editorial

Menschen des Kinos

Liebe Leserinnen, liebe Leser, 

als wir kürzlich Jem Cohen darum baten, fünf Filme für unsere Rubrik am Ende des Heftes zu notieren, antwortete er: «Ihr schreibt, das ist nur eine Kleinigkeit. Aber nichts ist eine Kleinigkeit, wenn man daran denkt, dass Chris Marker gerade gestorben ist.» Cohen, der unter anderem eine Langzeitbeobachtung der Band Fugazi gedreht hat und zwischen Musik, Kunst und Film arbeitet, ist selbst einer dieser Grenzgänger, wie Marker auch, für die wir uns besonders interessieren. Im Gedenken an Marker haben wir das Heft kurzfristig ein wenig umgebaut, und uns eine Reihe seiner wesentlichen Arbeiten noch einmal angesehen. Zusammen mit dem ausführlichen Dossier zu Jean Louis Schefer, dessen geheimnisvoller Klassiker Der gewöhnliche Mensch des Kinos nach dreißig Jahren doch noch ins Deutsche übersetzt wird, und einem Text zu George Perecs Literatur/Kino sowie einem Werkporträt des Filmemachers, Romanciers, Barockspezialisten Eugène Green ist diese Ausgabe nun unvermutet frankophil geworden – zumal auch das Titelmotiv aus einem französischen Film stammt, der uns sehr begeistert (dem Politthriller L’exercise de l’État von Pierre Schoeller). Nicht alles hat aber notwendigerweise immer mit allem zu tun – weitere Beiträge befassen sich über verschiedene Mediengrenzen hinweg mit der Blaxploitation-Tradition, Terence Davies, Eija-Liisa Ahtila und Harun Farocki. Das Gespräch mit dem Schriftsteller Patrick Roth muss sowieso für sich allein stehen – wie man aus der Königszeit des Volkes Israel zu Hitchcocks Vertigo kommt, ist hier nachzulesen. In einem kleinen Piraterie-Dossier geht es schließlich um die informellen Ökonomien heutiger Mediennutzung. Dass insbesondere die unbekannteren Arbeiten Chris Markers nur in den Sphären inoffizieller Datenübertragung zirkulieren, dürfte wohl im Sinne des Urhebers gewesen sein.