arc in einer Selbsthilfegruppe für Sex-und Liebes-Süchtige. Während Josh hier sein Missbrauchstrauma bearbeitet, findet Sarah eine polyamouröse Partnerin, um ihre neuaufgenommene Beziehung mit Exmann Len frisch zu halten. «Apparently she’s barely an addict», wird Len diese Entscheidung später gegenüber dem wütenden Josh verteidigen. Joshs ernsthafte Aufarbeitung und Sarahs mitreißend hedonistische Rücksichtslosigkeit stehen unaufgelöst nebeneinander. Erst das Bekenntnis seiner Mutter, als Kind missbraucht worden zu sein, verspricht Erlösung auch für Josh. Shelley, deren Zwang zur Sparsamkeit von Josh in aller Klarheit als «mental illness» adressiert wird, findet ihre Befreiung wiederum jenseits aller Therapien im Rollenspiel des Improvisationstheaters. Die Sensibilität für die Widersprüche und die Brüchigkeit der Selbstentwürfe und Begehren liberaler urbaner Mittelschichtsexistenzen ist eine große Stärke der Serie. Sie erzeugt Reibungen vor allem an den Stellen, die sie dramaturgisch als aktivistisches Bekenntnis mit Botschaft vorstellen. Dabei werden viele wirklich lustige Momente von Transparent aus der Fuzzy-Logic ihrer Protagonistinnen generiert. Wenn Ali in der zweiten Staffel das Thema ihres Bewerbungsessays für die Gender Studies zusammenfasst mit den Worten «I have this notion, that there is something connected with the woman thing and the jew thing. It’s like phallus is to crucifix what vagina is to Holocaust», und nach diesem Kurzabstract einen Zug aus der Bong nimmt, die sie gerade im Hot-Tub raucht, macht das als selbstreferenzielles Spiel mit dem Vorwurf der dorm-room-philosophy erst mal großen Spaß. Bemerkenswert ist allerdings, dass im Folgenden der Serie Jüdisch-Sein und Geschlecht nicht durch das Transzendenzvermögen von Bongkifferdeepness angenähert werden, sondern durch einen nicht weniger nebulösen Verweis auf die Epigenetik, dem akademische Legitimation verliehen wird. Keine strukturelle Analyse von Machtverhältnissen und den Bedingungen systemischer Ungleichheit folgt hier aus der Frage der Intersektionalität, sondern die Bekräftigung der schicksalhaften Tatsache, dass wir Kinder unserer Eltern sind.

Die wenig queere These, dass queerness in der Familie liegen könnte, sich gar generational über biologische Fortpflanzung vererbt, wird in Transparent seit der ersten Staffel vorgebracht und seit der zweiten konkret an eine genetische Überlieferung auch des Traumas der Shoah gekoppelt. «Did you know there is such a thing as Inherited Trauma in your actual DNA?», fragt Ali ihre Freundin Syd in der Universitätsbibliothek von Malibu und verweist, ein Buch in der Hand, auf einen Versuch mit traumatisierten Kaninchen. Aus sepiagetönten Flash-Backs in das Berlin der 1930er Jahre wissen wir Zuschauerinnen seitdem auch, dass Mauras Tante Gittel nicht die Ehefrau ihres Onkels Gershon war, wie die Protagonistinnen der Serie annehmen, sondern dessen Identität als Transfrau. Dieser Informationsvorsprung wird in der vierten Staffel abgebaut. Von Moshe erfahren Maura und Ali von ihrer transsexuellen Vorfahrin, ein Moment, der auf höchsten emotionalen Impact inszeniert ist. « My whole life I thought I was alone in this », sagt Maura, ihre wunderbaren transsexuellen Freundinnen und Mitbewohnerinnen Davina und Shea in diesem Moment scheinbar vergessend. Später, beim erneuernden Bad im Toten Meer, wird sie ihrer Familie von Gittel erzählen, um Alis Abwesenheit bei dem Familienevent zu erklären. Diese gehe durch eine Phase, so Maura, sie kenne das. «Maybe it runs in the family.»

Man darf gespannt sein, wie die Serie in der kommenden Staffel mit ihren Anliegen umgehen wird. Denn diese erweisen sich in der gegenwärtigen politischen Situation als ungebrochen virulent. Hoffen wir also, dass die Pfeffermans, wenn sie sich nach ihrer Reise wieder zu Hause in L. A. einleben, ihre Widersprüche dort vorfinden, wo sie sie zurückgelassen haben, unerlöst. Davon haben auch wir Zuschauerinnen mehr, die wir ebenfalls mit ihnen leben müssen und nicht warten können oder wollen, bis Aschera kommt. 

Transparent (Creator: Jill Soloway) Amazon Studios 2014ff., 4 Seasons